25. Kapitel

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Malfoy nickt, entspannt sich sofort. Auch seine Hand wird entspannter, die Fingernägel krallen sich nicht mehr dort hinein. Sie wird sicherlich einen riesigen, blauen Fleck davon bekommen. Obwohl das ihr wohl kleinstes Problem ist.

„Wem gehörst du?", fragt er dennoch weiter, sieht wohl nicht ein, das Thema zu wechseln.

„Dir, Lucius.", sagt sie gehorsam, muss sich selbst auf die Zunge beißen, um nichts Falsches von sich zu geben.

Er legt den Kopf schief, seine Augen huschen über ihr Gesicht und er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Ich glaube dir nicht."

Natürlich nicht, es ist ja auch gelogen.

„Zumindest ersteres nicht. Ich brauche Sicherheit. Wir werden in ein paar Tagen zu einem Freund von mir gehen... oder er kommt her zu mir. Ich muss ihn erst einweihen, für ihn könnte es auch nützlich sein."

„Für was?", fragt sie und greift nach der Tischplatte, hält sich daran fest. Was kommt jetzt schon wieder? Was hat er vor?

„Für einen unbrechbaren Schwur.", sagt er trocken. „Wenn ich sterbe und du dich nicht umbringst, dann wirst du so oder so sterben, weil du den Schwur gebrochen hast."
Ihre Kinnlade klappt auf. Er will es also wirklich tun! Eine interessante Art und Weise, das anzustellen. Zutiefst beängstigend. Damit hat er Sicherheit.

Sie kann sich nicht retten. Irgendwie muss sie es doch schaffen, diesen Schwur nicht zu leisten! Dieser scheiß Typ zerstört wirklich ihr gesamtes Leben!

„Du brauchst mich nicht aus so großen Augen anzuschauen. Es ist doch klar, dass ich das tue. Wie es scheint, hast du mich noch nicht verstanden."

Lou wird übel. Im Ernst: Am liebsten würde sie aufstehen und auf die Toilette rennen. Mit seiner Hand auf ihrem Oberschenkel wird das aber wohl kaum funktionieren. Sie schließt die Augen, kontrolliert den Brechreiz und verzieht das Gesicht. Trotzdem hat sie diesen Geschmack im Rachen. Wie widerlich. Schnell greift sie nach dem Glas und trinkt wieder was davon, verschüttet die Hälfte.

„Tztztz... Manieren muss ich dir beibringen, wie man isst... was denn noch alles, mein Herz?"

„Nichts", keift sie zurück, als sie das Glas Wasser absetzt.

Malfoy hebt die Braue. „Willst du mir etwas sagen?", fragt er, presst die Zähne aufeinander und spricht zischend.

„Ich-...", sie unterbricht sich selbst. Am liebsten möchte sie ihm ihre ganzen Gefühle entgegenschleudern. Die negativen Gefühle, versteht sich. Positive gibt es auch kaum. Höchstens, dass sie ihn attraktiv findet... also seinen Körper, nicht seine Art.

„Ja... my dear?"

Lou überlegt angestrengt. Dass sie ihn am liebsten umbringen würde, kann sie ihm natürlich nicht sagen. Eine Ausrede muss her. „Ämm...", beginnt sie stockend. „Warum hast du neue Spitznamen für mich?"

„Warum nicht?", fragt er scharf nach. Lou hat das Gefühl, er würde sie durchschauen. Zumindest spricht er sie nicht weiter darauf an: „Immerhin bist du doch genau das, was ich zu dir sage. Warum sollte ich das dann nicht tun?"

„Ach und wenn du mir sagst, dass ich diese Pommes da bin...", sie zeigt auf einen Teller „...dann bin ich eine Pommes oder was?"

Malfoy verdreht die Augen. „Ist das Sarkasmus oder bist du einfach nur dumm?"

„Letzteres", sagt sie ganz trocken, schaut auf die Pommes und verzieht das Gesicht. Eben wollte sie noch was essen, jetzt nicht mehr.

Ein lautes, untypisches Geräusch lässt sie aufschrecken und augenblicklich zu ihm schauen. Er sitzt dort auf seinem Thron, packt an ihrem Oberschenkel fester zu und lacht laut, beugt sich dazu auch vor, kann sich nicht halten.

Es ist ein atemberaubendes Geräusch, ihr Blick bleibt an seinem Mund hängen. Irgendwie gefällt es ihr, wenn er lacht. Sie fühlt sich dann nicht so schlecht. Ihre Angst verschwindet für diesen Moment.

Sein Lachen ist ansteckend. Würde sie sich nicht so große Sorgen um seine Worte machen, würde sie mitlachen. So schmunzelt sie nur.

„Ich liebe deinen Humor, Sweety. Köstlich..."

