75.Kapitel: Dort findet der Wolf nach hause

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Rehema war auf dem weichen Gras zusammen gesunken. Ihr Kleid hatte sich in Wellen um ihren Körper ausgebreitet, als wolle der blaue Stoff im Boden versinken. Eine einzelne Wache stand noch bei ihr, den Bogen gespannt, die Spitze des Pfeils zeigte auf Kajatans Herz.

Der stand zwischen den mächtigen Stämmen und blickte die Königstochter aus seinen gelben Augen abwartend an. Sie käuchte und presste sich die Hand auf die Seite, aus der noch immer Blut austrat. Es sickerte in das edle Gewand und färbte es dunkel. Ihr Gesicht war von Schmerz verzehrt und ihre Frisur hatte sich aufgelöst, etwas das er von ihr nicht kannte. Es passte nicht zu der Frau an die er sich erinnerte. Die jede Bewegung, jeden Blick abwägte, immer um Perfektion bemüht.
Aber die Rehema die er kannte, hatte auch nie am Boden gekniet, umgeben von Leichen.

Drei ihrer Wachen und viel mehr seines Volkes, als ihm lieb waren, lagen tot auf der Ebene. Aus ihren Regungslosen Körpern ragten die Pfeile der Falkenaugen, die die Prinzessin mit ihrem Leben beschützt hatten.

„Kajatan,“
keuchte sie, als es ihr gelang genug Luft in ihre Lunge zu bekommen um zu sprechen. Sie biss dabei die Zähne zusammen und hob den Kopf.
Trotz allem was geschehen war, versuchte sie noch immer die Würde ihres Hauses zu wahren.

Er schnaubte. Sie war eine derart uneinsichtige Person, das sie lieber eine Hand verloren hätte, als ihre angebliche Würde.
Ein Verhalten, das er nicht im geringsten verstand.

„Was hast du mit Ri gemacht?“
fragte er gerade heraus.

Sie lachte bitter.
„Bist du nur wegen der Golem gekommen? Ich dachte ich würde dir genug bedeuten, das du wenigstens den Anstand hättest zu versuchen mich zu töten.“

Kajatan seufzte. Selbst jetzt noch weigerte sich ihr Ego die Tatsache zu akzeptieren, das Ri ihm wichtiger war als sie. Sie hatte kein Problem damit wenn er sie hasste, genoss es sogar. Alles was sie wollte war, das seine Gefühle für sie, die für jeden anderen überwogen, auf welche Art auch immer.
Das war es was sie von jedem verlangte. Gleichgültigkeit ihr gegenüber war, was sie am wenigsten ertragen konnte.

„Jaja, wenn ich weiß wo Ri ist, erfülle ich dir diese Bitte gerne.“

Als wäre das das Stichwort für ihn, ließ der Wächter den Pfeil von der Sehne schnellen. Er zischte durch die Luft und bohrte sich hinter Kajatan in einen Baum.
Der Beschaffer war ausgewichen, etwas, das den Falkenaugen wütend zu machen schien, den er bespannte den Bogen sofort neu.

„Dieses niedere Stück Sandfleisch ist einfach umgefallen. Ihre Augen sind wieder schwarz, so wie sich das gehört. Ich habe ihr gleich gesagt, sie kann unserer Kontrolle nicht lange entkommen.“

Kajatan spürte die Wut in sich hoch kochen, bei ihrem abfälligen Gerede und er sprang vor. Ein weiterer Pfeil durchschnitt die Luft, aber der Beschaffrt war bereits wieder hinter einem Baum in Deckung gegangen.

„Wo ist sie!“
Dieses mal klang seine Stimme fordernder. Er wusste, das er sich in einer besseren Position befand als sie, denn der Köcher ihrer einzigen Wache würde sich irgendwann leeren, die Zeit arbeitete also für ihn.

„Sie ist hier,“
schnaubte sie schließlich und versuchte gelangweilt zu klingen, doch er hörte den gereizten Unterton. 

„Ist ja nicht so, als hätte sie irgendwo hin gehen können, das nutzlose Ding.“

Un diesem Moment jagte Kajatan hinter seiner Deckung hervor.
Der Pfeil traf ihn seitlich in die Schulter, doch er hielt nicht an. Schneller, als das Falkenauge erneut anlegen konnte, war er bei dem Mann und zertrümmerte den Bogen mit einem geübten Tritt. Den Schwung ausnutzend, wechselte er das Standbein und ließ seinen anderen Fuß gegen dessen Kopf prallen.

Er sog scharf die Luft ein, als sein Knöchel auf die metallene Maske auftraf, aber der Angriff erzielte die gewünschte Wirkung und der Mann ging zu Boden.

