32.Kapitel: Dort am letzten Tag davor

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Ris Beine trugen sie zackig vorwärts. Sie wiederholten immer wieder die selbe gleich bleibende Bewegung. Unter ihrem Helm rann ihr der Schweiß hinab und sammelte sich im Kragen ihrer Rüstung. Das harte Stoffband scheuerte an ihrer Haut, aber sie reagierte nicht darauf. Auch nicht auf Kajatan, der plötzlich aus der Ecke des Zimmers geschossen kam und erst kurz vor ihr zum stehen kam.
Sie zuckte nicht einmal zusammen, als er ihr unvermittelt ins Ohr brüllte.

Doch blieb sie stehen, als er sich vor ihr postierte.
Einen Menschen umzulaufen war den Golem verboten.
Also stand sie still da, den Rücken gerade, die Arme unbewegt an der Seite.

Er nickte zufrieden und gab ihr damit das Zeichen, das das Trainings vorüber war. Erleichtert nahm sie den Helm vom Kopf.
Sie hatte es geschafft, sie hatte endlich gelernt sich wie eine Golem zu bewegen. Ob ihr ihre Erfahrungen von früher dabei eine Hilfe gewesen waren, konnte sie allerdings nicht sagen.
Aber es war denkbar, immerhin hatte sie es innerhalb von nur sechs Tagen geschafft eine gänzlich andere Verhaltensweisen anzunehmen.
Natürlich war zum großen Teil Kajatan dafür verantwortlich, der jede freie Stunde mit ihr trainiert hatte um sie auf alle Eventualitäten vor zu bereiten.

Zu beginn hatte sie noch lachen müssen, wenn er vor ihr Grimassen schnitt oder hatte sich erschreckt, wenn er ohne Vorwarnung aus einer Richtung geschossen kam, aus der sie ihn nicht erwartete. Aber es hatte sich gegeben, dafür taten sie das alles schließlich.

„Gut und nicht einen Tag zu früh,“
sagte er und lächelte aufmunternd.

Sie verdrehte die Augen, während sie sich den Platten an ihren Beinen entledigte.
„Hast du etwa daran gezweifelt?“

Beschwichtigend winkte er ab.
„Natürlich nicht. Aber mir war klar, was es für eine Herausforderung ist. Deshalb habe ich mir Sorgen gemacht.“

„Wie lieb von dir,“
meinte sie, in leicht sarkastischen Ton.
Dann hatte sie die Schnallen endlich gelöst und warf ihm das Metallstück zu.
„Hier, halt mal.“

Er fing es lachend auf und legte es zu den anderen Teilen der Rüstung, die sie immernoch im Beutel aufbewahrten.

Als die Nacht hereinbrach, lag Ri wach. Es war die letzte Nacht, bevor es auf den Trainingsplatz ging und, obgleich ihre Lieder immer schwerer wurden wollte Ri nicht schlafen. Schlafen würde bedeuten aufzuwachen und fest zu stellen, das es der nächste Tag war.
Aber wenn sie wach blieb und weiter den Mond betrachtete, der durch das Dachfenster zu ihnen hinein schien, dann würde diese Nacht nie enden und der Morgen würde nie kommen.
Zumindest fühlte es sich so an.

Sie wusste wie albern dieses Verhalten war, zumal sie spürte wie das Wesen im ihrem Inneren bereits wieder an der Mauer zu ihren Gefühlen grub, aber sie konnte nicht anders.
Sie hatte Angst vor dem was kommen würde, mal wieder.
Innerlich verfluchte sie sich für ihre Schwäche, schon wieder.

Sie fragte sich ob ihr Verstand nichts anderes zu tun hatte, als sich Sorgen zu machen und sich selbst zu verdammen. Aber es war nun mal wie die Dinge lagen. Sie seufzte in das weiche Kissen.

Sie hatte schon lange nicht mehr in einem Bett geschlafen, aber für die letzte Nacht, bevor all das los ging, hatte Kajatan eines organisiert. Sie hatte keine Ahnung wie und es kümmerte sie auch nicht.

„Hey, kannst du nicht schlafen?“
hörte sie seine Stimme aus der Dunkelheit.

Sie schüttelte den Kopf, wissend das er es trotz allem sehen konnte.
„Ich will nicht. Wenn ich die Augen zu mache, mache ich sie erst morgen früh wieder auf.“

Sie hörte ihn näher treten und erkannte seine Silhouette gegen das silbrige Mondlicht. Er ließ sich auf der Bettkante nieder und strich mit seinen rauen Fingern durch ihr Haar.

„Kann ich verstehen, aber wenn du nicht schläfst wirst du wieder wie all die anderen Golem und dann kannst du niemandem mehr helfen.“

„Ich weiß,“
seufzte sie.
Dann lag sie einige Minuten still da und starrte in die Schwärze. Ihre Gedanken kreisten um den nächsten Tag und was er bringen würde. Sie fragte sich was werden sollte, wenn sie versagen.
Sie wollte sich diese Frage nicht stellen, aber sie konnte nicht anders.