„Und was ist, wenn es stimmt?", fragt sie hart nach, spürt diesen Schmerz in ihrer Brust. Immer macht sie sich so viele Gedanken über alles. Ihr Leben ist manchmal die Hölle, obwohl sie selbst der eigentliche Grund dafür ist. Neulich war sie beim Arzt. Ein ganz normaler Junge saß ihr gegenüber. Lou hat versucht überall hinzuschauen, nur nicht zu ihm. Schließlich wollte sie nicht eine seltsame Erinnerung von ihm bleiben oder ihm irgendetwas signalisieren. Zeitgleich wollte sie aber auch zu niemand Anderem im Wartezimmer sehen, weil diese ebenfalls nichts Falsches interpretieren sollten. Im Endeffekt saß sie dort wie ein Brett, angespannt und darauf hoffend, sich endlich zusammenzureißen. Vergeblich.

Immer erinnert sie sich an Fehler, die sie gemacht hat. Sei es auch nur eine falsche Antwort im Unterricht, ein dummes Auftreten. Sie kann es nicht vergessen, sieht es immer wieder vor ihren Augen. Lou hat Angst zu versagen. Und die Stellen in ihrem Leben, an denen sie versagt hat, seien sie auch noch so klein, verfolgen sie. Sie möchte nicht daran erinnert werden, es verdrängen. Scham spürt sie deswegen in sich. Beispielsweise kommt sie nicht mal darüber hinweg, wie sie sich jemandem mal vorgestellt hat und aus versehen ein falsches Alter gesagt hat. Es war kurz nach ihrem Geburtstag, sie hatte sich noch nicht richtig umgestellt. Solche kleinen Missgeschicke kreisen die ganze Zeit in ihrem Kopf, insbesondere wenn sie alleine ist. Sie hasst es. Diese Vorwürfe, diese verzweifelte Perfektion, die sie zu erreichen versucht. Ihr ist bewusst, dass sie nicht perfekt ist, dass niemand perfekt ist. Perfektion existiert nicht. Außerdem definiert jeder für sich selbst, was perfekt ist und was nicht. Aber sie akzeptiert es für sich nicht.

Deshalb ist Malfoy auch so schlimm für sie.

Manch einer würde sagen: Oh ja, ich muss nicht arbeiten, habe einen attraktiven Mann an meiner Seite, der erfahren ist und zudem noch stinkreich. Viele sehnen sich so ein Leben herbei.

Lou nicht. Es liegt nicht nur an ihrer eigenen, fehlenden Affinität mit diesen Menschen. Ein Grund dafür ist auch, weil sie weiß, was die Menschen dann über sie sagen würden. Sie würden denken, sie wäre nur an seiner Seite wegen sexuellen Gelüsten, hätte nichts erreicht und wäre dumm. Sie möchte das nicht. Die Gesellschaft macht ihr Druck. Besser gesagt macht sie sich selbst Druck, um Teil der Gesellschaft zu sein. Dabei würden ihm sich wohl die meisten Frauen hingeben... oder zumindest teilweise. Obwohl sie eventuell genauso handeln würden, verurteilen sie dafür. Es ist der Horror.

Sie möchte als klug, als hochintelligent wahrgenommen werden. Doch sie weiß, dass sie das nicht ist. Dass sie nicht all das erreichen kann, was sie will. Es ist ihr bewusst. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Lou erreicht nur etwas, wenn sie hart dafür arbeitet. Umso deprimierender ist es, wenn sie etwas nicht erreicht, obwohl sie hart gearbeitet hat.

Ihre Ziele sind hoch, sie möchte keines davon verwerfen.

Wegen Malfoy muss sie es aber tun.

Er nimmt ihr viele Ziele. Aber vor allem nimmt er ihr eins: Ihre Fröhlichkeit. Auf Dauer würde es sie zerfressen, sie hätte keine Arbeit, um sich abzulenken. Sie würde in ein tiefes Loch fallen, Selbstzweifel sie auffressen. Jedoch sind sie auch da, wenn sie arbeitet und nicht bei Lucius ist. Es ist ein elendiger Teufelskreis. Sie weiß so schon nicht, was sie machen soll. Er macht das alles nochmal viel schlimmer. So hat sie nicht nur die Angst, etwas nicht schaffen zu können, sondern die Sicherheit, etwas nicht erreichen zu können. Lous Verhalten scheint krankhaft zu sein. Ihre Eltern sagen, sie solle sich entspannen, sich keine Sorgen darüber machen. Würde sie es Lucius erzählen, dann würde er das Gleiche sagen. Ihre Mitmenschen können nicht verstehen, dass das einfach nicht möglich ist. Es ist ein Teil von ihr, ein Teil ihrer Psyche.

Malfoy würde es, wie alle anderen, nicht nachvollziehen können, keine Rücksicht auf sie nehmen. Eigentlich ist das das schlimmste, wenn sie bei ihm bleibt.

Besitz, Liebe, Schmerz, Zweifel - Lucius MalfoyWhere stories live. Discover now