64. Kapitel

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Am liebsten würde sie ihren Kopf in den Händen vergraben. Sie ärgert sich tierisch über ihre Dummheit. Wie konnte sie das Wichtigste überhaupt vergessen? Es scheint, als hätte sie sich schon darauf eingestellt, ohne auszukommen. Als hätte sie sich daran gewöhnt!

Lou stöhnt auf, sucht mit den Augen den Hörsaal ab. „Garnu?", flüstert sie leise, ist in dem Moment froh, dass niemand neben ihr sitzt. Kein Zeichen von dem Hauself.

Was sollte tun? Jemanden um dessen Zauberstab bitten? Jeder braucht ihn doch selbst, also geht das nicht!
Sie atmet tief durch und hebt zittrig die Hand, als der Professor sich in ihre Richtung wendet. Er hebt den Blick und lächelt: „Ja, Miss?"

Lou nimmt ihre Hand wieder runter und ihren ganzen Mut zusammen. „Sir, es tut mir wirklich sehr leid, an meinem ersten Tag hier, ohne meinen Zauberstab zu erscheinen. Leider wurde er gestern von meinem Bruder ausversehen als Zündholz benutzt, weil er probieren wollte, wie Muggel Feuer machen... es ist schief gegangen.", sagt sie und nach Anfangsschwierigkeiten schafft sie es, zusammenhängende, flüssige Sätze hervorzubringen. Ihre Geschichte ist nicht einmal ganz gelogen. Eine ihrer Schulfreundinnen hat im ersten Jahr so etwas probiert, nur ist dabei ihr eigener Stab explodiert. Von sich überrascht, weil sie sich gerade jetzt daran erinnert, setzt sie sich aufrechter hin und faltet die Hände unter ihrem Tisch zusammen, obwohl sie nicht einmal gläubig ist.

Der dickliche Professor wirkt einige Momente lang komplett verwirrt und mit der Situation überfordert, zumindest sagt das sein Gesichtsausdruck. Nach einigen Sekunden des Einfrierens seiner Mimik, lächelt er erst unsicher, bis er sich an der Tischplatte abstützen muss, um nicht vor Lachen zu Boden zu sinken. Als wäre ein Damm gebrochen, brechen plötzlich alle Studierenden, die sich ihr Lachen noch zurückgehalten haben, ebenfalls in Gelächter aus.

Lou muss ebenfalls schmunzeln. Mehr aus Erleichterung als vor Freude über den Witz. Sie scheinen es abzukaufen, hoffentlich. Mit dieser Erklärung kann sie auch den anderen Professoren verständlich erzählen, weshalb sie die nächsten Tage keinen Zauberstab dabei haben wird.

Nachdem der Professor und ihre Kommilitonen sich beruhigt haben, nickt er. „Das hört sich wirklich nach einer köstlich spaßigen Katastrophe an. Möchten Sie uns nicht als Einstieg in das Semester diese Geschichte erläutern? Dann können wir daran anknüpfen und Vorschläge machen, was Sie in einer solchen Situation hätten tun können. Perfekt, vielen Dank für diesen Einstieg!", sagt der freundliche ältere Herr und richtet sich nun wieder allen zu. „Also, alle bitte die Zauberstäbe wieder wegpacken!"

Lou lächelt unsicher, schaut nervös auf ihre Hände. Das kann ja etwas werden. Jetzt darf sie sich auch noch diese Geschichte erzählen, vielen Dank auch. Der Professor scheint nicht nur seinen Vortrag abzuhalten, am Ende Fragen zu beantworten und dann zu verschwinden. Warum kann er es nicht wie alle anderen machen?

Nach dem Vortrag, der am Ende irgendwie doch keiner war, tritt sie aus dem Hörsaal. So schlecht wie erwartet, waren die vergangenen drei Stunden gar nicht. Ein wirklich netter Professor, der Spaß versteht und es den Studierenden möglichst einfach erklärt und sie in seine Erklärungen auch miteinbezieht. Sie würde ihn gerne länger als Professor haben, aber leider wird das bald nicht mehr möglich sein.

Sie schaut sich um, von einer zu anderen Seite.

Als sie gerade aus dem Gebäude tritt, sieht sie jemanden, der sie sofort zum Stehenbleiben bewegt. Was zum...

Ihr Mund wird trocken. Wissend, dass der Hauself noch immer in ihrer Nähe sein muss, geht sie einen Schritt auf die Person zu. Was ist das bitte für ein Zufall? Irrt sie sich, oder ist es wirklich die junge Frau? Ist es die junge Frau, die ihr vor ein paar Tagen geholfen hat? Die Maus?

Dort steht die große Frau mit den hellbraunen Haaren und den blau-grauen Augen, sieht sie direkt an. Als könnte sie es ebenso wenig glauben, öffnet sich ihr Mund und sie schaut Lou verwirrt an.

Lou deren Erinnerungen an das Schreckliche, was Malfoy ihr angetan hat, zurückkehren, verzieht das Gesicht, setzt sich aber in Gang.

Zeitgleich kommt die junge Frau, deren Namen sie noch nicht kennt, auch auf sie zu. „Du lebst tatsächlich noch!" Ihr Ton hört sich unglaublich erleichtert an, als könne sie es kaum glauben.

Lou nickt, als sie sich an Garnu erinnert und einen Schritt näher zu ihr geht, sodass sie nun direkt vor ihr steht und von der Frau großzügig gemustert wird.

„Lass uns nicht darüber reden, bitte.", sagt Lou und sofort nickt ihr Gegenüber verständnisvoll.

„Natürlich, das werde ich akzeptieren. Ich versuche es, um ehrlich zu sein, auch noch zu verarbeiten und zu vergessen."

Sie streicht sich durch die Haare, streckt Lou danach die Hand aus. „Ich bin Kira.", sagt sie freundlich, obwohl Lou ihr ansieht, dass es ihr schwer fällt, diesen Schritt zu gehen.

Beide erinnern sich an etwas, was ihnen noch weh tut. Nur weil sie den anderen sehen und es damit verbinden. Aber Lou darf ihre negativen Gefühle nicht an ihrer Helferin auslassen, somit ergreift sie die ihr dargebotene Hand. „Ich bin Lou.", sagt sie. Sie fühlt sich sogleich wohl, als sie die Hand schüttelt. So als würde sie vergessen, dass der Hauself da ist. Zum Glück ist Kira ein Mädchen, sonst würde dieser Dialog gar nicht mehr stattfinden können. So muss sie nur Malfoy Bescheid sagen und darf sich vor dem Hauselfen nicht verplappern, nichts Auffälliges tun. Der erste Schritt, nämlich das Helfen von Kira nicht anzusprechen, klappt schon mal. Lucius darf niemals erfahren, dass Lou geholfen wurde und es einen Zeugen gegeben hat.

Die beiden lassen sich los, schauen einander für ein paar Sekunden schweigend an. „Freut mich wirklich, dich zu sehen."

„Mich auch. Und danke für dein Hilfe...", murmelt Lou, weil sie der Frau das wirklich schuldig ist. Sie wird sich eine schöne Erklärung für Lucius ausdenken müssen, weshalb sie ihr dankt. Aber das ist es ihr wert.

Kira nicht. „Das war das Mindeste, sonst war ich ja auch zu feige um einzuschreit-"

„Nein, nein, wirklich alles gut.", sagt Lou und unterbricht Kira damit sofort.

Lou schaut sich um, möglichst auffällig für ihren Gesprächspartner. Sie hofft, dass Kira ihre stille Botschaft versteht.

Die kluge Frau runzelt die Stirn, folgt Lous Blicken, sagt aber nichts. Dafür wechselt sie aber das Thema. „Bist du neu hier? Soll ich dich herumführen, dir alles zeigen? Ich studiere übrigens Verwandlung und Zaubertränke, wie du vielleicht schon erahnen kannst..." Sie macht eine Pause, um dieses Thema zu umgehen. „Was studierst du?"

„Zauberkunst", erwidert Lou und folgt Kira, die mit ihrer wundervollen, hilfsbereiten Art versucht, Lou alles zu erklären und sie abzulenken. Zumindest denkt Lou, dass es die Absicht von der jungen Frau ist. Sie erwähnt danach Malfoy nicht mit einem Wort, macht auch keine Andeutungen mehr. Sie hilft Lou, diese schwere Zeit für einige Minuten in der Mittagspause ausblenden zu können.

Besitz, Liebe, Schmerz, Zweifel - Lucius MalfoyDove le storie prendono vita. Scoprilo ora