28.Kapitel: Dort wo Sorge wohnt

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Ri schritt gerade aus.
Ihre Füße trafen mit einer geübten Gleichmäßigkeit auf den Boden und legten dabei immer eine vorgeschriebene Distanz zurück. Jeder Schritt war genau so lang wie der Vorangegangene.

Sie tat dies bereits seit mehreren Stunden, ohne eine Mine zu verziehen oder eine Pause einzulegen. Langsam ging ihr die Schrittlänge in Fleisch und Blut über, aber im gleichen Maße schmerzten ihre Beine.
Die Wochen und Monate auf Shindas Rücken hatten sie verkümmern und sie weich werden lassen.

Dunkel erinnerte sie sich, das es einmal anders gewesen war.
Aber das war noch zu den Zeiten in denen sie keine Gefühle besäßen hatte. Damals hatte sie keine Schmerzen gekannt, keine Erschöpfung oder den Wunsch sich selbst zusammen zu rollen und einfach liegen zu bleiben, so wie sie ihn jetzt empfand.

Schweiß stand auf ihrer Stirn und sie musste gegen den Drang ankämpfen, den Mund zu öffnen, um mehr Luft zu bekommen. Kein Golem würde das tun, also würde auch sie das nicht machen, egal wie sehr ihre Lunge brannte.
Wenn sie nicht auffallen wollte, durfte sie keinerlei Regungen zeigen. Kein Zucken oder Straucheln, doch in ihrer jetzigen Verfassung würde ihr das kaum gelingen, also lief sie weiter.

Kajatan war am Morgen des Tages aufgebrochen und jetzt stand die Sonne bereits im Zenit und genauso lange machte Ri bereits ihre Übungen.
Sie hatte sich vorgenommen nicht aufzuhören, bis er zurück kam, wann immer das auch sein würde.

Er hatte etwas von Informationen gesagt, die er einholen wollte und wichtigen Besorgungen, dann war er aus dem Fenster geklettert und über das Dach des Nachbarhaus verschwunden.
Ris Augen waren ihm gefolgt, bis seine Silhouette hinter den vergilbten Wänden der verschiedenen Gebäuden verschwunden war. Sorge hatte dabei in ihrem Gesicht gelegen und ihre Miene in Stein verwandelt, als raube sie alle anderen Empfindungen.

Was wenn die Jäger ihn fanden?
Taynari.
Wenn sie sich begegneten?

Das kleine Tier, für das sie keinen Namen hatte, war bei diesen Gedanken wieder erwacht und hatte seine Runden in ihrer Brust gedreht. Gewaltsam hatte sie es zu beruhigen versucht, nur um fest zu stellen, das dies alles noch schlimmer machte.
Also hatte sie das einzig sinnvolle getan und sich an ihr selbstbestimmtes Training begeben.

Da war sie nun, lief in einem winzigen Raum immer auf und ab, dessen Enge und karge Ausstattung schon kaum mehr wahrnehmend.
Ihre Beine schmerzten zwar von all den Stunden, doch sie nahmen die Gleichmäßigkeit an, auf die Ri abziehlte. Ihre Arme hingegen schienen sich nicht richtig kontrollieren lassen zu wollen. Sie schlakerten hin und her, wenn sie die Muskeln nicht in ständiger Anspannung hielt und die ließ nach, sobald ihre Gedanken abstreiften.

Fluchend warf sie diese Gliedmassen in die Luft, die ihr so garnicht zu gehorchen schienen.

Ein verhaltenes Lachen hinter ihr ließ sie herum fahren und ihr finsterer Blick richtete sich auf Kajatan. Der stand lässig im Türrahmen, die eine Hand um einen Beutel, in dessen Inneren es, bei jeder seiner Bewegungen, verdächtig klirrte.

Ri verzog das Gesicht, wand sich ihm langsam ganz zu und fragte:
„Lachst du mich gerade aus?“

Ihr Ton war giftiger als sie beabsichtigt hatte, aber der Zorn, der das verursacht hatte, verschwand so schnell wie er gekommen war. Er ließ sie erschöpft und mit einem schlechten Gewissen zurück, aber er schien ihren kleinen Ausbruch nicht bemerkt zu haben, oder er ignorierte ihn einfach.

„Entschuldige, aber du sahst gerade einfach zu niedlich aus, wie du dich so aufgeregt hast.“
Er lächelte sanft, was seine weißen Zähne entblößte.

Ri hatte das Gefühl als wäre die Temperatur sprunghaft gestiegen. Ihr Gesicht schien mit einem mal vor Hitze zu glühen und ihr Mund klappte auf.
Für einen Moment war sie zu verwirrt um zu antworten, doch dann wand sie sich ruckartig ab. Es machte sie wütend, wie sehr seine Worte sie aus der Fassung brachten.

