81.Kapitel: Dort wo Ängste lebendig werden

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Die Bilder verklangen. Die Geschichte des Mädchens, die sie Ri erzählt hatten, hallte in der Golem nach und ließen sie die Schmerzen des Geschehenen noch einmal durchleben.
Hatte sie zuvor Mitgefühl mit der verstoßenen Königstochter empfunden, so war es nun gewachsen.
Sie wünschte sich nicht sehnlicher, als ihr zu helfen und sie von ihrem Schicksal zu erlösen, schließlich würde das ihnen beiden dienen. Aber, auch wenn sie sich mit dem Körnchen Schöpferkraft Zeit erkauft hatte, so wusste sie doch nicht wirklich was sie mit dieser Zeit anfangen sollte.

Sie hatte sich vor genommen das Mädchen von ihrer Angst zu erlösen, doch wie stellte man das an?
Vor allem, wie sollte sie es schaffen? Sie, die selbst voller Furcht war?

Ri zwang sich tief durch zu atmen und die Sorge in ihrem Herzen nieder zu kämpfen. Etwas, das sie, so fühlte es sich an, in den letzten Stunden immer wieder getan hatte. Trotzdem hatte die Angst immer wieder einen Weg in ihr Herz gefunden.

Als Ri entschlossen blinzelte, fielen die letzten Reste der Erinnerungen von ihr ab und ließen den Raum um sie leere zurück, nur erfüllt von Schatten und Lichtlosigkeit.
Ri erkannte was sie sah, ähnelte es doch dem Ort, an dem sie ihre Nächte verbrachte. Es war das Bewusstsein von Jemandem und sie war sich sicher zu wissen wessen genau.

Hinter alle der Dunkelheit, kam eine Gestalt zum Vorschein. Sie saß da zu einer Kugel zusammen gerollt, in der Finsternis, die das Monster in ihrem Bewusstsein hinterlassen hatte. Der Blick der schwarzen Augen zu Boden gerichtet und die Hände auf die Ohren gepresst, als versuche ein unangenehmes Geräusch aus zu sperren.
Es war das Mädchen, die Zwillingsschwester der Königin. Ri kannte nicht einmal ihren Namen.

Langsam näherte Ri sich ihr, vorsichtig, wusste sie doch nicht was sie erwartete.
Also trat sie nur zögernd an die Kauernde heran.

Als sie nurnoch wenige Meter trennten, bemerkte sie mit einem Mal, die zuckenden Schatten um die Gestalt der Königstochtet. Sie schienen in der Dunkelheit zu flirren und immer wieder nach dem Mädchen zu greifen. Gesichter und Formen entstanden wie flüchtige Erscheinungen um ihren Körper und riefen Worte, die nicht für Ri bestimmt waren. Sie hörte nur ein hohes Kreischen, unangenehm und bedrohlich. Das Mädchen aber konnte sie verstehen, da war die Golem sich sicher.
Schließlich hatte sie die Ohren verschlossen, als hoffe sie so die Stimmen zum verstummen zu bringen.

Ihre Ängste.
Wie so Vieles auf dieser Ebene erkannte Ri instinktiv worum es sich bei den Schatten handelte. Es waren die Ängste der Königstochter, die an ihr zerrten und ihre Kraft raubten wie ein Schwarm hungriger Geier.
Ri musste sie davon befreien! Das wusste sie so sicher, wie das die Sonne am nächsten Morgen aufgehen würde.
Nur wie?

Langsam beugte die Golem sich herab und versuchte den Blick des Mädchens aufzufangen, doch in den dunklen Augen regte sich nichts.
„Hallo“,
sprach sie die Kauernde an, doch wieder erhielt sie keine Reaktion.
Auch alle weiteren Versuche führten zu nichts. Ri wollte es mit Schütteln versuchen, aber der selbe Instinkt, der Ri gesagt hatte, was die lebendig gewordene Finsternis um das Mädchen war, warnte sie nun davor dieses zu berühren. Es war ein Wissen, das tief in ihr verankert war, so alt wie ihre Rase selbst und es rief ihr zu, das was sie vor sich hatte gegen die Natur war.
Aber was sollte Ri tun, wenn sie mit Worten nicht zu dem Mädchen vordringen konnte. Was blieb ihr anderes übrig als sie zu berühren?

Ein weiteres Mal atmete Ri durch. Sie war entschlossen diesem Weg zu folgen, also würde sie auch bis zu seinem Ende gehen, sie war so gut wie dort.
Nur noch dieses kleine Stück.
Also hob Ri ihren Arm. Ihre Finger zitterten, doch schließlich legte sie ihre Hand auf die Schulter der Königstochter.

