64.Kapitel: Dort vor dem Thron des Königs

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Ri konnte es nicht fassen.
Die Tür war hinter ihr zugeschlagen und die beiden Wachen waren mit den Riegeln beschäftigt, so das sie einen Moment hatte um sich umzusehen.

Der Raum, in dem sie stand erstreckte sich beinahe unendlich weit in alle Richtungen. Die Mauer, die sich in der Ferne verloren, bestanden zum größten Teil aus riesigen Fenstern, durch das das Sonnenlicht wie goldenes Wasser herein sickerte.
Es legte sich auf den weiten Boden, auf dem Gras wuchs.
Man hatte die gesamte Halle mit Erde aufschütten lassen, auf dem das Gras wogte, wie ein seichtes, grünes Meer

Bäume sproßen aus ihm hervor und streckten ihre Kronen dem Licht entgegen. Es sah aus, als wären sie in der Bewegung erstarrt, während sie nach den Fenstern und der Freiheit dahinter zu greifen versuchten.
Statt sanfter grüner Blätter trugen sie ein Fülle aus Blüten, die den süßen Geruch verströhmte, der Ri bereits bei ihrem Eintreten aufgefallen war.
Das Weiß, der unendlichen Blütenpracht, war von Rosa durchsetzt und ließ es wirken, als wäre Sonnenuntergangs Wolken auf die Erde hinab gestiegen.
Die feinen, rosa Blätter segelten stetig zur Erde, so das sich um jeden Stamm ein gleichmäßiger weißer Teppich gebildet hatte.

Es war, als wäre Ri durch die Zeit gefallen, zurück in die Tage, als die Erde jung und unbefleckt war.
Sie konnte ihre Augen nicht von diesem Anblick lösen. Es war das schönste, was sie je gesehen hatte und etwas was sie glaubte nie sehen zu können. Die letzten Bäume waren lange von den Gewalten der Wüste verschluckt worden, bevor ihre Rasse überhaupt existierte. Aber sie kannte die Erzählungen der Alten ihres Volkes, die von ihnen gehört hatten.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Erschrocken fuhr sie aus der betrachtung hoch und fand einen der Falkenaugen, der auf sie hernieder blickte. Für einen Herzschlag konnte sie sein Auge, durch den winzigen Schlitz erkennen. Es war erstaunlich menschlich, dafür, das es ebenso wie Kajatans eine senkrechte Pupille besaß. Aber es hatte diesen Ausdruck, wie ihn nur intelligente Wesen hatten.
Sie erkannte darin die ermüdung über das eigene Leben im Dienste des Herrschers und eine dunkle Ahnung von Gleichgesinntheit. 
Dann löste sein blinzeln den Bann und er schob sie sanft vorwärts.

Ri, die von diesem Augenblick noch völlig fasziniert war, erkannte erst eine Sekunde später, was er von ihr wollte.
Sie sollte den Weg entlang gehen, der sich als kleiner, mit grauen Steinen gepflasterter Pfad zwischen den Bäumen dahin schlängelte und sich weiter hinten zwischen ihren Stämmen verlor.
Der Mann selbst, blieb wo er war, sie würde alleine gehen.

Ri blickte zu ihm zurück, ein seltsames Gefühl des verlassen werdens in der Brust, aber die Augen des Wesens, waren wieder hinter den Schatten verborgen.
Sie hob eine in Ketten gelegte Hand zum Abschied und er tat es ihr gleich, als wäre er ihr verzerrtes Spiegelbild.
Dann betrat Ri den schmalen Weg und ließ sie beide zurück.

Die Blütenblätter regneten weiter stetig um sie nieder, während sie einen Fuß vor den anderen setzte.
Der Raum schien sogar noch größer zu sein, als es zu nächst den Anschein hatte, denn sie wanderte nun schon länger und noch immer wollten sich die Stämme nicht lichten.
Ri machte das nichts aus.
Sie fühlte sich hier, an diesem seltsamen Ort, das erste mal seit langem wieder willkommen.
Hier konnte sie atmen und der Schmerz in ihrem Herzen, der sich dort fest gesetzt hatte, begann zu vergehen.
Sie summte sogar etwas vor sich hin. Ein Lied, das ihr Volk eins über den Herrn der Wüste gesungen hatte.

