73. Kapitel

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Ist es ihr Gewissen, das sich meldet? Die minimalen Zweifel daran, ob sie sich richtig verhält und wirklich fliehen sollte?

Sie senkt den Kopf resigniert. Alles ist immer so schrecklich kompliziert! Es ist bestimmt schon Mittag und sie kann nicht in die Universität. Was ist, wenn es weiter so werden wird? Wenn sie nicht mehr in die Uni wegen ihres Verhaltens und seiner Reaktionen darf?

Sie seufzt und fährt sich mit den Händen über das Gesicht. Sie sollte sich entschuldigen. Sie hat zwar nichts getan und die Schuld liegt eindeutig nicht bei ihr, aber es wäre wohl das beste. Für alle und für alles.

Sie kreist die Schultern nach hinten und richtet sich auf, greift erneut nach der Haarbürste und macht sich fertig.

Danach tritt sie aus dem Schlafzimmer von Lucius und ihr und geht die Gänge entlang. Sie ist nicht auf dem Weg zum Frühstück oder Mittagessen - je nachdem wie man das bei der Tageszeit nennen will - , sondern auf dem Weg zu ihm. Als sie vor seinem Büro ankommt, in dem er gerade sicherlich arbeitet, dreht sie sich ein letztes Mal unsicher um und hebt die Hand. Kurz bevor sie klopft, hält sie inne. Ist es wirklich richtig, sich zu entschuldigen? Sie kann doch nichts dafür! Ist ihr letztes Fünkchen Würde schon gestorben, sodass sie für etwas um Verzeihung bitten will, das sie absichtlich nie begangen hat?

Weshalb fühlt sie sich so schlecht? Was macht diese Zeit bei Malfoy mit ihr?

Ihre Faust trifft auf das Holz und das Geräusch lauten Klopfens ist zu hören. Sie streift sich das Kleid glatt, welches sie aus dem Schrank gezogen hat, um dem anderen Kleid geradezu zu entkommen.

Die Tür ist so massiv, dass sie kaum etwas von innen hört. Nur ein gedämpftes: „Herein."

Lou, die gerade noch mit dem Gedanken gespielt hat, doch umzudrehen und wegzugehen, holt tief Luft, öffnet die Tür und tritt herein.

Was sie vor sich sieht, überrascht sie. Lucius ist nicht alleine. Ihm gegenüber vor dem Schreibtisch sitzt ein eleganter Herr. Agnar Karlsson in seinem schwarzen Mantel befindet sich dort- Er hat die Beine überschlagen und schaut flüchtig auf. Als er realisiert, wer es ist, wendet er sich sofort desinteressiert ab.

Lucius hat Besuch? Warum hat er Besuch? Davon hat sie gar nichts mitbekommen! Gut, sie hat ja auch geschlafen. Aber wollten die beiden nicht weiter über Geschäftliches auf der Hochzeit reden?

Sie runzelt die Stirn, nickt dem Mann, der sie ignoriert, aber höflich zu. Sie weiß, dass er es wahrnimmt, auch wenn er es nicht erwidert. Trotz allem muss sie es dennoch tun, schließlich gehört es zu Etikette. Lou ist froh, seine Frau und damit ihr eigenes Leid wiedergespiegelt, nicht sehen zu müssen.

Lucius mustert sie mit scharfem Blick. Er legt den Füller, den er in der Hand gehalten hat, beiseite und erhebt sich langsam.

„Lou... Was möchtest du?", fragt er in einem kühlen Ton. Lou senkt zeitgleich den Kopf. „Ich möchte mit dir reden, wenn du Zeit dafür findest.", sagt sie leise und emotionslos. Sie wird abgewiesen, das weiß sie schon in dem Moment. Lucius hat keine Zeit für sie, kümmert sich nicht darum. Zumal er heute negativ auf sie gestimmt ist.

Wenn? Falls trifft es eher. Geh doch bitte zurück auf unser Zimmer oder iss etwas, falls noch nicht geschehen. Ich habe wichtige Termine, bei denen ich nicht gestört werden möchte.", sagt er. Am Anfang und Ende ist seine Stimme hart und kalt, nur in der Mitte wird es weicher. Unsicherheit macht sich in ihr breit, sodass sie weiter nach unten schaut. Langsam nickt sie. Sie fühlt sich geohrfeigt. Sonst hat er doch auch immer alles stehen und liegen gelassen, um zu ihr zu kommen! Jetzt nicht. Ist es, weil sie ihn gestern von sich gewiesen hat? Sie schluckt, versucht das schlechte Gefühl herunterzuschlucken. Immer wieder sagt sie sich, dass es nicht ihre Schuld ist.

