101. Kapitel

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„Es ist so weit...", haucht sie. Snape scheint nicht darauf zu achten, denn er beginnt mit dem Gehen.

Lou ist froh, dass sie keine lange Schleppe hat und das nicht zusätzlich ein Problem ist, um das sie sich scheren muss. Sie hält die Luft an, als sie an den ersten Personen vorbei geht.

Hinter ihnen tauchen kleine Mädchen auf, die sie noch gar nicht gemerkt hat. Lou schaut sich nicht zu ihnen um, sondern richtet den Kopf krampfhaft nach vorne.

Die Schritte kommen ihr so unglaublich schwer vor. Als hätte sie Fesseln an ihren Fußgelenken. Sie spürt die Last auf sich. Die Last, die sie zu erdrücken droht. Aber sie muss durchhalten! Sie muss es schaffen! Sie nächsten Jahre muss sie schaffen! Es gibt keinen Ausweg!
Snapes Kopf dreht sich langsam zu ihr. Ihre Blicke treffen sich. Er schaut sie einige Sekunden nachdenklich an, ehe er den Kopf wieder nach vorne dreht.

Lou krallt ihre Fingernägel in seinen Arm. Er sagt und tut dagegen nichts; erträgt es.

Sie will diesen fremden Mann nicht loslassen!

Während sie durch die Reihen läuft, in denen Personen sitzen, die elegant gekleidet sind, schaut sie immer öfters auf den Boden. Er besteht aus dunkelrotem Teppich auf dem Rasen. Er ist gerade so breit, dass er in den Mittelgang passt.

Lou fühlt sich so, als würde ihr Kindheitstraum wahr werden. Mit dem Unterschied, dass es sich seltsam anfühlt. Sie liebt Lucius, will ihn unbedingt heiraten, spürt zeitgleich aber die Zweifel in sich.

Ihr Atem beschleunigt sich. Ihre Schritte auch.

Sie spürt den Druck von Snape, der sie zurückhält.

Er führt sie den Gang entlang, schaut ganz gelassen aus. Wie kann er das nur? Hat das hier keine Bedeutung für ihn, dass er so ruhig und entspannt, gar gleichgültig, sein kann?

Das Gesicht von Lucius wird immer klarer. Seine grauen Augen schauen ihr entgegen. Sie leuchten nicht, obwohl er lächelt. So wie sie Zweifel hat, so scheint er sie auch zu haben.

Bei den letzten Schritten werden ihre Beine wackelig. Severus hält sie. Diese fremde Person gibt ihr in dem Moment auf so vielen verschiedenen Arten Halt. Sie ist ihm sehr dankbar dafür, obwohl sie diese Dankbarkeit gerade nicht ausdrücken kann.

Lucius' Lächeln wird breiter, aber nicht unbedingt ehrlicher.

Der Mann schaut gelangweilt drein, die Kinder teilen sich hinter ihnen auf. Die Hälfe von den Dutzend geht in die eine, die andere in die andere Richtung und stellt sich vor der Bühne auf.

Snape führt sie die Treppenstufe hinauf und geleitet sie noch die letzten Schritte zu Lucius. Dort lässt Severus ihren Arm los, streicht dabei aber noch über ihre Hand.

Lucius geht dem symbolischen Akt der Übergabe nach und ergreift ihre Hände. Lou schaut auf in seine Augen. Sie sind unleserlich.

Er tritt einen Schritt näher, sodass sie bereits seinen Atem auf ihrer Stirn spürt. Der Mann hält ein vergoldetes Buch in seinen Händen. Als er beginnt die Phrasen aufzusagen, wird die Musik leiser. Er erzählt nichts über die Ehepartner; es gibt keine Rede. Es ist so... unpersönlich... und enttäuschend. Lucius hat dem Redner nichts über die beiden erzählt, was er sagen könnte – ihre Geschichte ist nicht sonderlich schön verlaufen, aber dennoch fehlt etwas. Es ist, als wäre es gar nicht Lou, die vor dem Altar steht.

Sie beruhigt sich bei der Berührung mit Lucius ein wenig und schaut nur in seine Augen. Sie versucht nur darauf und auf nichts Anderes zu achten. Nur das soll für die gelten. Die Rede spielt doch keine Rolle... vielleicht ist das in den Kreisen auch nicht üblich und Romantik wird da überbewertet. Gleich..., gleich da wird sie es sagen müssen. Die drei Worte...

Sie hört den Worten der Zeremonie nicht zu. Sie kann nicht, auch wenn sie sich zu konzentrieren versucht. Als eine Pause entsteht, die ihr bedeutet, nun die Worte zu sagen, hört sie erneut auf zu atmen. Die Zeit bleibt für sie stehen. Sie muss sich sammeln, die Lippen befeuchten und ihre Stimme stabil halten. Sie muss es sagen, sie muss sich sicher sein, sie muss es wollen...

„Wollen Sie den hier anwesenden Lucius Abraxas Malfoy zu Ihrem rechtmäßigen Ehemann nehmen, ihn lieben und Ehren bis das der Tod euch scheidet? Das Eheversprechen ist unverbindlich und kann nur mit dem Tode aufgelöst werden. Wollen Sie ihn ewig lieben, so antworten Sie mit ‚Ja, ich will.'"

Lou schließt die Augen. In ihren Ohren hört sie ein nerviges Piepsen. Die Luft ist angehalten, in ihr drin ist Leere. Ihr Herz pocht – sie kann es hören.

„Ich..."

Ihr Körper spannt sich an, verkrampft sich. Er beginnt zu schwitzen.

Es vergehen dutzende Sekunden. Lucius atmet tief aus; sie zuckt zusammen. Lucius Griff um ihre Hände wird immer stärker, aufdringlicher und zitternder.

Plötzlich spürt sie etwas Nasses, das auf die gefalteten Hände tropft. Sie hebt den Kopf, öffnet die Augen und schaut geradewegs in die von Lucius. Seine Nasenflügel weiten sich. Ein Raunen geht durch die Menge. Eine Stimme meldet sich in ihrem Kopf. Es ist zu spät, es ist zu spät. Warum kann sie es nicht? Warum kann sie nicht ja sagen? Lucius schluckt laut. Sein Mund öffnet sich. Seine Zähne sollten weiß glänzen, stattdessen sind sie rot von dem Blut seiner Lippe. Er muss sich darauf gebissen haben. Sein Gesicht verzieht sich. Er leidet. Lous Herz schmerzt. Sie weiß nicht, was sie noch denken soll. Sie ist taub von der Verwirrung ihrer Gefühle. Sie sollte es tun,... aber etwas hält sie davon ab.

„Die Ehre Malfoys spielt keine Rolle mehr. Jetzt wo sowieso nichts mehr zu retten ist.", haucht er mit schluchzender, verlorener Stimme. Die angestauten, unterdrückten Gefühle lösen sich. Er lehnt sich in seiner Verzweiflung vor.

Das Räuspern des Redners scheint nicht an ihn zu dringen. „Es macht mich nicht glücklich, dich so zu sehen..." Er spricht abwesend, monoton.

„Warum muss dieser Fluch auf mir lasten?", seine Lippen verziehen sich, er klingt zunehmend wie ein kleiner Junge. „Warum wird es mir nicht gewehrt, glücklich zu sein?"

Seine Hände lösen sich von Lous und heben sich ruckartig. Er legt sie auf ihre Schultern; sie zittern. „Warum kann ich nie zufrieden sein? Warum kann ich nicht ich sein?"

Er beugt sich vor. Lou steht steif da. Die Ereignisse leiten sich nicht zu ihrem Bewusstsein weiter; sie kann es nicht verarbeiten. „Ich spüre diese Leere in mir. Du hast sie beseitigt und seit einigen Tagen ist sie zurück gekehrt. Ich kann... Es tut mir leid."

Die Finger seiner Hände krallen sich in ihre Schultern. Seine Beine geben nach, er stützt sich auf ihr ab. Lou stolpert zurück, schaut in seine Augen. Ihr Blick ist hilflos; drückt das aus, was sie nicht sagen kann. Bis auf Lucius ist alles um sie herum verschwommen. Das leichte Gefühl des Fallens beflügelt sie nicht. Es fühlt sich an wie eine Belastungen. Ihr Körper schlägt auf dem Boden auf, halb auf die Treppenstufen. Ein lauter Schlag ist zu hören, als ihr Hinterkopf auf die Treppenstufe aufschlägt. Innerhalb von Millisekunden breitet sich ein erschrockener Ausdruck auf ihrem Gesicht aus, bis dieser einfriert und sich auf den weißen Stufen eine immer größer werdende Blutlache bildet. Lucius stößt einen Schrei aus. Die Augen sich ebenso schreckgeweitet. Die Menge springt auf, kommt aber nicht zur Hilfe. Lucius ist nicht mehr zu helfen. Es scheint nicht an ihn zu gelangen. Er scheint es nicht zu verstehen. Nur sein Körper reagiert. Die großen Hände legen sich an ihre Wange; er schaut ihr in die Augen; blinzelt nicht. Er denkt nicht; alles passiert automatisch.

Besitz, Liebe, Schmerz, Zweifel - Lucius MalfoyWhere stories live. Discover now