Ihr Volk.
So wohl sie sich auch in diesem Garten fühlte, so durfte sie doch nicht vergessen wozu sie gekommen war. Sie war hier um die Kontrolle des Königs über ihre Rasse zu brechen und endlich die Aufgabe zu erfüllen, die ihr Schöpfer ihr vor so langer Zeit aufgegeben hatte.
Doch konnte sie das wirklich schaffen?
Sie war dem Ziel so nahe und befürchtete plötzlich auf den Letzten Metern noch zu versagen.
Was sollte aus ihrem Volk werden, wenn sie hier starb?

Sie meinte beinahe Kajatand Stimme zu hören, wie er ihr zurief, das sie sich keine Gedanken machen brauchte, das sie es schon schaffen würde, wie bisher immer.
Aber bisher war er auch immer an ihrer Seite gewesen.

Sie spürte sein Fehlen beinahe körperlich. Seine Abwesenheit war wie eine Wunde, in ihrem Fleisch, die nicht heilte. Sie schmerzte dumpf, aber stehtig und wann immer sie sie zu vergessen drohte, brachte sie sich ihr brennend in Erinnerung.
Oh, sie vermisste ihn so sehr.
Nicht nur weil er ihr Halt gab, sondern weil er an ihre Seite gehörte und sie an seine.
Sie wusste nicht ob es Liebe war, aber was sollte es sonst sein, wenn es so weh tat ohne ihn zu sein?

Im stillen hob sie ihr Gesicht zur Decke, die hinter bauschigen Ästen verborgen lag und schickte ein Gebet an die Schöpfergeister, das es ihm gut ging.

Vor ihr begann das Gelände langsam anzusteigen und mit zunehmender Höhe nahmen auch die weißen Giganten ab. Zwischen den rosa Spitzen meinte Ri etwas auf dem Hügel erkennen zu können, den sie bestieg.
Ein goldener Tempel, dessen Wände nur aus hauchzartem Tuch bestanden, das sich zwischen hohen Säulen bauschte. Es waren zu viele, als das sie hätte hindurch schauen können, aber das Licht, das aus dem Inneren drang, malte eine Silhouette auf den Stoff.
Schwarz, gegen das helle Blau des Gewebes, hob sich der Schatten einer schmalen Treppe ab, die in einem Thron endete. Auf ihm meinte Ri, die Statur eines Mannes zu erkenne, dessen Haupt mit einer Krone geschmückt war.

Sie trat langsam näher. Über dem ganzen Ort schwebte eine Aura der Unantastbarkeit, als betrete sie heiligen Boden. Ri versuchte dieses Gefühl abzuschütteln. Immerhin saß hier nicht ihr König vor ihr, sondern der Mann, der ihre gesamte Rasse gefangen hielt.

Dennoch blieb sie vor dem stehen, was sie für den Eingang hielt und wusste nicht so recht, was sie nun tun sollte.
Sollte sie einfach hinein gehen und ihn heraus fordern?

„Tritt ein,“
rief ihr eine Stimme von innen zu.
Sie klang weder alt noch jung und durch die Bahnen Stoff stark gedämpft, so das Ri nicht hätte sagen können ob die Person männlich oder weiblich war.

Sie merkte, wie ihr die Knie zitterten.
Trotz allem musste sie ihren ganzen Mut zusammen nehmen, um einen Schritt vorwärts zu machen.
Das Tuch empfing sie mit sanfter Kühle und sie verlor sich zwischen den Säulen.




Das war zwar schon länger geplant, aber, hier bitteschön.
Einmal Ri im Wunderland, wie ihr es wolltet😂

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now