76.Kapitel: Dort schlagen zwei Herzen

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Eisige Dornen bohrten sich in ihr Bewusstsein. Anders als der Schmerz bei einer körperlichen Verletzung, der sich auf die betroffene Stelle beschränkte, war dieser überall. Er zog sich durch ihr gesamtes System, jeden Nerv und jeden Teil ihres Verstandes.
Ri keuchte, als die Angst ihr Herz erreichte und vor ihren Augen schien die Dunkelheit zu wachsen. Das Monster wirkte mit einem mal so übermächtig, dass sie sich fragte, wie sie je hatte glauben können, eine Chance zu haben.
Es war gewaltig!

„Verrrgeeeeh eendliiiicch!"
Es Brüllte und Ri erzitterte. Ein weiterer Schwall Eis und Kälte ging über ihr nieder und begrub sie unter sich.
Alles um sie schmerzte, der Gegner war übermächtig und sie wünschte sich, sie wäre nie hier her gekommen.

Das Eis, das sich um ihren Körper, ihren Verstand legte, machte sie bewegungsunfähig. Es erstickte ihre Schreie und schloss sie ein. Die Angst hier zu sterben, wuchs in ihr zu einem Sturm an und sie spürte, wie das Monster diesen in sich aufnahm. Ihre Angst machte es stärker!
Das sie hier war, hatte ihr nicht nur all diese Schmerzen eingebracht, nein, es gab dem Wesen Kraft, das ihr Volk versklavte. Sie wusste was ihre Leute unter der Kontrolle zu erleiden hatten und es brannte sich wie glühende Speere in ihr Herz, als sie erkannte, das ihre Angst dem half.
Ihre Angst verletzte ihr Volk!
Diese Erkenntnis trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie rollten über ihre Wangen und gefroren auf ihnen zu glitzernden Spuren.
Was sollte sie nur tun?

Ihr Blick verschwam zunehmend. Sie spürte, wie das Eis splitterte und ihr Bewusstsein in die Dunkelheit verschwand.
Sie begann sich aufzulösen.

Mit ihrer vergehenden Wahrnehmung, verstummten auch die Geräusche um sie langsam, bis es nichts mehr gab als ihren dumpfen Herzschlag unter einer Schicht von Eis.
Sie hatte sich geschworen so beständig wie er zu sein.
Sie hatte versagt.
Sie konnte das Mädchen nicht retten. Sie konnte sich nicht einmal selbst nicht retten. Und sie sollte dem Königsgeschlecht entstammen? Das war lächerlich.

Trotz allem schlug ihr Herz noch immer unter dem Eis, als weigere es sich der Kälte nach zu geben und war da nicht noch ein zweites Geräusch?
Ein zweiter Herzschlag?
Ri lauschte in die Stille.
Ja, ein ruhiges, aber kräftiges Pochen. Es klang tiefer als ihr eigener und schien ihr zurufen, das sie nicht alleine war.

Kajatan!
Sie wusste einfach das es sein Puls war, den sie durch die Finsternis hörte. Er hatte sie gefunden. Wie er es immer getan hatte.
Dankbarkeit füllte ihre Brust und ließ sie ein halb ersticktes Schluchtzen ausstoßen.
Er war bei ihr, selbst hier. Sie war nicht allein!

Sie fühlte seine Nähe wie ein warmes Glühen auf ihrer Haut und es war, als wäre er wirklich hier bei ihr. Seine Kraft hielt das Eis fern und schützte sie vor dem Verschwinden.
Einen Moment lag sie nur da und genoss die Wärme, die ihre Glieder auftaute. Mit dem Erwachen ihres Geistes, kehrte auch ihr Kampfeswillen zurück.
Sie musste etwas tun. Sie konnte nicht immer darauf warten, das Kajatan oder eine Golem aus den Erinnerungen ihres Volkes auftauchte. Sie musste endlich selbst handeln!

Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und langsam stämmte sie sich gegen das Eis, gegen die Kälte und die Angst, die sie von Innen zu zerfressen drohte.
Es knackte, als sie sich in ihrem eisigen Gefängnis regte und dagegen ankämpfte.
Hitze stieg von ihrer Haut auf und verwandelte das Nass in Dampf.
Sie wusste woher diese Wärme kam.

Es war die Liebe, die sie für ihr Volk empfand, für Kajatan und ihren Schöpfer.
Wieso nur hatte sie geglaubt alleine zu sein? Sie waren doch alle bei ihr. Sie konnte ihre Nähe fühlen, so warm und kräftig, wie die Wüste selbst.
Ihre Liebe zu ihr hatte sie geschützt und Ris Liebe zu ihnen allen würde diesen Kampf entscheiden.

Sie öffnete die Hand. Das schimmernde Körnchen der Schöpferkraft lag darin und erstrahlte vor Macht.
Es war nicht viel. Sie durfte es nicht verschwenden.

Ri erhob sich, noch schwankend von den gerade überstandenen Strapazen, doch mit jeder Sekunde, in der das Feuer in ihrem Inneren wuchs, wurde sie sicherer.

Vor ihr brüllte das Monster wieder und ließ das Mädchen nach ihr Schlagen. Ri sprang zur Seite. Ihr Körper bewegte sich leichter, als noch Sekunden zuvor. Sie hätte fast gejubelt, doch dafür blieb keine Zeit. Sie musste endlich etwas tun!
Sie musste das Monster vertreiben und das Mädchen befreien und mit ihm ihr Volk.

Eis regnete um sie nieder, trieb sie zurück, ein Umstand, der ihr wenige, kostbare Sekunden verschaffte.
Zeit die sie nutzte, um sich auf das Feuer und sie Hitze in ihrem Inneren zu konzentrieren und diese auf diese Ebene zu rufen. Goldene Flammen erschienen vor ihr in der Dunkelheit, züngelten und streckten sich nach ihrem Willen. Sie formte sie, bis sie wieder ihre Rüstung trug, doch dieses mal lagen zusätzlich noch ihre beiden Kurzschwerter in ihren Händen. Ihr vertrautes Gewicht weckte Erinnerungen, die weder gut noch gänzlich schlecht waren, sie waren was sie waren. Und in diesem Moment waren sie was Ri brauchte, den ihre Kampfkentnisse lagen in ihnen begründet.

Ihre Augen suchten nach ihrem Gegner. Das Monster spuckte weitere Finsternis aus und trieb das Mädchen an, ihm weitere Kraft zu geben. Sie schrie, von Angst erfüllt und schlug blind in die Schatten. Ri glaubte nicht, das sie sie überhaupt sah, geschweige denn begriff was hier wirklich geschah.
Sie würde sie retten, doch dazu musste sie die Bestie erlegen.

Mit einem Schrei, der noch den letzten Rest der Furcht aus ihren Knochen bahnte, stürzte sie vorwärts.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now