68.Kapitel: Dort wo sich Schatten sammeln

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„Oh ja. Folg mir,“
Die Frau schien mit einem mal begeistert von der Idee, Ri ihre Schwester vor zu stellen. Sie klatschte in die Hände, wie ein kleines Kind und verschwand winkend zwischen den zarten Tüchern.

Ri fühlte sich unwohl bei dem Gedanken ein weiteres Geheimniss der Königsfamilie zu erfahren. Außerdem befürchtete sie, erneut vor einem Skelett zu stehen, oder einer anderen Grausigkeit, die sich die Königin ausgedacht hatte.
Doch sie folgte ihr. Was hatte sie auch groß für eine Wahl.

Sie verließ den Tempel, in dem die Überreste des alten Königs auf seinem Thron saßen und betrat wieder den wunderschönen Garten. Sofort fühlte sie sich leichter, als wäre mit den Schatten auch ein steter Druck von ihr gewichen.
Die Wachen begleiteten sie, immer im Abstand von mehreren Metern, die Waffen im Anschlag, doch sie waren es nicht, die Ris Inneres vor Anspannung summen ließen.

Sie waren nur da um die Königin zu verteidigen, sie waren greifbar, wirklich. Aber etwas anderes war das nicht.
Mit jedem Schritt, den Ri hinter der Frau her lief, hatte sie das Gefühl sich etwas zu nähern, das genauso groß, wie falsch war. Etwas altes, mächtiges und zu tiefst wiedernnatürliches.
Sie konnte es nicht richtig fassen.
Es war, als hinge dieses Etwas in der Luft um sie her, wie ein magnetisches Feld, das sie eigentlich abstieß. Aber sie näherte sich ihm trotzdem und das war es, was alle ihre Instinkte rebellieren ließ.Sie riefen ihr zu, sich umzudrehen und zu verschwinden.
Ri hörte sie, aber sie folgte ihnen nicht, auch wenn ein Teil von ihr es gerne getan hätte, denn sie wusste, das dass  worauf auch immer sie da zu lief, nichts gutes war.

Einem Impuls folgend schloss sie ihr rechtes Auge und blickte nur durch das Linke auf ihre Umgebung.
Fast hätte sie geschrien. Die schwarzen Verbindungen, die wie tote Schlangen vor ihr auftauchten, waren überall. In einem dichten, öligen Geflecht liefen sie über den Boden vor ihr. Sie bedeckten das Gras, wanden sich um die Bäume und waren so dicht, das Ri zwischen ihnen den Weg verlor, dem sie folgen sollte.

„Was machst du da? Komm endlich!“
Die Stimme der Königstochter zwang sie ihr anderes Auge wieder zu öffnen und langsam verblasste die tintige Finsternis, in der Ri meinte ersticken zu müssen.
Sie hatte gewusst, das all diese Verbindungen irgendwo zusammen liefen, hatte dort hin gewollt, weil sie wusste das sie nur dort die Ketten finden würde, die ihr Volk hielten. Aber jetzt, mittendrin zu stehen, war schrecklicher, als sie erwartet hatte.

All diese verdrehte und falsche Energie jagte ihr ein Schauder über den Rücken und einmal mehr musste sie gegen den Wunsch ankämpfen einfach weg zu laufen.
Ihre Rasse brauchte sie, sie konnte nicht einfach auf den letzten Metern umdrehen und sie alle zurück lassen.
Sie musste weiter gehen, auch wenn es bedeutete immer tiefer in das Geflecht aus Schatten einzutauchen.

Diese schienen sich um ihre Brust zu legen und zuzudrücken, als wären sie körperlich und nicht nur auf der Energieebene vorhanden. Das atmen fiel ihr zunehmend schwerer, etwas, das die Königin kaum bemerkte.
Sie redete mit der Golem in ihrem Schlepptau, wie mit einer alten Freundin, oder jemandem, der eh keine Gelegenheit haben würde etwas weiter zu erzählen.

„Ich war wirklich ganz schön verblüfft, als ich von den Geschehnissen im Kolloseum erfahren habe. Ich meine, eine Golem, die spricht und sich bewegt.“
Sie lachte, als hätte sie einen Witz gemacht.

„Und dann auch noch die Sache mit Kajatan.“
Ri hörchte auf. Auch wenn es ihr zunehmend schwerfiel den Worten der Frau zu folgen, aber allein die Nennung seines Namen holte sie von dort zurück, wohin auch immer diese Macht sie zerren wollte.