Wenn sie entdeckt und getötet werden würde, wäre ihr Volk weiter in Gefangenschaft.
Ob der Herr der Wüste jemand anderen schicken würde?
Sicher, irgendwann wenn er die Kraft dazu hatte.
Doch dann kam ihr ein weiterer Gedanke und ihre Augen schweiften durch die Schatten, bis sie den einen gefunden hatte, an dem ihr so viel lag.

„Kajatan,“
begann sie unvermittelt.

„Hm?“

„Wenn etwas schief geht...
Ich meine, wenn ich nicht mehr zurück komme.“

„Was dann? Soll ich es dann für dich zu ende bringen?“
Es klang scherzhaft, aber er meinte diese Frage ernst.

Doch sie schüttelte den Kopf.
„Nein. Das könnte ich nicht von dir verlangen. Dir diese Last auf zu bürden, dazu hab ich kein Recht.

Wenn mir etwas zustößt, versprich mir, das du dann trotzdem glücklich wirst.“
Ihre Augen schienen in der Dunkelheit seltsam hell, als sie ihn eindringlich ansah.

„Versprich es mir,“
forderte sie nun fester.

Er war unfähig zu antworten. In seiner Kehle steckte ein Klos fest, den er einfach nicht hinunter bekam.
Wie konnte sie um soetwas bitten.
Er erinnerte sich gut, wie er sich gefühlt hatte, als er glaubte sie wäre gestorben. Er bezweifelte das etwas anderes ihn aus dem Abgrund aus Verzweiflung, hätte heraus holen können, als ihr Aufstehen.
Er konnte es ihr nicht versprechen, egal wie sehr sich ihr Blick in sein Herz zu bohren schien.

„Du wirst nicht sterben,“
sagte er entschieden und wollte sich erheben.
Doch ihre Hand packte seine und zwang ihn so sie an zu sehen.

„Kajatan. Ich weiß was du für mich empfindest und es tut mir leid, das ich es nicht erwidern kann, aber die Vorstellung, das du dein Leben nach meinem Tod in Trauer verbringst, oder bei dem Versuch mich zu rächen stirbst, ertrage ich nicht.
Versprich es mir Kajatan. Bitte!“

Er musste die Lieder aufeinander pressen, um ihrem Blick zu entkommen. Sein Herz schien entschlossen sich selbst in Stücke zu reißen, so sehr schmerzte es.

Er wusste, das sie gehört hatte was Ryu sagte, aber solange sie es nicht angesprochen hatte, hatte er so weiter machen können wie zuvor. Hatte in ihrer Nähe sein können, ohne dem Wunsch nach mehr, nachgeben zu wollen. Auch hatte er vermutet das sie es nicht erwidern würde, aber es jetzt von ihr zu hören war etwas anderes. 

All das zerrte in seinem Inneren, zerrte an seiner selbstbeherschung und mit einem mal brach es aus ihm
heraus:
„Ich kann es dir nicht versprechen, Ri!
Du bist alles für mich. Bevor wir uns begegnet sind gab es nichts für das es sich zu leben lohnte. Ich wäre mit freuden gestorben, wenn das bedeutet hätte all dem zu entkommen!

Aber seit du da bist, ist alles anders geworden. Ich liebe dich, Ri! Auch wenn ich weiß, das es mir nicht zusteht.
Ich lebe nur noch weil du da bist, ich lebe für dich und deshalb kann ich es dir nicht versprechen!“

Er atmete schnell und abgehackt, so als hätte es ihn einiges gekostet all das hervor zu bringen. Seine Augen flehten um Verständniss, doch in ihren fand er keines.
Stattdessen stand Trauer darin geschrieben und Mitleid und einen Moment hasste er sie dafür.

„Kannst du nicht für dich leben?“
fragte sie leise.

Ihm war, als treffe ihn bei dieser Frage, ein Schwerthieb mitten in die Brust.
Er bekam keine Luft.

Wie konnte sie?
Er hatte ihr sein Herz ausgeschüttet, hatte all seine Gefühle vor ihr ausgelegt, ihr erklärt was sie ihm bedeutete und sie verlangte...

Für sich selbst leben?
Für ihn, Kajatan.
Das war unmöglich.

Ein Wesen wie er, der es nicht einmal das recht darauf hatte zu hoffen, das sie ihn ebenfalls liebte, konnte nicht verlangen das jemand für ihn lebte, nicht einmal er selbst.

Ri hörte wie er sich umdrehte und durch die Tür davon stürmte. Sie versuchte nicht ihn aufzuhalten, das hätte alles nur verschlimmert.

Sie lag da, in einer Finsternis, die auch der Mond nicht durchdringen konnte. Heiße Tränen ranen ihre Wangen hinab und versickerten stumm im Kissen.
Warum nur wollte er nicht verstehen das sie nur das beste für ihn wollte?

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now