56.Kapitel: Dort beim letzten Treffen

245 48 6
                                    

Die Hand, die sich auf ihren Mund presste, um einen möglichen Schrei zu unterdrücken, war seltsam warm. Es war eine Menschenhand, das begriff Ri, noch ehe sie vollkommen in die Schatten des kleinen Raumes eingetaucht war.
Die fehlende Kraft sagte es ihr und ließ ihren Wiederstand erlahmen.
Ein Mensch.
Ein Mensch, der ihr half.
Zumindest glaubte sie, das das der Gedanke hinter den Ergreifung war, denn hinter ihr wurde die Tür hastig zugeschlagen. Ein Riegel wurde vorgeschoben, dabei erhaschte Ri einen Blick auf die freie Hand, ihres Retters.
Sie war dunkel, wie es bei der Haut der Leute üblich war, die viel Zeit unter der brennenden Sonne verbrachten. Die Finger, klein und schmal, ließen sie auf eine Frau schließen und das Zittern auf ihre Angst.

Vor der Tür bewegte sich der Schatten und unterbrach mit seiner Gestalt das Licht, das  durch die schmalen Ritzen zu ihnen hinein fiel. Es wirkte schon, als wolle er es ganz verschlucken und sie in vollkommener Dunkelheit zurück lassen, doch dann bewegte er sich weiter. Lautlos verschwand er und ließ nur zwei heftig klopfende Herzen zurück.

„Ich habe diesen Wesen einmal getrotzt, ich kann es wieder.“
Die Stimme war nur ein Flüstern und wiedersprach damit den so furchtlosen Worten.
Ri spürte, wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen stahl, gegen ihren Willen.
Sie hatte Angst vor diesem Lächeln, vor dem Gefühl das ihm voraus ging. Sie wollte nicht hoffen, wenn es am Ende wieder in Tränen endete, aber ihr verräterisches Herz wollte nicht auf sie hören. Es klammerte sich an die Anzeichen, die für etwas gutes sprachen, für versöhnung.

„Das letzte mal war es Kajatan, ein Freund. Dieses mal nicht.“
Ihre eigenen Worte waren undeutlich, durch die Finger der Frau.
Die schien sich endlich zu entspannen und nahm die Hand herunter, so das Ri sich umdrehen konnte.

Hätte sie einen Magen besessen, so hätte dieser geflattert, als sie Mahati endlich ins Gesicht sehen konnte. In ein unsicheres, ängstliches Gesicht, das sie mussterte, wie eine Schlucht, die sich vor ihr auftat. Wunderschön aber gefährlich. In ihren braunen Augen, konnte Ri die Furcht lesen zu stürzen und verschluckt zu werden.
Sie wollte sie ihr nehmen, aber jede Bewegung konnte die Frau erschrecken und sie zurück weichen lassen. Also blieb sie und Mahati blieb stumm.
Sie fragte nicht, erklärte nichts, beschimpfte sie aber auch nicht.
Mit jeder Sekunde die verstrich wurde Ris Anspannung größer.
War das hier gut, war es schlecht. Wenn sie doch endlich etwas sagen wollte.

„Ich habe mich von Jamal getrennt.“

Damit hatte Ri nicht gerechnet. Es überraschte sie gleich in mehrerer Hinsicht. Warum erzählte sie ihr das?
Und wie hatte sie die Kraft dazu gefunden.

„Du hättest ihn sehen sollen, als ihm klar wurde, das die hälfte der Karawane rechtmäßig mir gehört.“
Sie lachte, aber es klang gezwungen. Die Jahre, die sie unter ihrem Ehemann gelitten hatte, steckten ihr noch in den Knochen.
Sie wollte es los werden, das merkte Ri deutlich. Wollte die Tage voll Angst und die Ernidrigungen vergessen, aber es war schwer.

„Wegen mir?“
Ihre Kehle war auf einmal so trocken, das die zwei Worte nur ein heiseres Krächzen waren, die sich in dem kleinen Raum verloren.

Mahati nickte schwach.
„Ich hab nach dir gesucht, nach meiner Tochter. Ich wusste ja, das du zum Kolluseum gebracht werden solltest. Ich hab also dort gewartet.“

Es wurde wieder still zwischen ihnen, als Mahati auf die schier endlose Zeit zurück blickte, in der sie Tag für Tag die Bühnen und kleineren Kampfplätzr abgesucht hatte. An all die male, in denen sie auf den Bänken rund um die Arena gesessen hatte, wartend, hoffend sie zu sehen und gleichzeitig voller Angst davor. Angst sie bereits an die Kämpfe verloren zu haben.
Ri konnte sich nur vorstellen wie ihr Mut mit jedem weiteren Kampf gesunken war. Welche Verzweiflung sie geplagt haben musste und was es sie gekostet hatte doch jedes mal wieder hin zu gehen.

Es ließ sie mit einem Gefühl der Ehrfurcht zurück, aber auch der Schuld. Mahati hatte nach ihr gesucht. Hatte all das durchlitten nur um sie zu finden.
Und als sie es endlich schaffte, sie endlich wieder sah, war sie nicht mehr die selbe. Nicht die Ri nach der sie gesucht hatte.
Sie verstand gut, warum Mahati in dem Moment die Beherschung verloren hatte.

„Und trotzdem hast du mich beschützt.“
Ihre Worte schienen zusammenhang los, aber Mahati verstand.

„Ja, ich habe dich gesucht, immer auch nachdem wir uns wieder gesehen hatten. Auf gewisse Weise suche ich dich immer noch.“
Jetzt sah sie sie das erste mal wieder so an, wie sie es früher getan hatte. Mit dem Blick einer Mutter.
Doch ihre Augen wanderten weiter, als suchen sie in den Steinen der Wand nach einer Antwort auf die Frage die nach der Wahrheit.

„Die Ri, die ich damals kannte, war in gewissen Sinne leer. Sie tat was ich wollte und ich konnte mir die Tochter schaffen, die ich wollte.

Es war eine Illusion, ein Trugbild, das ich mir selbst vorhielt. Die Ri, die ich glaubte zu kennen, hat nie existiert. Meine Tochter, ist damals im Sturm gestorben und ich muss das endlich akzeptieren.“
Sie atmete tief und schaudernd ein. Ihr dünner Körper erzitterte unter dem weiten Tuch, das seine Formen verbergen sollte. Auch Ri lief ein schauder über den Rücken.
Es war als hätte Mahati sie mit diesen Worten verstoßen und zugleich frei gegeben.
Sie hatte nie bemerkt, wie sehr sie die Rolle als ihre verstorbene Tochter ausfüllen wollte. Wie sehr sie ihre Tochter sein wollte. Jetzt zu hören, das sie das niemals schaffen würde, war auf gewisse Art befreiend.
Sie war einfach nurnoch Ri und musste sich keine Sorgen machen, das Mahati sie als solche nicht annahm.

„Ich danke dir, dafür das du mir durch diese Zeit gehölfen hast.“
Jetzt schimmerten Tränen in ihren Augen.

Ri sehnte sich danach etwas sagen zu können, doch was sagte man einer Frau, die gerade ihre Tochter ein zweites mal verloren hatte?
Oder das woran sie sich einmal geklammert hatte.

„Aber was ich nicht verstehe, ist warum du uns Menschen vernichten willst.“
Die Frage bohrte sich wie ein eisiger Speer durch Ris Verstand.

Natürlich hatte Mahati von den Geschehnissen im Kolluseum gehört. Natürlich wusste sie das Sie es gewesen war. Der Sturm, die Toten, all das Leid. Es war ihre Schuld und Mahati wusste es.

Das Herz der GolemTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang