66.Kapitel: Dort im Garten der Königstochter

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Ris Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie spürte den stetigen Puls in jeder Faser ihres Körpers, während sie ein Tuch nach dem andern zur seite schob.
Gleich würde sie ihn sehen, den Mann der ihr Volk in Ketten hielt, der König dieses Landes.
Gleich.

Vor ihr öffnete sich der Innenraum des Tempels. Der Boden war geschmückt, mit einem Mosaik, aus hauchzarten Farben, die sich um einander schlangen und über den Stein tanzten. Neben ihm verblassten selbst die kunstvoll verzierten Wände im Rest des Palastes.
Vier große Feuerschalen, waren an den Rändern des Raumes aufgestellt. Sie verbreiteten ein flackerndes Licht, in dem die vier Wachen wie Statuen wirkten. Die standen hinter den Flammen, bewegungslos und mit Falkenmasken vor dem Gesicht.
Jeder von ihnen hielt einen Bogen, gespannt und schuss bereit.

In der Mitte des ganzen Prunks erhob sich die schmale Treppe aus Stein, die bestechend schlicht gehalten war, betraten man den Thron, der sich auf ihr erhob. Es war die größte Ansammlung von Gold, die Ri je in ihrem Leben gesehen hatte.
Alle Seiten verziert mit dem königlichen Symbol.
Und auf ihm saß, eingekleidet in kostbaren Samt und Seide, behangen mit den Diamanten der Herrscherfamilien, das Skelett eines Mannes.

Ri taumelte zurück.
Blinzelnd sah sie noch einmal hin, aber das Bild veränderte sich nicht.
Es blieb nur der Überrest von dem was einmal der König gewesen war. Dort, wo die Augen hätten sein sollen, waren nur zwei schwarze Höhlen, aus denen er sie leer anblickte.
Auf dem weißen Schädel saß sogar noch die Krone. Sie funkelte im Licht der Feuer, als läge sie nicht auf dem Haupt eines Toten.

Sie verstand nicht. Wenn er tot war, wer hielt dann ihr Volk gefangen und wer hatte sie gerufen. Warum schien niemand zu wissen, das der König längst nicht mehr unter ihnen weilte?

„Es wurde auch Zeit, das du auftauchst. Ich dachte schon ich hätte ausversehen den falschen Befehl gegeben und man hätte dich hingerichtet.“

Ri erkannte die Stimme, auch wenn sie jetzt direkt zu ihr sprach, nicht gefiltert durch die unzähligen Bahnen aus Stoff.
Es war jene Stimme, die sie zum eintreten aufgefordert hatte.
Die Stimme einer Frau.
Und wirklich, wie eine Erscheinung, die direkt aus einer andern Welt zu ihr trat, schritt sie hinter dem Thron hervor.
Lange schwarze Haare glitten ihr über die Schulter und umrahmten ein Gesicht, das so perfekt wirkte, als gehöre es einem übermenschlichen Wesen. Ein Kleid aus blauer Seide, bestickt mit goldenen Blüten, umwaberte ihre Gestalt, wie die Erinnerung an einen Traum.
Sie lächelte und ihre zart rosa Lippen verzogen sich. Es wirkte kontrolliert, wie auswendig gelernt, nicht, als empfände sie die Freude wirklich, die damit ausgedrückt wurde.

Ri erwiederte es nicht, sie war noch immer zu überrumpelt von dem was sie gerade erfahren hatte.
Die Frau folgte ihrem Blick, der zwischen ihr und den weißen Knochen hin und her wanderte und das falsche Lächen wurde echt.
„Ja, mein lieber Vater. Er ist leider vor gut einem Jahr verstorben.“

Das letzte Wort dehnte sie, als wäre es Honig. Ri hatte das Gefühl, als würden die klebrigen Fäden ihr die Lunge verschließen.
Die Augen der Frau beobachteten sie dabei kalt, als wolle sie sehen ob Ri verstand. Das tat sie durchaus.
Diese Frau hatte ihren eigenen Vater ermordet.
Das bedeutete, sie hatte nicht nur eine Mörderin vor sich, sondern auch die Prinzessin dieses Landes.
Die Königin, berichtigte sie sich. Denn soweit sie wusste hatte der König keine weiteren Verwandten gehabt, als seine Tochter.

