11.Kapitels: Dort wo Spuren sind

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Die Tage der Reise schienen Kajatan auszuzehren. Er schlief noch weniger als sonst, blickte immer finster der nächsten Stadt entgegen und ließ sie noch weniger aus den Augen, als er es auf ihrer Hinreise getan hatte.
Die Angst schien ihm in den Knochen zu sitzen und gehörte mittlerweile so sehr zu seinen Begleitern wie die Schatten der Müdigkeit in seinen Augen.

Ri gefiel das alles ganz und garnicht.
Sie mochte es nicht, wie er bei jedem noch so kleinen Geräusch aufschreckte, waren sie in einem ihrer Verstecke. Oder wie er plötzlich verschtummte, war es ihr gerade gelungen ihn in ein Gespräch zu verwickeln, nur um hastig Fenster und Tür zu überprüfen.
Er fand nichts, nicht ein einziges mal.
Es gab nicht eine Spur ihrer Verfolger, so das Ri sich langsam fragte, ob es sie tatsächlich gab.

Vielleicht hatte Ryu gelogen, um ihn zu verunsichern. Wenn es so war, so war es ihm gründlich gelungen.
Vielleicht waren sie aber auch nicht so gut wie Kajatan dachte oder schlicht nicht so sehr an ihm interessiert, wie er glaubte.

Doch all das waren nur Vermutungen. Kajatans Angst hingegen war real und Ri bemerkte mit Sorge wie sie ihm von Tag zu Tag mehr auffrass.
Es schien ihr, als stehle sie ihm etwas, etwas das ihn ausmachte und jeden Morgen war weniger von ihm übrig.
Das ging so lange, bis Ri es nicht mehr ertragen konnte.

„Das kann so nicht weiter gehen,“
sagte sie bestimmt in den scheinbar leeren Raum. Kajatan, der oben auf dem Dach saß, beugte sich über die Kante und schaute sie kopfüber durchs Fenster an.

„Was meinst du?“
Die Worte waren nur ein Flüstern, als fürchte er bereits zu lautes Sprechen könne die Jäger zu ihnen führen.

„Genau das. Es ist mitten in der Nacht und du hast seit vier Tagen nicht geschlafen. Doch statt dich auszuruhen, sitzt du auf dem Dach und hälst Ausschau nach einem Feind der nicht kommen wird.“

Er zuckte zusammen, doch ob ihrer Worte oder wegen ihrer erhobenen Stimme konnte sie nicht sagen.
Mit einer Bewegung, die nichts geschmeidiges mehr hatte, schwang er sich zu ihr ins Zimmer, den Finger an den Lippen.

„Ich hab es dir doch bereits erklärt. Sie haben uns nur noch nicht gefunden, weil wir schneller sind, als sie es für möglich halten.“

„Dann verstehe ich nicht wo das Problem ist. Dann werden sie uns doch niemals finden.“
Die Sorge um ihn schien in ihr all die möglichen Gefahren an Bedeutung verlieren lassen.

Er schüttelte den Kopf.
„Shinda ist unser Vorteil, doch das heißt nicht das uns nicht einer von ihnen in dieser oder einer der anderen Städte auflauern könnte. Sie haben überall ihre Ohren und ihre Leute sind schnell.“
Er sprach eindringlich, wie mit einem kleinen Kind. Irgenwo machte sie das wütend, aber ihre Angst um ihn wog schwerer.

„Und was spricht dagegen das ich für den Rest der Nacht wache halte und du dich ausruhst?“
versuchte sie es, diesmal freundlicher.

„Das du den Schlaf nötiger brauchst als ich und deine Sinne deutlich schwächer sind als meine.“

Sie verzog das Gesicht ob des Stachels in seinen Worten, doch auch diesmal ignorierte sie es.
„Ich habe bereits genug geschlafen und aus dem Wesen bekomme ich eh nichts raus. Ich weiß das meine Augen und Ohren nicht so gut sind wie deine, aber du machst dich kaputt.“

Er seufzte. Die Müdigkeit schien ihn mürbe gemacht zu haben, denn schließlich nickte er ergeben.
Ri fiel ein Stein vom Herzen und schnell räumte sie das einzige Bett, das sich in diesem Haus befand. Sie beobachtete wie er sich hinlegte, nur um sicher zu gehen, das er es wirklich tat.

„Weck mich, kurz vor Sonnenaufgang,“
nuschelte er noch, dann war er bereits weg gedämmert. Er musste noch erschöpfter sein, als sie geglaubt hatte, wenn er so schnell einschlief.