„Natürlich, Lucius.", sagt sie leise, ehe sie sich umdreht und wieder zu Tür geht. „Entschuldige bitte die Störung." Mit diesen Worten greift sie nach der Tür und will sie schließen, als sie noch die Stimme Karlssons vernimmt: „Welche Unverschämtheit, zu glauben, dass..."

Bevor Lou noch mehr hört, schließt sie die Tür und entfernt sich von ihr. Ein paar Sekunden schaut sie auf das Holz, bis sie tief durchatmet und sich umdreht und geht. Sie geht nichts essen, geht nicht raus, weil sie das alleine auch nicht darf, sondern sitzt auf einem Sessel im Wohnzimmer mit Blick auf ein paar Büchern an der Wand. Aus den Regalen sind alle Romanzen entfernt worden. Dasselbe gilt sicherlich für die Bibliothek. Apropos, sie könnte dorthin gehen und sich weiter auf das Bevorstehende vorbereiten. Aber irgendetwas hält sie davon ab. Lustlosigkeit macht sich in ihr breit, die sie dazu bringt, einfach nur geradeaus zu schauen und nicht mal mehr zu denken.

Als sie Schritte hört, dreht die den Kopf zum Eingang. In der Tür steht Lucius und sieht zu ihr. Er hat zwei Briefe in der Hand und steht aufrecht wie immer da. „Mein Treffen ist beendet. Wie... geht es dir?", fragt er in einem ruhigeren Ton, der Lou aufatmen lässt. Ist er noch sauer?

„Gut.", sagt sie und schaut ihn weiter an. Malfoy macht Anstalten, zu ihr zu gehen, doch das erste Mal sieht sie, wie er wirklich zögert und dann doch stehen bleibt. „Weshalb wolltest du zu mir?", fragt er ebenso leise wie sie geantwortet hat.

Lou zuckt mit den Schultern. „Es ist egal.", sagt sie und beißt sich aufgrund der Zweifel auf die Unterlippe.

„Nein, es ist nicht egal."

„Stimmt."

„Warum erzählst du es mir dann nicht? Hast du mal wieder Angst? Fürchtet du dich vor meiner Anwesenheit?", fragt er sie. Sein Ton lässt keinen Vorwurf erkennen, aber Lou weiß, dass er es so meint. Ihr Mund wird trocken. „Es tut mir leid.", bringt sie über die Lippen und legt den Kopf in den Nacken. „Wegen gestern - oder besser gesagt heute."

Malfoy hebt eine Braue und setzt sich nun doch in einen Sessel, legt die Briefe weg, schnippst einmal und nippt schon an einem Feuerwiskey. „Warum tut es dir leid? Du kannst nichts dafür. Ich habe nachgedacht. Ich kann dir nicht für alles die Schuld geben. Dann darfst du mir aber auch nicht an allem die Schuld geben. Es ist eine schwierige Situation. Es wird besser werden. Ich war in den letzten Tagen seit Jahren wieder glücklich. Ich dachte, du würdest dich langsam daran gewöhnen und mich beginnen mich zu lieben. Aber wie es scheint, ist dem nicht so. Ich bin keine einfache Person, wie du weißt und wie ich dir schon oft gesagt habe. Ich will lieb zu dir sein, dir all meine Liebe geben. Aber ich kann nicht damit umgeben, wenn du sie nicht annimmst und welche zurückgibst."

Lou nickt zögerlich und spürt, wie die Anspannung von ihr fällt. „Wir passen, was das angeht, nicht zusammen."

Lucius trinkt sein Glas in einem Zug aus. „Doch, das tun wir. Nur müssen wir erst einmal Hürden überwinden."

Lou nickt erneut. In ihr kommt die Frage auf, weshalb er plötzlich so vernünftig ist und seine Meinung geändert hat. Vor nicht mal einer Stunde war sie noch vollkommen anders. Was passiert mit ihm? Was passiert mit ihr?

„Wir verändern uns.", stellt sie fest. „Denkst du, damit können wir diese Hürden überwinden?"

„Nein."

Besitz, Liebe, Schmerz, Zweifel - Lucius MalfoyWhere stories live. Discover now