„Ich habe, nach seinem Tot das Fleisch entfernen und die Knochen bleichen lassen. Schau.“
Gelassen trat sie die wenigen Stufen zu den Überreste ihres Vaters hinauf und griff nach der knöchrigen Hand.
Ri kam ein erschreckter Laut über die Lippen, als sich die zarten Finger um den Arm des Toten schlossen.
Es kam ihr so falsch vor ihn zu berühren. Tote sollten unter der Erde ruhen, betrauert von ihren Liebsten und nicht hergerichtet als Dekoration drapiert werden.

„Ich habe die Knochen verbinden lassen.“
In die eisigen Augen der Königin trat so etwas wie Stolz, als sie ihr Werk präsentierte.
Ri erkannte, in dem flackernden Licht, dünne Fäden aus Eisen, die zwischen den bleichen Gebeinen des Königs gespannt waren und das Skelett zusammen hielten. Sie glänzten im Schein der Feuer, rot, als hätte man sie in Blut getränkt. Als wären es die wenigen, verbliebenen Muskeln des einstigen Herrschers. Doch sie verliehen ihm nicht die Kraft sich gegen seine Tochter zu wehren, sondern verhinderten nur, das seinen Überresten auch das letzte Bisschen an Würde genommen wurde.

Ri konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, das der Geist des Mannes, der von seiner eigenen Familie verraten wurde, immer noch anwesend war. Als stecke er noch in dessen Knochen, gefangen gehalten durch die Wut auf jene, die ihm das angetan hatte.
Sie hatte das Gefühl, als blicke er aus seinen toten Augen zu ihr hinab und flehe sie um Erlösung an.

Die Königin schaute noch immer kalt zu der Golem hinab und Ri meinte den selben Ausdruck in ihren Augen zu sehen, wie in denen ihres Vaters. Nur das er bei ihr nicht ofen da lag, sondern bedeckt war, von einer Schicht aus Eis.

„Ich habe mir gedacht, das es ganz witzig wäre ihn hier her zu setzen, als keinen Schreck für meine Besucher. Außerdem kann ich so bei Fragen nach ihm sagen, das er auf seinem Thron sitzt, es ihm aber gerade nicht so gut geht und muss nicht mal lügen.“
Mit ihren schlanken Fingern fuhr sie über die bleiche Stirn des Schädels. Eine Geste, die liebevoll hätte wirken können, wäre da nicht der grausame Zug um ihren Mund gewesen.

„Warum erzählst du mir das alles.“
Es waren die ersten Worte, die Ri seit dem Auftauchen der Königin heraus brachte. Ihre Stimme war nicht so fest, wie sie sich es gewünscht hatte.

Die Frau lächelte wieder ihr falsches Lächeln.
„Weißt du, ich habe nicht gerade viele Leute mit denen ich mich unterhalten kann. Die meiste Zeit muss ich mich um die Geschäfte des Königs kümmern, schließlich wollen wir nicht das jemand mitbekommt, das mein werter Vater tot ist. Eine Frau darf schließlich nicht an der Spitze des Landes stehen.“
versonnen schritt sie die Treppe wieder hinab und blieb an ihrem Fuß stehen.

„Und wenn ich heirate und damit als wirkliche Königin anerkannt werde, muss ich meine Macht abgeben und dann ist niemand mehr da, der sich um meine Schwester kümmert.“

Ri horchte auf. Es hatte geheißen der König hatte eine Tochter. Eine.
Etwas sagte ihr, das sie die Geschichte dahinter nicht wissen wollte.



Entschuldigt die kleine Verspätung, war ein harter Tag heute🙈

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now