63.Kapitel: Dort liegt der Wolf in Ketten

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Kajatan starrte an die Decke, die sich in mehreren Mannslängen über ihm erhob. Sie war schmucklos und, im gegensatz zum größten Teil des Palastes nicht mit Marmor und Gold verkleidet. Der grobe Sandstein, der in diesen Teil des gewaltigen Komplexes vorherrschte, war ihm so vertraut, wie die Wege der Dienerschaft. Er hatte sie oft genug genutzt um von einem Ort zum anderen zu kommen. Damals, als er hier gedient hatte.
Als er ging, war er sicher diesem Ort für immer entflohen zu sein und nun war er wieder hier.
Nur auf der anderen Seite der Zellengitter. Das Schicksal nahm schon manchmal seltsame Verläufe.

Um Arme und Hals lagen ihm schwere Ketten, aus grobem Eisen, die mit einem Ring an der hinteren Wand verbunden waren. Er hatte seinen Radius ausgetestet und mit einer gedanklichen Linie mackiert.
Er kam nicht mal bis zur Hälfte des winzigen Raumes, geschweige denn zum Gitter.

Man hatte seinen Mantel und die Maske mit genommen. Hier war eh allen sein Aussehen gleichgültig. Er wusste genau wo er sich befand.
Das hier war nicht der Kerker, nicht das End- oder Zwischenlager, sondern die Folterkammer.

Seine Zelle grenzte an den großen Raum an, der vollgestopft war, mit allen möglichen Gerätschaften, deren genaue Funktion er eigentlich gar nicht wissen wollte. Aber bald würde er es erfahren, wie so viele vor ihm. Manche von ihnen hatte er selbst hier her gebracht, auf Anweisung, aber was spielte das für diese armen Seelen für eine Rolle?

Er fühlte sich noch immer völlig zerschlagen, von den Prügeln, die er von seinem Bruder und dessen Manschaft erhalten hatte. Dennoch sah er dem was kommen würde seltsam gelassen entgegen. 
Er hatte schon andere Sachen ertragen, was kümmerte es ihn da was sie mit ihm anstellen würden.

Aber es wunderte ihn doch einwenig. Der König unter dem er gedient hatte, hatte es bevorzugt, seine Gegner einfach zu eliminieren, statt sie zu folter. Es war seine Art gewesen Gnade walten zu lassen.
Vielleicht hatte er sich in der Zeit seiner Abwesenheit verändert. Wie lange war es hetzt her?
Er versuchte die Zeit abzuschätzen. Drei oder vier Jahre, die Zeit, die er draußen im unbekannten Land wache gehalten hatte, mit einberechnet.

Vielleicht war er aber auch noch am Leben, weil es etwas gab, das er von ihm wissen wollte.

So oder so, würde er bald sterben. Wenn nicht, unter der Folter, weil er die gewünschten Informationen schlicht nicht hatte, oder später, nachdem er sie ihnen gegeben hatte und sie ihn nicht mehr brauchten.
Es war ein seltsames Gefühl, den Tod als eine Gewissheit vor sich zu haben. Er würde nicht im Kampf fallen, wie er immer gedacht hatte, sondern hier, zwischen Daumenschrauben und rostigen Zangen.
Er erschreckte ihn nicht, jetzt wo es nichts mehr gab, was er dagegen tun konnte, empfand er sogar eine Art von Frieden.
Nur um Ri trauerte er.
Darum sie alleine gelassen zu haben.

Die Tür schwang auf und Schritte erklangen auf dem staubigen Boden. Kajatan sah nicht hin. Es war ihm gleich, wer sich da seiner Zelle näherte. Doch er konnte sich nicht dagegen wehren, das sein Gehirn alle Informationen analysieren, die es von seinen Sinnen erhielt.

Die Schritte waren kurz und leicht.
Es ließ ihn auf eine Frau tippen. Auch waren sie langsam und sicher. Jemand, der weder vor ihm noch vor diesem Ort Angst hatte.
Dann drang ihm der süßliche Geruch in die Nase, der von ihr ausging und er wusste wen er vor sich hatte.

Sie trat an das Gitter, wohl wissend, das er sie nicht erreichen konnte und er hörte sie die Nase rümpfen, als wäre ihr ein übler Gestank unter gekommen.
„Als du noch in meinen Diensten standes, sahst du besser aus, mein Bester.“
Ihre Stimme klang noch genauso lieblich, wie er sie in Erinnerung hatte, aber genau wie damals schwang etwas gefährliches darunter, als verstecke sie ein Messer unter einer Schicht Honig.

Kajatan reagierte nicht.
Tatsächlich war sie die letzte Person mit der er gerade reden wollte.
Er konnte förmlich hören, wie sie ihn innerlich dafür erdolchte, das er sie nicht beachtete. Es war das, was sie am wenigsten ertragen konnte und gerade deshalb tat er es. Sie hatte ihre Macht über ihn schon lange verloren, das aber nie bemerkt. Das letzte mal als sie sich gesehen hatten, hatte sie ihn auf die Reise zum Palast außerhalb des bekannten Landes geschickt.

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