53.Kapitel: Dort in Trümmern

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Der Ruck, mit dem die Sandbestie auf der Straße aufkam, presste Ri die Luft aus der Lunge. Doch selbst jetzt hielt Shinda in seinem Lauf nicht an. Die Menschen, die das Pech hatten, gerade in diesem Moment unterwegs zu sein, wurden kurzerhand von seiner schieren Masse verdrängt. Sie verlangsamten ihn jedoch genug, das er keinen eigenen Sturm erzeugen konnte, nur ein scharfer Wind begleitete das Löwenwesen, die Leute mit sich reißend.
Sie schrien entsetzt auf, als er sich seinen Weg zwischen ihnen hindurch pflügte. Über ihren Schrecken bemerkten sie den gewaltigen Sturm nicht, der hinter ihnen aus den Mauern des Kolloseums ausbrach.
Senkrecht schraubte er sich in den Himmel, am Firmament selbst kratzend.

Ri hatte aufgegeben, erkennen zu wollen, was vor ihr geschah, worauf sie zusteuerten. Sie klammerte sich nur noch an den breiten Hals ihres Freundes und hoffte das all dies bald vorbei wäre.
Die vielen Gesichter, die Schreie, die an ihr vorbei zogen, nicht mehr als flüchtige Eindrücke und die Trümmer, die um sie nieder gingen. All das war einfach zu viel. Sie hatte all dies niemals gewollt.

Kajatan hielt einen Arm um ihre Teilje geschlungen, mit der anderen sicherte er sich selbst. Den Kopf hielt er hoch erhoben, um über die Mähne auf den Weg blicken zu können, den sie nehmen mussten. Er hatte alles genau geplant, auch wenn ihn die Kraft des Sturms, den er entfesselt hatte, überraschte.
Aber je mehr Zerstörung umso besser. Er lachte, als ein gewaltiger Stein, der von seinem Wirbelsturm mitgerissen worden war, in ein nahes Haus einschlug und dieses in einer Wolke aus Stein und Staub aufgehen ließ.

Für ihn war es, als tobe sein Zorn selbst zwischen den Mauern und reiße diese nieder. Die vielen Toten waren zwar nie sein direktes Ziel gewesen, aber so war es nun einmal gekommen.

Er wusste, auch wenn Ri nicht gerne daran dachte, aber ihre Taten würden zum Untergang der Menschheit führen. Also was machte es für einen Unterschied, ob sie in einigen Jahren starben, bergraben unter unendlichen Schichten aus Sand oder heute, zerfetzt von einer Naturgewalt. Für ihn machte es keinen, aber für Sie, das erkannte er, als er auf ihren gekrümmten Rücken blickte. Für sie tat es ihm um all diese Leute leid.

Und doch hätte er es jederzeit wieder getan um sie zu retten. Wenn er sich zwischen ihrem Leben und dem von hunderten, tausenden Menschen entscheiden musste, war seine Entscheidung vor langer Zeit gefallen.

Shinda trug sie immer weiter. Die Gassen wurden enger und über den Häusern war der Sturm kaum noch zu sehen. Kajatan begriff, das sie hinauf mussten, wenn er erkennen wollte welche Richtung der tötliche Strudel nahm.

Auf seinen Befehl hin, sprang die Sandbestie an einer nahen Wand hinauf und krallte sich in den Stein. Die mächtigen Hinterläufe spannten sich an, als sie den schweren Körper nach oben drückten. Schließlich schob er sich über die Kannte und von seinem Rücken aus, hatten die beide Reiter freie Sicht über das Geschehen in der Stadt.

Vom Kolloseum waren nichts als Trümmer übrig. Auch den Bauten, die ihm nahe gestanden hatten, war es nicht besser ergangen. Sie alle waren in Stücken über die Stadt verstreut worden, als fielen die Sterne selbst. Und so musste es den Menschen vorgekommen sein.
In den weiten Felder, die nur noch aus Steinhaufen bestandn, die man nur entfernt als ehemalige Behausung erkennen konnte, blitzten immer wieder Fetzen von Gewändern auf. Leichenteile konnte Ri keine erkennen und sie war dankbar dafür. Auch wenn sie wusste, das es nur die Entfernung war, die ihr den Anblick ersparte.
Die Spur, die der Mahlstrohm genommen hatte, hatte eine offene Wunde in die Stadt geschlagen. Eine Schneise der Verwüstung. Das war alles was er hinterlassen hatte.

Der Sturm selbst raste auf die Nördliche Mauer zu, als wolle auch er die Verwüstung hinter sich lassen.
Dort konnten Ri ihn noch deutlich erkennen, obgleich die Mauer für sie nur ein dünner Strich in der Ferne war, so gewaltig war er geworden. Er behielt die Richtung bei, nach Norden, zu den weißen Bergen, doch foher würde er eine unbestimmte Zahl an Städten begegnen und sie dem Erdboden gleich machen.
Langsam verkam er zu nicht mehr als einer dünne, sandfarbene Linie, die sich krümmend immer weiter von ihnen entfernte. So klein wirkte er beinahe harmlos, doch es täuschte. Den Beweis hatte Ri klar vor Augen.

