D R E I ß I G

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C a s a m i e n t o

08:00 Uhr

Die ganze Nacht habe ich nicht schlafen können, wohl wissend, dass ich aufstehen muss, um einen Fremden zu heiraten. Seine Reaktion auf mein flehen hat mich nur noch mehr verwirrt. Ich flehe ihn an, mache mir Sorgen um meine Schwester und alles was er sagt ist, dass ich vor keinem anderen Mann weinen darf. Ich hätte ihm eine Ohrfeige geben sollen! Er spielt sich auf, als wäre er mein Geliebter der das Recht hat, eifersüchtig zu sein. Ich gebe zu, seine Nähe und seine Berührung hat mich aus der Fassung gebracht ... aber das kommt nicht nochmal vor! Er soll es gar nicht wagen, mich irgendwie anzufassen!
Was sollte überhaupt die Frage, ob ich absichtlich vor ihm weine? Er will meine Schwester weg schicken und glaubt ich würde aus Absicht weinen? Für wen hält er mich, für Valeria?

Ich habe Ria nichts vom Internat gesagt, weil ich es einfach nicht über mein Herz bringen konnte. Ich habe es nur schwer hingekriegt, dass sie einschläft. Immer wieder habe ich ihr gesagt, dass ich bei ihr bin und sie vor nichts Angst haben muss. Wie wird sie damit umgehen, wenn sie erfährt, dass sie weg geschickt wird? Wie soll ich ihr dann noch meine Liebe schenken? Sie beschützen?

Sie liegt neben mir im Bett. Stundenlang habe ich einfach nur durch ihre Haare gestrichen und ihren Duft in mich eingesaugt. Sie ist noch so jung und unschuldig. Wären meine Eltern am Leben, wäre es nie so weit gekommen. Ich habe bei allem versagt.

Es klopft an der Tür und Clara kommt rein. ,,Es ist an der Zeit, aufzustehen und sich fertig zu machen señora. Bald kommen die Damen, die sie für alles vorbereiten werden. Ein Brautkleid müssen sie sich auch noch aussuchen, deswegen müssen wir uns beeilen! Die Vorbereitungen für die Hochzeit sind bereits im vollem Gange", sagt Clara letzteres aufgeregt. Ich nicke nur unbeeindruckt.
,,Lass Ria aber noch etwas schlafen", sage ich woraufhin sie nickt. Es ist noch früh am Morgen, die Sonne ist gerade mal aufgegangen. Nach dem ganzen Stress braucht meine kleine ihre Ruhe.
Ich stehe behutsam auf und wir gehen ins Bad, wo sie mir hilft mich zu waschen. Jetzt da der Gips ab ist, ist eigentlich keine Hilfe mehr nötig. Aber ich glaube sie ist eher hier, damit nichts schief läuft. Bestimmt hat Vasco sie geschickt. Ich bin einfach in meinen Gedanken, während Clara mich wäscht. Sie sagt nichts, weil sie merkt, dass mich diese Hochzeit nicht wirklich erfreut. Sie reibt mich mit frisch duftendem Öl ein, kömmt meine Haare und lässt irgendeine Haarmaske einwirken.

Nach der Dusche trete ich aus dem Bad. Meine Haare sind in ein Handtuch gewickelt, so wie mein Körper.
,,Ihre Haare föhnen wir nicht, das machen die Damen von denen Sie geschminkt und frisiert werden", sagt Clara und reicht mir Unterwäsche und ein Nachthemd. ,,Ziehen sie für's Erste das an, dann ist die Anprobe gleich nicht so umständlich." Ich nicke einfach nur und ziehe mich an.
,,Folgen Sie mir. Sie werden in einem anderen Raum vorbereitet. Das Team müsste schon da sein", erklärt Clara unter Zeitdruck und öffnet die Tür.
,,Ihre Schwester kann solange schlafen. Ich sehe später bei ihr vorbei und wecke sie."
Ich nicke und gehe zu meiner schlafenden Schwester, um ihr einen leichten Kuss auf den Kopf zu drücken. Dann gehe ich mit Clara aus der Tür.