„Hast du wenigstens alles bekommen?“
fragte sie um von sich abzulenken.

Sie hörte das nicken in seiner Stimme, als er antwortete:
„Es war schwer an Informationen über die Abläufe der Kämpfe zu kommen, ohne aufzufallen, aber nach allem was ich erfahren habe findet das Grund-Training auf einem Gelände, nahe der Mauer statt und dauert etwa einen Monat.“

„So lange?“
fragte sie entsetzt.

Je länger sie sich an einem Ort aufhielten umso größer wurde die Chance entdeckt zu werden und Ri fürchtete sich aus mehr als einem Grund vor einer weiteren Begegnung mit einem der Jäger.

„Ja. So ist es leider. Ich konnte den genauen Ablauf nicht in Erfahrung bringen, aber so wie ich es verstanden habe lernen die Golem dort das Kämpfen. Zumindest so weit das es in der Arena halbwegs fair zugeht.
Der Besitzer kann dann nach eigenem empfinden dazu trainieren, aber durch diese Ausbildung müssen alle Neulinge durch.“

Ris Herz krampfte sich zusammen. Sie wollte dort nicht hin, wollte das kämpfen nicht lernen, den es würde bedeuten, das sie dieses Wissen anwenden musste und davor hatte sie mehr Angst als vor ihrem eigenen Versagen.

„Kannst du mich nicht als ein Golem anmelden, der schon mal dort gewesen ist?“
Sie wusste selbst wie schwach ihre Stimme bei dieser Bitte klang und was das über sie verriet, aber es war ihr egal. Wenn es sie vor all dem bewahrte, hätte sie sich auch weinend vor Kajatan in den Staub geworfen.

Irgendwo fragte sie sich, wann sie so ängstlich geworden war. Als sie in der schwarzen Insel den Wachen gegenüber stand, hatte sie selbst im angesicht ihrer Waffen den Kopf stolz erhoben.
Wo war dieser Mut jetzt?

Sie hasste sich selbst für ihre Schwäche.

Kajatan schüttelte den Kopf und zerstörrte damit die winzige Hoffnung, die in ihr gewachsen war.
„Nein, die Männer dort sind zu lange im Geschäft um so etwas nicht zu bemerken und, um ehrlich zu sein, finde ich es gut, das du dieses Training erhälst.“
Seine Augen blieben an ihren hängen und sie sah die Liebe und die Gewissensbisse, die er bei ihrem Anblick empfand.

Er wünschte noch immer, sie nicht dorthin gehen lassen zu müssen, aber er sah keinen anderen Weg.
Diese Ausbildung würde ihr zumindest die Gundlagen beibringen und so ihre Chancen vergrößern. Alles was ihr half würde er in kauf nehmen und wenn es noch so hart und grausam schien.
Und das würde es werden, da war er sich sicher.

Er hoffte nur das sie beide die Kraft finden würden das durch zu stehen.

Als er sie betrachtete sah er die Zweifel in ihren Augen und alles in ihm zog sich schmerzhaft zusammen.
Was auch immer geschahr, er musste jetzt zu erst an sie denken.

Er straffte die Schultern und schob all seine Empfindungen zu Seite, dann hielt er ihr den Beutel hin.

„Hier. Hab ich auf dem Markt besorgt. Besser du gewöhnst dich schon mal dran.“

Verwundert nahm sie ihn entgegen.

In diesem Moment konnte er nicht anders.
Seine Hand hob sich wie von selbst, fuhr über ihre Wange, so sanft, als berühre er etwas heiliges. Sie stand still da, sah nur mit großen Augen zu ihm auf, in denen so viele Fragen schimmerten.

„Ich muss noch mal weg,“
sagte er, mit einem harten Ton, der sie zurück zucken ließ. Er hatte sie nicht erschrecken wollen. Der Ton hatte ihm selbst gegolten, um sich selbst zu zeigen, das es keinen anderen Weg gab. Doch jetzt, wo seine Finger sie nicht mehr berührten, kam er sich so schwach und verloren vor.
Er fragte sich zum wiederholten male, wann sie so sehr alles für ihn geworden war, denn es ließ ihn jedes mal leer zurück. Machte ihn verwundbar, doch selbst wenn er gekonnt hätte, diese Gefühle wollte er nicht wieder verlieren.

Und genau deshalb musst er jetzt gehen. Wenn er sie beschützen wollte, gab es nur diesen einen Weg und er würde ihn gehen müssen, ob er wollte oder nicht.

Ein letztes mal blickte er zu ihr zurück, wie sie da stand. Die Finger um den Stoff des Beutels gekrallt, als wüsste sie das er vielleicht nicht wiederkehrte. Sie streckte die Hand nach ihm aus, wie um ihn fest zu halten. Doch sie griff ins Nichts, er war gegangen.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now