„Was?“

Die Königstochter drehte sich das erste mal im Laufen zu ihr um. Auf ihrem Gesicht lag ein wissender Ausdruck, der von einem grausamen Funkeln in ihren Augen begleitet wurde.
„Ja, ich weiß das er bei dir war und auch was er für dich bereit ist zu tun. Aber täusch dich nicht.
Er ist zu sowas wie richtiger Liebe überhaupt nicht fähig. Er ist ein Raubtier und der einzige Grund warum er sich um dich kümmert ist sein Beschützer instinkt. Einst war er mein Wächter und er hat mich mit der selben Inbrunst beschützt wie er es heute bei dir tut.“

Ri starrte sie an. Zwischen der Finsternis, die sie zu ersticken suchte, legte sich nun auch noch eine kalte Hand um ihr Herz.
Kajatan sollte diese Frau beschützt haben, genauso aufopfernd wie sie?
Hatte er ihr womöglich auch gesagt das er sie liebte, mit dieser wunderbaren Stimme? Ihr dabei in die Augen gesehen und sie in den Armen gehalten?
Die Kälte grub sich tiefer, während sie das Bild der beiden nicht mehr aus dem Kopf bekam.
Es fühlte sich an, als würde etwas in ihrem Inneren brechen, wenn sie diese Gedanken weiter zuließ, etwas wichtiges.
Nein! Die Königin wollte sie verunsichern. Kajatan würde niemals eine solche Person lieben können. Daran wollte sie glauben, musste sie glauben, sonst würde es sie in Stücke reißen.

„Und auch du kannst eigentlich nichts für ihn empfinden. Das bildest du dir bloß ein, das liegt alles an diesem dummen Ding.“
Ohne das Ri es recht bemerkt hatte, war die Andere an sie heran getreten und ließ ihre Finger über das Metall ihrer Panzerung fahren, genau an der Stelle, unter der sich der Kristall befand. Sie sah aus, als würde sie ihn am liebsten mit eigenen Händen heraus schneiden und unter ihrem Absatz in Staub verwandeln.

Ri wusste, das sie eigentlich Angst haben sollte. Das sie sich fürchten sollte, das diese Frau Lust bekommen könnte, diese bloße Vorstellung in die Tat umzusetzen. Aber unter dem ständigen Druck der finsteren Energie, schienen ihre Gefühle so seltsam fern, als hätte sich ein schwarzer Schatten dazwischen geschoben.
Auch das schreckliche Gefühl, das in ihr aufgekommen war, als sie an Kajatan und diese Frau dachte, schien immer weiter abzustumpfen.

Sie schüttelte den Kopf, um die Dumpfheit zu vertreiben, aber es fiel schwer.
Die Königstochter, die ihre Bewegung falsch deutete setzte eine überhebliche Miene auf und drehte sich ruckartig weg.

Schneller als zuvor schritt sie nun voran, immer den Hügel hinauf, der irgendwann an der hinteren Wand des Thronsaals aufgeschüttet worden war.
„Deine Bemühungen sind völlig umsonst. Die von allen von euch. Ihr Golem habt nicht die geringste Chance zu entkommen!“

Sie bemerkte in ihrem Wortschwall nicht, das die Golem hinter ihr immer weiter zu schwanken begann. Sah nicht die dunklen Schlieren, die sich durch das Gold ihrer Augen zogen.
Ri kämpfte. Auch wenn es ein stummer Kampf war und niemand ihn zur Kenntniss nahm, kämpfte sie.
Sie spürte wie ihr ihre Wahrnehmung immer weiter zu entgleiten drohte, wie etwas an ihren Gefühlen, ihrem Geist zerrte und alles was sie war hinab in den Abgrund reißen wollte.
Ihre Sicht begann zu verschwimmen, so das das blasse Rosa der Bäume vor ihr zu seltsamen Schemen zerfloss.
Die Königin vor ihr wurde zu einem blauen Fleck, neben all den anderen Farben und dann brachen die Bäume auf.

Für einen Herzschlag lang klärte sich ihr Sichtfeld und sie sah alles wieder scharf.
Sie sah den riesigen Kristall, der wie aus Schatten gegossen da stand. Ein schwarzes Ungetüm, an der hinteren Wand, des Thronsaals, so gewaltig, das er fast die Decke berührte. Und sie sah auch die Gestalt der zweiten Frau, die an das kalte Mineral gekettet da stand und ins Leere blickte.
Ihre Gesichtszüge kamen Ri auf seltsame Weise bekannt vor. Dann packte sie die Schatten und zogen sie hinab.

Die Königin blinzelte verwundert, als die Golem neben ihr zusammen brach.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now