In dem Raum angekommen, steht ein ganzes Team im Raum. Ein großer, gut beleuchteter Frisiertisch, eine große Trennwand zur Anprobe, mehrere weiße Brautkleider, das eine schöner als das andere und viele Frauen die mich anlächeln. Sie stellen sich mir vor und lächeln freundlich, sagen mir wo ich mich hinsetzen soll und dass ich ihnen alles ohne Zweifel überlassen kann. Ich nicke nur abwesend und sehe in den Spiegel vor mir. Rote Augen mit dunklen Ringen, ein blasses Gesicht. Ein Anblick, an das ich mich hier gewöhnt habe. Das alles wird gleich mit Schminke abgedeckt, damit ich aussehe wie eine glückliche Braut. Ich lehne meinen Kopf in den Kopfbereich meines Sitzes, als ich darum gebeten werde. Eine beginnt mir die überflüssigen Haare an den Augenbrauen zu zupfen und zwei andere kümmern sich um die Nägel an Händen und Füßen. Nachdem man mir die Augenbrauen gezupft hat, betrachtet man meine Haare. Die Tür wird geöffnet. Es ist Vasco.
Es wird still im Raum und er wird von der Leiterin ehrfürchtig begrüßt.
,,Ist alles in Ordnung?", fragt er in die Runde. Ich ignoriere ihn einfach und starre einfach in den Spiegel.
,,Es ist alles bestens, Don Vasco! Sie haben sich wahrhaft eine wunderschöne Braut ausgesucht!", versucht die Leiterin mir zu schmeicheln, was mich aber kalt lässt. Sie merken, dass eine angespannte Atmosphäre zwischen uns beiden herrscht, weshalb keiner sich traut etwas zu sagen. Vasco kommt näher und bleibt hinter meinem Sitz stehen. Er betrachtet mich aus dem Spiegel, allerdings ziert sein Gesicht nichts als Monotonie. Er nimmt meine Haare in die Hand, streift dabei meinen Hals, als er sie in seinen Handflächen sammelt. Er sieht zu der Frau, die meine Haare machen will. ,,Keine Farbe und sie werden auch nicht geschnitten. Sie soll ihre Haare offen tragen", sagt er mit seiner rauen Stimme und blickt durch den Spiegel in meine Augen. Ich tue mich schwer, nicht das Gesicht zu verziehen. Das ist doch alles nur Show.
,,Wie Sie wünschen, Don Vasco", sagt die Frau und schenkt ihm ihr schönstes Lächeln. Sie wäre wohl gerne an meiner Stelle. Zu gerne würde ich unsere Rollen tauschen, wenn ich könnte.
,,Gut", sagt er und geht zur Tür. ,,Gebt euer Bestes, aber setzt sie nicht unter Druck. Sie kann ziemlich wütend werden", sagt er leicht lächelnd - was ich als Spott betrachte - und geht aus der Tür. Die Frauen glauben bestimmt, das es ein ehrliches Lächeln seinerseits war, aber ich weiß ganz genau was dieser Blick bedeutet. Er liebt es alles unter Kontrolle zu haben und der Fakt, dass ich nichts gegen ihn ausrichten kann ist genau das, was ihn so zum Lachen bringt. Die Frauen kichern über seine Aussage.
,,Sie scheinen dem Herren den Kopf verdreht zu haben", sagt die Frau an meinen Nägeln und kichert. Ja, zu gerne würde ich ihm den Kopf verdrehen!
,,Wie fürsorglich er doch ist, habt ihr gesehen?", schwärmt die andere.
,,Er ist auch ein Traum von einem Mann! Er ist schließlich der Kartellboss der Carroñeros. Als seine Braut fühlen Sie sich bestimmt wie eine Königin", schwärmt eine andere.
,,Sicher", sage ich knapp. 'Seine anderen zwei Frauen bestimmt auch', füge ich in Gedanken hinzu.
,,Hört jetzt auf zu tratschen und macht euch an die Arbeit, wir haben noch viel zu erledigen!"

LeyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt