67. Kapitel

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„Soll heißen?", fragt Lou angespannt und dreht den Kopf in jede Richtung. Seine Antwort bezüglich auf das schnelle Finden von ihr, lässt sie misstrauisch werden. Was meint er nur damit, dass er für seine Kontrolle alle tun würde? Schließlich musste er sich nur nach ihr umsehen, von alles kann da nicht die Rede sein. Normalerweise benutzt man solche Worte in einem anderen Kontext, der viel tiefer geht und gefährlicher ist. Ist es als Warnung aufzufassen? Als Warnung, dass er ihr alles antun könnte, wenn er die Kontrolle verlieren würde?

Tief in Gedanken versunken geht sie neben ihm her, während er auf eine Palette, die seitlich vor einer Tür lehnt, mit seinem Gehstock zeigt. „Garnu! Lass das verschwinden und kehre dann ohne ein Wort zu sprechen nach Malfoy Manor zurück. Ich erwarte dich bei meiner Ankunft in meinem Büro."

Wieder einmal wird sein Hang zur Kontrolle sichtbar, weil er Garnu nur dorthin bestellt, um ihn nach ihren Handlungen auszufragen. Es ist das krankhafte Festhalten an einer einseitigen Liebe als Resultat eines Menschen, der eigentlich nicht lieben kann. Damit ist nicht Lou gemeint. Sie kann lieben, sie ist der Kunst zu lieben fähig. Nicht vollständig, aber deutlich mehr als er. Lucius hingegen versucht sein Abgetrenntsein, was man als Grund von Liebe verstehen kann, mit Gewalt zu überwinden. Er ist narzisstisch, sadistisch. Leider ist Lou nicht masochistisch, obwohl es eigentlich ein Glück ist, da sie so eher dazu bereit ist, wirklich zu lieben – nur in ihrer Situation wäre es eben anders besser. Sadismus und Masochismus sind nur dazu da, damit sich beide Teile gebraucht fühlen. Hat der eine den anderen nicht, ist er einsam, ein Nichts. Sie brauchen einander, erinnern sich vielleicht an väterliche und mütterliche Liebe. Väterliche Liebe, die auf Bedingungen beruht und mütterliche Liebe, die zumindest im frühen Leben des Kindes bedingungslos ist, einfach nur weil das Kind existiert. Die Mutter vergibt dem Kind, weil diese Liebe in den allermeisten Fällen bedingungslos ist.

Aber Lou braucht das nicht. Sie ist erwachsen, mündig und hat von beider Liebe als Kind erfahren, anders als Lucius. Ihre liebende Mutter hat eines der höchsten Maße von Liebe erreicht: Das Loslassen und der Wunsch, dass sich das Kind eines Tages von ihr löst, um seinen eigenen Weg zu gehen, um sich zu entwickeln. Wenige Mütter gehen über ihre eigenen Bedürfnisse, ihre übertriebene Fürsorge für ihr Kind hinaus. Lous Mutter hat es getan. Ihr wird erst jetzt bewusst, wie dankbar sie ihr dafür sein sollte.

Vermutlich war es bei Lucius nicht so und er hat hauptsächlich die Liebe eines Elternpaares erfahren. Lou kann sich nicht vorstellen, dass ein männlicher Malfoy wirkliche Liebe seinem Sohn entgegenbringt. Nur wenn der ihm am ähnlichsten ist, am besten, am klügsten usw. . Bedingungen eben. Bedingungen, die manche nie erreichen können und das mit dem Entzug der Liebe einbüßen müssen. Vielleicht ist Lucius deshalb so sadistisch. Er hat kaum Liebe erfahren, kann sie nicht richtig weitergeben, ist nicht in der Lage durch jemanden jeden zu lieben. Er denkt, es sei Liebe, was er für Lou empfindet. Aber das ist es nicht. Diese Erkenntnis trifft Lou. Vor ein paar Tagen dachte sie, dass das, was er fühlt und tut, keine Liebe sein kann. Im Grunde denkt sie das noch immer. Nur hat sich die Bedeutung davon verändert, die ihr allmählich klar wird. Es ist keine gute Liebe, keine Liebe beruhend auf sich selbst, einen anderen Menschen und alle anderen. Es ist eine kranke Liebe von einem Menschen, der nicht fähig ist zu lieben. Er hungert danach, im Grunde will er nur selbst geliebt werden, sehnt sich danach. Aber er sieht nicht, dass er auch etwas dazu tun muss, um zu lernen zu lieben und um geliebt zu werden. Für ihn gilt nur er. Lucius ist narzisstisch, selbstsüchtig, scheinbar selbstverliebt. Nicht, dass das Selbstliebe etwas Schlechtes wäre! Man muss sich erst selbst lieben, bevor man etwas Anderes lieben kann. Selbstliebende Menschen werden oft als etwas Schlechtes angesehen, dabei heißt es doch auch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst., selbst fernab von Theismus. Wenn du dich selbst nicht liebst, kannst du niemand anderen lieben. Diejenigen, die aber nur vorgeben sich selbst zu lieben, die wirklich nur an sich selbst denken, die lieben sich meist nicht. Sie wollen sich nur selbst damit belügen, die fehlende Liebe und das fehlende Geliebt-sein dadurch kompensieren.

Vermutlich ist bei Lucius das in Wirklichkeit auch so. Woher kommt sonst sein Stolz? Würde er sich selbst lieben, dann wäre ihm seine Entfaltung wichtig, seine Vollständigkeit. Statt zu versuchen, auf dem Weg dorthin zu sein, kleidet er sich in teure Kleidung, häuft Macht an und strahlt diese auch aus. Er will, dass sie ihn liebt, er will von ihr geliebt werden. Dazu stuft er sie hinab, macht sie nieder, macht sie von ihm abhängig. Wie ein Kind von seiner Mutter. Ein Kind bis acht oder zehn Jahren ist nicht richtig fähig zu lieben, es reagiert nur positiv darauf, wenn ihm Liebe entgegengebracht wird. Es ist von seiner Mutter abhängig, liebt sie deshalb, weil ihm keine andere Möglichkeit bleibt. Damit lässt sich auch der Hintergrund seiner Handlung bezüglich des Artikels im Tagespropheten begründen. Indem er öffentlich zeigt, dass sie ihm gehört, macht er es ihr unmöglich sich von ihm zu lösen, weil sie als Teil von ihm gilt. Das ist genau das, was manche narzisstische Menschen wollen. Sie wollen jemandem zu einem unabtrennbaren Teil von sich selbst machen, um die eigene Abgetrenntheit zu überwinden. Deshalb kann es auch keine richtige Liebe sein. Lucius will ihr alles nehmen und ihr zeigen, dass er der Einzige ist, den sie braucht. Er tut das, damit sie gar nicht mehr anders kann als ihn zu lieben – wie es bei einem Kleinkind der Fall ist.

Lou hört gar nicht richtig zu bei dem, was er ihr sagt. Ihr Blick fokussiert sich auf nichts Bestimmtes, sie hängt tief ihren Gedanken, ihren Erkenntnissen nach. Sie nimmt kaum wahr, wie er sie mit hochgezogener Braue mustert. Erst als er ihr eine Ohrfeige gibt, wird ihr Gedankenstrom unterbrochen.

Völlig verwirrt sieht sie zu ihm auf und will einen Schritt zurück gehen, kann es aber nicht, weil er sie festhält.

„Hörst du mir nicht zu?", fragt er und zieht sie noch näher zu sich. Lou lässt es zu, versucht aber an dem Ziel, nicht von ihm abhängig zu werden, festzuhalten.

„Doch, es tut mir leid, Lucius." Es gelingt ihr kaum. Er nimmt es sich mit solch einer Gewalt, dass es töricht für sie wäre, sich dagegen zu wehren. Das naheliegendste Beispiel ist ihre ziehende Wange. Er will ihr mit der Gewalt Angst machen. Irgendwann wird es für sie den Eindruck machen, als sei seine Liebe dadurch an Bedingungen geknüpft, so wie sie es meist bei Vätern ist. Sie wird dieses Gefühl haben, sollte der Punkt erreicht sein, dass sie seine Liebe zum Leben braucht. Seine Liebe braucht, weil sie anhängig von ihm geworden ist. Es wird sie Gehorsam lehren, wenn dieser Punkt erreicht ist. Sie darf niemals abhängig von ihm werden!

„Nun gut... Immerhin entschuldigst du dich. Du weißt, dass ich so etwas nicht leiden kann. Lass uns hinein gehen. Ich habe den Künstler bestellt, er sollte da sein. Falls nicht, wird er nicht mehr dazu in der Lage sein, irgendetwas zu malen." Ein schadenfrohes Grinsen breitet sich auf seinen Zügen aus.

Da, schon wieder! Er ist nicht in der Lage, durch sie sich selbst und alle Menschen zu lieben.

Sie sieht ihn nicht an, nur zur nun ungehindert offenstehenden Tür, die in eine unregelmäßig beleuchtete Halle führt. Garnu muss die Palette demnach schon entfernt haben und gegangen sein.

Lou denkt nicht weiter darüber nach, ist noch viel zu verwirrt über ihre Erkenntnis und fragt sich, was sie nun damit anfangen soll. Nicht aufgeben, so viel ist klar. Aber wenn es ihr wie gerade eben nicht gelingt, was sollte sie dann dagegen tun? Nur die Flucht kann ihr helfen. Auch in dieser neuen Hinsicht auf die Liebe von Malfoy ist das der einzige Weg, um all dem zu entkommen.

Besitz, Liebe, Schmerz, Zweifel - Lucius MalfoyWhere stories live. Discover now