Ein Zucken ging durch deren Körper und plötzlich riss sie den Kopf hoch.
Ihre in Schwärze getränkten Augen fanden Ris goldene und starrten hinein, als hätte sie eine neue Welt entdeckt, ohne zu wissen wie sie damit umgehen sollte.
Ri wollte lächeln, ihr die Gewissheit geben, das sie kein Feind war, das sie ihr helfen würde, aber im selben Moment berührte sie etwas an der eigenen Schulter.

Erschrocken blickte Ri auf, rechnete schon mit dem Monster, das sie hinter der Wand aus Schöpferkraft zurück gelassen zu haben glaubte. Doch stattdessen fand sie das Gesicht einer anderen Golem.
Verwundert blinzelte sie und da begannen sich deren Züge zu verändern. Männliche wie weibliche, alte wie junge, jede Art erschien einmal und da wusste Ri, wen sie vor sich hatte.
Sie lächelte ob dieser Überraschung, hatte sie doch geglaubt die Golem, aus den Erinnerungen ihres Volkes nie wieder zu sehen.
Doch die Andere lächelte nicht.

„Du hast versagt.“
Die Worte klangen kalt von ihren Lippen und jagten einen eisigen Schock durch Ris Glieder.
Irritiert sah sie zu dem sich wandelnden Gesicht auf.

„Was? Ich habe doch noch gar nicht..“
Doch ihre Versuche sich zu verteidigen wurden mit einer harschen Bewegung bei Seite gewischt.

„Du hast versagt. Du hast Uns alle enttäuscht. Das Volk der Golem ist verloren und das ist deine Schuld!“
Die andere Golem kreischte, als habe sie Schmerzen, dann zerfiel sie in einem Wirrbel aus goldenem Staub.

Ri, die vorgesprungen war, um sie fest zu halten, sah geschockt auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte.
Sie verstand nicht, was passiert war, aber die Worte der Anderen klangen durch ihren Geist, wie ein gefangenes Echo.
„Deine Schuld, deine Schuld, Versagt!“

Eine weitere Gestalt, tauchte wie aus dem Nichts vor Ri auf und voller verwunderung erkannte sie Kajatan, wie er auf sie zurannte.
Einen Moment fragte sie sich noch, wie er hierher gekommen war, dann hatte der Beschaffer sie auch schon erreicht.
Die Freude, noch getrübt durch die gerade gehörten Worte, verflog, als Ri seinen von Wut verzehrten Ausdruck sah.
Die Züge, die sonst voller Sanftmut und Güte waren und die Ri so liebte, waren entgleist, die Leftzen zurück gezogen um die riesigen Fangzähne zu entblößen.

„Du! Du bist das Schlimmste was mir je passiert ist! Ich war glücklich, bis du kamst und alles ruiniert hast. Ich will nichts mehr mit die zu tun haben! Ich gehe zurück zu den Menschen.“

Dann löste sich auch sein Abbild auf und ließ Ri erschüttert zurück.
Ihr Verstand erkannte, das es nicht der echte Kajatan gewesen war und auch nicht die echt Golem aus Erinnerungen, doch ihr Herz schien das nicht zu verstehen.
Es brannte in ihrer Brust, als haben die Beiden, die sie immer auf ihrer Seite geglaubt hatte, einen Dolch hinein getrieben. Der Schmerz machte ihr das atmen schwer und fast meinte sie Blut auf ihrer Haut spüren zu müssen.

„Ri! Du warst die falsche Wahl!“

Dieses mal war es der Herr der Wüste, der aus der Finsternis schählte und sie voller Verachtung ansah. Sein einst so freundliches Gesicht war bitter geworden von der Enttäuschung, die Ri ihm bereitet hatte.

„Deinetwegen sind die Golem nun für immer gefangen. Du hast alles falsch gemacht. Der Untergang deiner Rasse ist deine Schuld!“

Deine Schuld,
Deine Schuld.

Wieder konnte Ri das Echo nicht aus ihrem Kopf verbannen. Sie wusste, was sie da sah und hörte.
Das war der Grund gewesen warum ihre Instinkte sie gewarnt hatten die Königstochter zu berühren. Deren Ängste hatten ihre eigenen geweckt und nun schrieen sie mit ungehemmter Kraft auf sie ein.

Ri wusste das.
Sie wusste auch, das sie nichts als Trugbilder waren, erschaffen von den Schatten in ihrem Herzen. Wusste, das sie nicht auf das hören durfte, was sie ihr zubrüllten, aber das konnte sie nicht. Egal wie sehr sie sich die Hände auf die Ohren presste, sie hörte ihre Stimmen in ihrem Kopf, wie sie immer wieder wiederholten was Ri am meisten fürchtete.

Deine Schuld,
Deine Schuld.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now