Ri indes hangelte sich, unter leisem Keuchen aufs Dach hinauf. Bei ihm sah das immer so furchtbar einfach aus.
Dann saß sie da, von Dunkelheit umgeben, die nicht einmal die leuchtenden Himmelskörper durchbrachen, denn es herrschte wieder einmal ein gewaltiger Sandsturm. Sie blickte hinunter auf die verlassenen Straßen, auf denen sie nicht ein mal die Eingänge der einzelnen Häuser erkennen konnte, geschweige denn eine einzelne Person und über das Heulen des Windes würde sie bestimmt keinen hören der sich heran schlich, selbst wenn dieser sich keine Mühe gab.

Kajatan hatte recht gehabt. Ihre Sinne waren zu stumpf, als das sie eine gute Wache hätte abgeben können, aber sie war bereit das Risiko ein zu gehen.
Denn sonst würde Kajatan in den nächsten Tagen vor Erschöpfung zusammen brechen.

Sie verbrachte die letzten Stunden der Nacht dort oben, auch wenn es wenig Sinn hatte. Erst als das erste dämmrige Licht, das den Sonnenaufgang verkündete, durch die dicken Sandwolken drang, kletterte sie zurück ins Zimmer.

Kajatan schlief noch immer und das so tief, das er nicht einmal erwachte, als sie ihn vorsichtig anstieß und seinen Namen sagte.
Er musste wirklich erschöpft gewesen sein.

Er hatte sie gebeten sie noch vor Sonnenaufgang zu wecken, dafür war es sowieso bereits zu spät und da er die Erholung bitter nötig hatte, beschloss sie ihn schlafen zu lassen, gegen seine direkte Anweisung.
Sie wusste, das es das Risiko entdeckt zu werden weiter steigerte, aber auch das nahm sie in kauf.

Sie wollte sich gerade ab wenden, als er sich auf dem Bett unruhig herum warf und mit der Hand durch die Luft fuhr, als versuche er im Traum etwas zu packen.
Unsicher blieb sie stehen.
Hatte er einen Alptraum, sollte sie ihn doch lieber wecken?

Instinktiv legte sie ihre Hand auf seine, wie um ihn zu beruhigen und war kurz überrascht, als er im schlaf danach griff.
Seine Finger waren wie ein Schraubstock, als sie sich um ihre Schlossen. Natürlich hätte sie sich los reißen können, aber das hätte ihn sicher geweckt, also blieb sie wo sie war und hoffte, das er sie bald von alleine los lassen würde.

Doch statt das zu tun, klammerte er sich weiter daran und je fester er sie hielt, umso mehr entspannte sich seine Gesichtszüge. Ri musste gegen ihren Willen lächeln, als sie ihn betrachtete. Im Schlaf wirkten sie so kindlich, als wäre er nur ein kleiner Junge und nicht der finstere Krieger, den er mit solcher mühe spielte.

Sie konnte es nicht leugnen. So ohne die angespannte Miene, die er immer aufsetzte, war sein Gesicht deutlich liebenswerter. Natürlich konnte er auch sanft schauen, aber das hier war anders.
Sie hatte das Gefühl, als könne sie durch all das, was er glaubte sein zu müssen, auf den wahren Kajatan blicken.

Ein Fünfundzwanzig Jahre alter Junge, noch kein richtiger Mann, mit zu vielen Sorgen, zu vielen Ängsten und Dingen um die er sich kümmerte. Hinter sich ein Leben, das er nie gewollt hatte, das ihn zu etwas gemacht hatte, das er nie sein wollte und das jetzt drohte ihn ein zu holen.

Gedanken verloren strich sie ihm eine lose Haarsträhne unter die Kapuze seines langen Mantels. Er trug sie immer und wie vorher mit der Maske, hatte sie ihn noch nie ohne gesehen.
Ob auch das einen Grund hatte?

Sie versuchte die Gefühle zu ergründen, die bei seinem Anblick in ihr aufstiegen.
Sie wünschte es wäre Liebe, das würde einiges einfacher machen. Aber wenn es welche war, woran sollte sie sie erkennen?

Sicher war nur, das sie ihn mochte, sehr sogar.

Sie blieb lange bei ihm stehen, länger als sie vorgehabt hatte und so stand sie nicht am Fenster, um zu sehen, wie ihm wachsenden Licht des Morgens eine schwarze Gestalt die Straße entlang huschte. Mund und Nase hinter einer breiten Stoffbahn verborgen, aber das störte diese nicht, denn ihr Geruchsinn war fein genug um selbst durch diese Schicht die schwachen Spur wahr zu nehmen, die in der Luft hing.

Der Kopf ruckte herum, wie der eines Vogels und der Raubtierblick wanderte die Häuser entlang. Dann verzog sich der Mund unter dem Tuch zu einem Grinsen und die Gestalt verschwand wieder in den Schatten.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now