Rehema sah aus aufgerissenen Augen zu ihm auf. Wie er da stand, die Gewänder zerrissen und besudelt von Blut und Schmutz. Der Pfeil, der noch immer aus seiner Schulter ragte und das Bein, das er so offensichtlich vorsichtig absetzte.
Sie wusste, das es ihm trotz alle dem ein leichtes wäre sie zu töten. Sie war kein Gegner für ihn, nicht mal bei diesem Zustand und als er sich von ihrer Wache abwandte und sie mit einem kaltem Blick bedachte, hatte sie das erste mal wirklich Angst um ihr Leben.

Doch er beachtete sie nicht weiter. Er schritt an ihr vorbei, als wäre sie nicht gefährlicher als eine der Leichen.
Sie konnte es nicht fassen. Er hatte sie ignoriert!

„Komm gefälligst zurück. Ich bin hier du Floh zerfressener Köter! Du machst dich wohl über mich lustig. Ich bin Rehema von den Amiden, die rechtmässige Königen. Wage es nicht mich zu ignorieren!“

Aber er drehte sich nicht einmal um. Er schritt nur weiter den Hügel hinauf.

Vor seinen Augen schien die Schönheit der Umgebung zu verblassen, denn da war sie!
Sie lag auf dem Weg, der hinauf führte zu etwas, das er als den selben schwarzen Stein erkannte, wie ihn der Kommandant bei sich getragen hatte. Ihre Arme zur Seite ausgeschreckt, das Gesicht der Decke zugewand und mit leerem Blick ins Nichts starrend, so fand er sie.
Und einen Moment fürchtete er zu spät gekommen zu sein, das sie tot war. Ein Gedanke, der alte Wunden wieder aufriss.

Hastig kniete er neben ihr nieder. Seine Hände zitterten, als er an ihrem Hals nach dem Puls tastete. Endlich fand er ihn. Langsam und stetig pochte es unter ihrer Haut.
Sie war am leben!

Die Angst, sie nie wieder zu sehen, das sie sterben könnte, weil er nicht bei ihr gewesen war, all das fiel von ihm ab.
Sie lebte noch, auch wenn sich ihre Augen wieder dunkel gefärbt hatten, aber sie lebte.
Es war, als entkomme er dem Kerker erst jetzt wirklich und erleichtert ließ er sich neben sie ins Gras sinken.

Aber warum wachte sie nicht auf?
Wahrscheinlich kämpfte sie, so wie damals.
Sein Kopf wandte sich Seite, wo der riesige Kristall an der Palastmauer hinauf wuchs, wie ein schwarzes Ungetüm. Unten, kurz bevor er im Boden verschwand war eine junge Frau angekettet. Sie hatte die gleichen langen, schwarzen Haare wie Rehema und ein ähnliches Gesicht, wenn auch deutlich magerer. Mehr konnte er nicht sagen, denn ihr Kopf hing hinunter, wie der einer sterbenden Pflanze. Überhaupt hatte ihr Körper keinerlei eigene Spannung, sondern wurde nur von den Ketten aufrecht gehalten.

Er verstand nicht ganz was das bedeutete und was es mit Ri zu tun hatte, aber es war ihm, als ginge eine unheimliche Macht von ihr aus, die es ihm verbot sich ihr zu nähern.
Er überlegte, ob er es trotzdem tun sollte. Die Gefahr, in der Ri schwebte, ging schließlich von dem Kristall aus, oder? Wenn er ihn einfach zerstörte, wäre sie wieder frei.

Aber was wenn er damit auch ihr Bewusstsein zerstörte, das sich gerade darin befand und das der anderen Golem gleich mit? 

Die Zusammenhänge zwischen all dem waren eine Welt für sich, eine in der er keinen Zutritt hatte.
Es gab nichts, das er tun konnte um das zu ändern. Genauso wie das Ri dort alleine durch musste. Es gefiel ihm nicht, ganz und garnicht.

Alles was er tun konnte war bei ihr zu bleiben und zu hoffen. Zu hoffen, das sie ihre Augen wieder öffnen würde, das dass Gold darin, das ihn so an den Sonnenaufgang denken ließ, auch ihm einen neuen Tag verkünden würde.

Vorsichtig bettete er Ris Kopf in seinem Schoß und strich zärtlich über ihre Stirn. Ihr Gesicht, das ihm so vertraut war und das nicht einmal durch die Risse entstellt werden konnte, blickte ihm blicklos entgegen.

Das Herz der GolemDove le storie prendono vita. Scoprilo ora