75. Kapitel

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Ein Schluchzen entweicht ihr. Sie zieht ihre Knie an sich und schlingt ihre Arme um ihre Schienbeine. Warum nimmt sie das so sehr mit? Es sollte doch positiv sein, weil durch seine Veränderung vieles bei der Flucht einfacher werden könnte! Aber warum fühlt sie sich so schlecht, so falsch? Warum fühlt sie sich so, als würde sie ihn manipulieren anstatt andersherum. Warum... Warum hat sie Mitleid mit ihm? Warum ist er ihr wichtig geworden?

Seit wann ist er ihr wichtig geworden? Und vor allem wie? Wie konnte das passieren?

Es kann doch nicht nur mit der Zeit, die sie zusammen verbracht haben, zusammenhängen!

Ihre nackten Knie werden nass und die Tränen kullern ihre Beine hinab. Warum fühlt sie sich so als hätte sie etwas verbrochen oder ist kurz davor etwas zu verbrechen? Dieses Gefühl hat sie schon die letzten Tage unterschwellig gehabt, aber durch seine ehrliche Ansprache hat es sich noch verstärkt.
Was soll sie tun? Warum ist dieser innere Konflikt so eine Folter für sie? Sollte sie vielleicht doch warten? Sollte sie warten, was die Zeit bringt? Sollte sie weiter die Auf und Ab's von Lucius ertragen, nur mit der Hoffnung, dass es bei einem Auf bleiben wird? Aber spätestens bei der Hochzeit ist es zu spät für eine Flucht. Außerdem will sie ihm die gezwungene Trennung nicht noch schlimmer machen. Dabei weiß sie aber schon jetzt, dass es ihn zerreißen würde. All der Fortschritt, den sie zusammen gemacht haben, würde verpuffen. Er befände sich wieder am Anfang, wenn nicht sogar schlimmer. Warum ist sein Charakter, sein ganzes Sein nur so kompliziert? Warum sind Menschen so schrecklich komplex mit ihren ganz unterschiedlichen Wahrnehmungen?

Sie seufzt. Wenn sie hier bleibt, dann zerstört sie sich, heilt dafür aber Lucius. Wenn sie weggeht, dann zerstört sie Lucius, heilt aber sich selbst. Wie soll sie handeln? Wie soll sie eine für sie so unbeantwortbare Frage beantworten, wenn es doch gar nicht möglich ist? Sollte sie ein Egoist sein...? Sollte sie Lucius die Chance auf eine gute Persönlichkeitsentwicklung verwehren und ihn weiter über andere Menschen krankhaft Macht ausüben lassen? Ist sie hierfür verantwortlich? Oder fühlt sie sich nur so, weil sie sich verändert hat? Weil sie abhängig von ihm geworden ist? Liebe, da ist sie sich sicher, empfindet sie nicht für ihn. Es ist etwas Anderes, was sie bisher noch nicht gekannt hat.

Ihr Schluchzen wird lauter. Die Verzweiflung wächst und sie blendet alles um sich herum aus.

Erst eine Hand auf ihrer Schulter lässt sie zusammenzucken.

Mit großen, wässrigen Augen dreht sie den Kopf und schaut in das zweifelnde Gesicht von Lucius. Er packt sie unter den Achseln und hebt sie mit einem Ächzen über die Lehne des Sessels. Das klappt nicht so gut, denn Lou bleibt darauf liegen und Lucius' Kraft reicht aus diesem Winkel nicht aus. Nun hängt sie kopfüber von dem Sessel und ihre Haare sind verstrubbelt. Sie lacht, als er versucht, sich das Grinsen zu verkneifen. Er stimmt schließlich ins Lachen mit ein und die Tränen und Verzweiflung sind für einen Moment vergessen.

Mit Mühe richtet sie sich wieder auf, rutscht aber wieder von der Lehne in die Ausgangsposition zurück. Erneut lacht sie.

Lucius schmunzelt und geht um den Sessel herum und streckt seine Arme nach ihr aus.

„Na komm schon.", sagt er, bemüht sanft. Die Freude des vergangenen Moments ist nicht mehr zu sehen und plötzlich wird er immer ernster. Das Unwohlsein von eben ist in seinem Gesicht zu sehen und lässt Lou sich direkt schlechter fühlen. Zweifelnd schaut sie auf seine ausgestreckten Arme, ehe sie statt in seine Umarmung zu gehen, nur eine Hand ergreift.

Sie meint Enttäuschung in Malfoys Gesicht zu sehen, jedoch sagt er nichts.

Stattdessen mustert er sie still und bedeutet ihr, mit ihm zu gehen. Das ist eigentlich überflüssig, schließlich bestimmt er mit ihrer Hand in seiner das Tempo und die Richtung.

Lou schaut auf den Boden und immer mal wieder auf die Hände, die ineinander verschränkt sind. Ihr Blick gleitet zu seinem Gesicht, welches beruhigter durch ihre Anwesenheit wirkt.

Ein Stich in ihrem Herzen entsteht. Warum schmerzt es, ihn so glücklich zu sehen und zu wissen, dass er schon sehr bald nicht mehr glücklich sein wird?

Vor seinem Büro hält er an und dreht sich zu ihr um, ehe er schweigend die Tür öffnet und sie mit einer Geste hinein winkt.

Lou runzelt die Stirn und tritt vor. Sie schaut sich um. Auf seinem Schreibtisch fällt ihr eine Veränderung auf. Schnellen Schrittes geht sie darauf zu, als sie eine Vermutung hat. Als sie ihn erkennt, quiekt sie erfreut auf. Ihr Zauberstab! Dort liegt ihr Zauberstab!

Ihre Augen funkeln, der Stich ist verdrängt, zurückgeschoben. Das Lächeln auf ihren Zügen versprüht Glücksgefühle in ihr und sie dreht sich strahlend um. Lucius tritt hinter sie und beäugt sie mit einem leichten, seelisch glücklichen Lächeln. Es freut ihn tatsächlich, wenn sie glücklich ist!

Immer noch ungläubig deutet sie auf den Zauberstab. So als wäre sie sich nicht sicher, ob sie ihn wirklich wieder haben darf oder sich alles in eine ganz andere Richtung entwickelt.

Lucius nickt lautlos und tritt nun neben sie. „Du darfst...", murmelt er und wie als sei es ein Befehl, streckt sie ihre Hand sofort danach aus und drückt ihren Zauberstab an sich. Als sei dieser überlebensnotwendig für sie.

„Es scheint dich zu freuen." murmelt er und Lou nickt sofort. „Sieh es als Zeichen meines Vertrauen und Nicht-wollen... des Zwanges für dich an. Vielleicht... vielleicht kannst du mit ihm glücklicher werden. Wenn... es schon nicht mit mir mögli...", Er bricht ab. Seine Stimme ist ganz leise, bis eben nichts mehr zu hören ist und er den Kopf zur Seite dreht.

Lous Freude verschwindet automatisch. Sie sieht auf den Zauberstab und dann zu ihm.

Ein dumpfes Gefühl entsteht in ihr. So als würde jemand gegen ihren Kopf hämmern. Das Lächeln ist eingefroren, ebenso die Hände, die sich wie aus Eis krampfhaft um den Zauberstab klammern.

In einer zitternden, sich unterbrechenden und ungleichmäßigen Bewegung, hebt sie den Arm mit dem Zauberstab und setzt die Spitze davon an seinem Kinn an. Mit sanften Druck zieht sie sein Gesicht so wieder zu sich. Er schaut ihr in die Augen und sie tut es ihm gleich.

Ihren eben noch so wertvollen Zauberstab legt sie achtlos auf dem Tisch ab.

Ihre Finger, immer noch eiskalt, legt sie vorsichtig um seinen Nacken. Als sie seine warme Haut berührt, durchströmt sie wieder Wärme. Während sie ihn zu sich hinunter zieht, nähert sie sich seinem Gesicht. Ob es noch das Nachklingen der Freunde über sein Geschenk ist, das sie dazu bringt, weiß sie nicht, als sie ihre Lippen auf die seinen presst.

Besitz, Liebe, Schmerz, Zweifel - Lucius MalfoyWhere stories live. Discover now