80.Kapitel: Dort unter Schwestern

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Ri sah nur noch Ausschnitte. Kurze Szenen, die ihr zeigten welche Schwierigkeiten es die erste Frau gekostet hatte, die Verbindung weiterhin zu unterdrücken. Wie sie Tag und Nacht bei dem Kristall geblieben war während ihre Leute ihn durch die Wüste transportierten, weg von jener Stadt, die ihnen nichts als Unglück gebracht hatte.

Mit der Zeit lernte sie, wie sie die Bewusstseine der Golem anfassen musste, um sie gefügig zu halten, doch selbst da verließ sie die Angst nicht, denn wenn sie vergaß was passieren würde wenn sie die Kontrolle verlor, würde es passieren. Dann würden sich die goldenen Wesen befreien und die Menschheit würde unter gehen.

Das lehrte sie auch ihre Tochter, die nach ihrem Tod die Aufgabe übernahm. Doch da hatte sich die Angst der Mutter bereits in den Verbindungen fest gesetzt. Die nächste Generation brachte neue Angst und jede nach ihr ließ die Kälte wachsen, bis sie stärker als die Frauen wurde, die sie führen sollten.
Sie verselbständigte sich, bekam einen eigenen Willen, der fortwährend nach Nahrung rief. Weitere Angst, damit sie wachsen konnte. Bald ernährte sie sich auch von den Ängsten der Golem und allen, die sie irgendwie erreichen konnte. Das Monster wuchs, unbemerkt von allen um es herum und wurde weiter gegeben, von einer Frau zur nächsten, bis sie irgendwann bei dem Mädchen angelangten, das Ri in diesem Moment in den Armen hielt.

Sie sah Eindrücke aus ihren Erinnerungen, wie sie immer unter ihren älteren Brüdern gelitten hatte, denen es das größte Vergnügen bereitete hatte sie zu piesacken. Unter ihrem aufbrausenden Vater und ihrer schweigenden Mutter, die ihr Leben an einen Kistall gekettet verbrachte, dessen Funktion sie nicht verstand.
Doch am meisten fürchtete sie sich vor ihrer Zwillingsschwestet. Das Mädchen, das Rehema hieß und ihr so unglaublich ähnlich sah, das alle sie stehts verwechselten.
Sie hatte ihr immer vorgehalten, das sie wenige Sekunden älter war und sie mit diesem Argument gezwunden die erniedrigsten Dinge für sie zu tun.
Doch egal was es war, ob sie ihre Schuhe putzen oder ihre Spielsachen abgeben musste, sie hatte es immer getan. Immer.
Denn nichts fürchtete sie so sehr, wie ihre Schwester. In den schwarzen Augen hatte immer eine Kälte und Grausamkeit gelegen, die das junge Mädchen zum verstummen brachten.

Dann war einer ihrer Brüder gestorben.
Ein Unfall, er war die Treppe hinab gestürzt.
Sie hatte seine Leiche nicht gesehen, doch erinnerte sie sich noch gut an die Trauerfeier, auf der alle betroffen auf den Sarg gestarrt hatten. Alle außer ihrer Schwester Rehema. Sie hatte zwar den Kopf gesenkt, war in Trauerkleidung gehüllt, wie alle anderen, aber in einem Moment, in dem sie sich unbeobachtet glaubte, war ein zufriedenes Lächeln über ihre Lippen gehuscht. Sie hatte den Blick ihrer kleinen Schwester gespürt und sie mit einem abschätzenden Ausdruck angesehen, als frage sie sich ob sie ihr etwas nutzte.
Deren Herzschlag hatte sich vor Angst verdoppelt und in ihrer Brust geschmerzt, als sie meinte vor Furcht wahnsinnig werden zu müssen. Ihre Panik war für die Ältere wohl deutlich ersichtlich, den sie hatte einen Finger auf die Lippen gelegt und gelächelt.

Danach war der erst gebohrene Sohn bei einem Ausritt in die Stadt einfach verschwunden. In einem Moment hatte er auf seinem Hamel gesessen, im nächsten war keine Spur mehr von ihm zu finden, zumindest war das die Aussage seines Hofstart gewesen, der ihn hatte bewachen sollen.
Ihr Vater hatte getobt und sie alle hinrichten lassen.
Der älteste Bruder war nie wieder aufgetaucht.

So war es über die Jahre weiter gegangen. Einer ihrer Brüder nach dem anderen war verschwunden, gestorben oder ermordet aufgefunden worden. Bis nur noch sie beide und ihre jüngeren Geschwister am leben waren.
Das Mädchen hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen gehabt, schließlich wusste sie wer für den Tod all ihrer Verwandten verantwortlich war. Aber die Angst hatte sie schweigen lassen, auch an diesem Morgen, als ihre Zwillingsschwester zu ihr ins Gemacht gekommen war und ihr erklärte, das ihr Vater sie beide sehen wollte und sie sich umziehen sollte.
Schnell hatte das Mädchen eines ihrer schönsten Kleider raussuchen lassen, doch es hatte Rehema nicht gefallen. Auch alle weiteren Kleider hatte sie abgelehnt.
„Vater sagte, es sei etwas wichtiges, so kannst du wirklich nicht dort auftauchen. Ich weiß, hier, nimm eines von meinen.“

Verständnislos hatte sie auf den Traum aus blauer Seide geschaut, den ihre Schwester doch so gerne trug. Schließlich hatte sie es die letzten male immer getan, als sie bei ihrem Vater gewesen waren.
Hoffnung keimte in ihr auf. Das Rehema ihr ihr liebstes Kleid gab, konnte nur bedeuten, das sie ihr etwas bedeutete. Etwas, das sie nicht nur vor den Modversuchen schützen würde, sondern auch das war, wonach sich ihr kleines geschundenes Herz all die Zeit gesehnt hatte.
Freude strahlend hatte sie es angelegt.

Ihre Schwester hatte ein neues Gewand tragen müssen, doch es hatte ihr nichts ausgemacht, so schien es dem Mädchen, den sie Lächelte die ganze Zeit zufrieden. Es war in sanften rot Tönen gehalten, eine Farbe, die sie sonst bevorzugte.

Glücklich war sie neben Rehema her zum Thronsaal gelaufen, froh über die gute Laune der Älteren.
Kurz vor der Tür hatte sie sich mit einem kalten Funkeln zu der Jüngeren umgedreht.

„Denk dran, du sagst kein Wort bevor du nicht gefragt wirst, sonst schneidet Vater dir die Zunge raus.“
Dann hatte sie die Tür geöffnet, ohne dem Mädchen die Zeit zu lassen die plötzlich so harschen Worte zu verarbeiten.
Sie waren Seite an Seite eingetreten und vor ihrem Vater auf die Kni gefallen. Der hatte nur müde auf sie hinab gesehen und mit, beinahe gelangweilten Ton zu sprechen begonnen.

„Eure Mutter wird wohl nicht mehr allzulange am Leben bleiben, das Alter setzt ihr zu sie ist aufgebracht.“
Auch wenn das Mädchen die herablassende Art kannte, mit der ihr Vater über jeden sprach, so tat es ihr doch wie jedes mal wieder weh, ihn so reden zu hören. Doch sie sagte nichts, kniete nur da und wartete auf das was kommen würde.

„Deshalb wird eine von euch ihren Platz einnehmen müssen um unser Macht aufrecht zu halten.“
Dem Mädchen wurde kalt. Sie hatte nie gewusst warum ihre Mutter an den Kristall gekettet war. Es war eine dieser Dinge, die sie sich nie zu fragen getraut hatte. Nun aber wünschte sie sich es getan zu haben.
Allein die Vorstellung, den Rest ihres Lebens diese Aufgabe, was immer es war, zu erfüllen, ließ sie schaudern.

„Erklären wird sie, wie das ganze funktioniert. Die Aufgabe übernimmt traditionell die älteste Tochter. Wer von euch war das noch mal?“

Es überraschte sie nicht, das ihr Vater sie nicht auseinander halten konnte. Er hatte sich nie besonders mit seinen Töchtern beschäftigt, nur mit seinem ältesten Sohn. Da der den Thron hätte erben sollen, doch ihn gab es nicht mehr.

Das Mädchen wartete eigentlich darauf, das ihre Schwester aufstand und damit die Frage ihres Vaters beantwortete, doch neben ihr regte sich nichts. Verwundert sah sie zu ihr hinüber, nur um auf ihr grinsendes Gesicht zu stoßen. Als sie, nun völlig verwirrt nach Vorne sah, lagen die Augen des Königs auf ihr, nicht auf Rehema.

„Ja richtig. Die Blaue wars.“
Er schnippte mit den Fingern und zwei Wachen lösten sich aus seinem Schatten. Die, für sie, riesigen Männer kamen auf mit langen Schritten auf das Mädchen zu und das erste mal kam ihr der Gedanke, das etwas nicht stimmte, ganz und gar nicht stimmte.

„Nein, sie ist die Ältere, sag es ihm, Rehema!“
Die zog bei ihren verzweifelten Worten nur die Stirn in Falten.

„Was redest du? Du bist Rehema.“

Die Wachen packten sie, während sie glaubte in ihrer Panik ertrinken zu müssen. Sie warf sich gegen die unerbittlichen Arme, geberdete sich wie ein wildes Tier und rief immer wieder, das sie die Jüngere sei.
Doch weder ihren Vater noch ihre Schwester konnte sie mit ihren Worten überzeugen. Er schüttelte nur den Kopf, scheinbar enttäuscht von ihrem Unwillen ihren Aufgabe zu erfüllen.
Die Gewissheit verraten worden zu sein, lähmte ihren Verstand. Ließ ihr alles wie in einem schlechten Traum erscheinen. Das hier passierte nicht wirklich. Es durfte einfach nicht sein.

Das letzte was sie sah, ehe die Wachen sie fort trugen, war das kalte Grinsen im Gesicht ihrer Schwester.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now