Weinen und Schluchzen drang durch die verwüsteten Straßen zu ihnen hinauf. Selbst jetzt noch spürte sie den Wind der Naturgewalt auf der Haut. Er brachte den Geruch von Blut und Staub mit sich und brannte heiß auf ihren Wangen, in die sich die Spur ihrer Tränen kalt eingruben, als rannen reine Eiskristalle aus ihren Augen.

So viele Tote, so viele Leben, die in so kurzer Zeit geendet hatten und das alles nur um sie zu retten. All das hatte sie niemals gewollt.

Eine Berührung an der Schulter ließ sie aus ihrer Starre erwachen. Erschrocken blickte sie in Kajatans Gesicht. Er hatte die Maske abgenommen, so das sie seine Züge erkennen konnte. Kummer schimmerte darin. Schmerz. Reue?

„Das war nicht besprochen.“
Ihre eigene Stimme klang ihr fremd nicht mehr als ein heiseres Krechtzen.
Sie fühlte sich wie ausgehölt. Gerade eben noch hatte sie Hoffnung empfunden, Stolz, ja, vielleicht auch Freude. Aber all das war innerhalb von Minuten in sich zusammen gefallen und hatte einer Leere platz gemacht, wie sie sie noch nie gespürt hatte.

Kajatan nickte traurig. Er wusste was er ihr damit antat.
„Du hättest es niemals zugelassen, wenn ich es dir gesagt hätte.“

Sie verstand es nicht. Wie konnte er so etwas sagen und dabei so wenig schuldbewusst blicken. Wenn er gewusst hatte, das sie das alles niemals zugelassen hätte, warum hatte er es trotzdem getan?

„Hätte es keinen anderen Weg gegeben?“
Ihre Hand ballte sich hilflos um den Stoff seines Hemdes.
Wieder liefen ihre Tränen ungehemmt. Sie hatte sich doch vorgenommen stärker zu sein und doch konnte sie sie einmal mehr nicht aufhalten.

„Sie haben es verdient! Und es macht doch keinen Unterschied, ob sie jetzt sterben oder später. Was wir tun, unser Ziel ist ihr Untergang. Wie wollten das! Du wolltest das.“
Der letzte Satz klang beinahe flehend.

„Nein,“
sie flüsterte das Wort nur, aber es klang so viel härte daraus, das er von ihr zurück wich.

Ihre goldenen Augen blickten ihn an, erfüllt mit dem Grauen des Gesehenen.
„Ich wollte alles wieder auf seinen natürlichen Weg zurück bringen. Was die Menschen tun ist falsch, sie erhalten sich am leben indem sie Leben von einer anderen Spezies stehlen. Es ist ihre Bestimmung unter zu gehen, weil es die Natur so will. Es ist nicht unsere Aufgabe über sie zu richten. Wer sind wir, das wir meinen uns das heraus nehmen zu dürfen.“

Verzweifelt raufte sie sich das Haar. Sie wollte ihr Volk befreien, nicht das selbe tun was die Menschen taten und eine Rasse vernichten.

„Aber.. aber..“
Kajatan stotterte, das passierte nicht oft.
„Ich habe es für dich getan.“
Er krallte sich in das Fell der Sanbestie, bis er Büschel des gelben Fells in Händen hatte. Shinda fauchte. Es war nicht nur der Schmerz, er spürte, das etwas zwischen ihnen nicht stimmte. Hörte es an dem Ton ihrer Stimmen und es machte ihn nervös.

„Nein, Kajatan. Du hast es für dich getan,“
sagte sie langsam, aber bestimmt.

Langsam ließ sie sich von Shindas Rücken gleiten und stand nun neben ihm, von Kajatan abgewandt.
Ihr Blick hing an der Szene die einem Alptraum entsprungen sein könnte.
Jetz erkannte sie es. Den Grund für seine Entscheidung und die Erkenntnis erschütterte sie, bis tief in die Knochen

„Du wolltest deinen Zorn ausleben. Das hat dich zu dieser Tat getrieben, nicht Liebe.
Liebe kann nicht zerstören. Sie kann es nicht.“
Damit sah sie ihn ein letztes mal traurig an. Er erwiderte ihren Blick, zitternd, den er spürte was sie vorhatte.

„Tu mir das nicht an,“
flehte er, doch sie erhörte ihn nicht.
Drehte sich nur schweigend um und schritt auf den Rand des Daches zu.



Manchmal machen meine Figuren was sie wollen😂
Ich hatte diesen kleinen Streit überhaupt nicht geplant, aber Ri hat Kajatan besser durchschaut als ich 😅
Manchmal denk ich sie ist der besserer Mensch von uns beiden😂

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now