60.Kapitel: Dort im Schlaf der Gefangenen

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Kaum hatte Ri die Augen geschlossen, fand sie sich in der Dunkelheit wieder, die ihren Schlaf immer begleitete.
Vor ihr tauchte das Meer ihrer Gefühle auf, als seien die Sterne vom Himmel gefallen und hätten sich an einer Stelle gesammelt.
Sie wusste wo sie sich befand, die Nächte der letzten Zeit, hatten ihre Aufenthalte hier kurz gehalten, doch die Gefahr blieb unverändert bestehen.

Als haben ihre Gedanken es gerufen, erblickte sie es. Das Wesen, das noch immer jede Nacht hier eindrang, wenn sie die Augen schloss. Es grub an der Mauer zu ihren Gefühlen, lustlos und ohne wirkliche Motivation.
Die letzten Male, hatte Ri es einfach fort gewischt, ohne sich auf eine Unterhaltung einzulassen, die ihr keine weiteren Informationen beschafft hätte.

Doch es konnte das letzte mal sein, das sie die Chance dazu erhielt, bevor sie ihm in seiner Körperlichen Gestalt entgegen trat. Also verwarf sie den Gedanken, das hier schnell hinter sich zu bringen und trat näher an es heran.

Es blickte auf, wenig begeistert sie zu sehen, doch es sagte nichts. Es erwartete scheinbar, das Ri es wieder fort wischte, wie sonst auch.
Doch die setzte sich zu ihm, auf die Mauer, die ihre Gefühle schützte.
Sie konnte es immer noch vertreiben, wann immer sie sich danach fühlte. Ihre Angst vor ihm, hatte sie schon lange verloren.

„Sieh an, wem ist den da nach reden zumute,“
sagte es gelangweilt und stellte seine sinnlose Arbeit ein.

Ri versuchte sich an das was einem Lächeln wohl am nächsten kam, auch wenn ihr nicht wirklich danach zumute war. Die Erinnerung, an ihren Weg in den Palast war noch frisch und sie spürte die Risse, die dieses Erlebnis in ihrer Seele hinterlassen hatte, auch hier.

„Du schuldest mir immer noch eine Antwort,“
erwiwderte sie und begann mit den Beinen zu baumeln.
Gleichzeitig wurde ihr die Absurdität dieser ganzen Situation klar. Da saß sie in ihrem eigenen Bewusstsein, auf der Mauer, die ihre Gefühle vor der Welt schützte und unterhielt sich ganz freundschaftlich mit dem Wesen, welches ihre gesamte Rasse unterdrückte.

Es schnaubte:
„Eine Antwort?“

„Ja. Auf die Frage warum du das alles tust.“

Das Knurren, das es von sich gab war so unmenschlich wie seine gesamte Erscheinung.
„Das meine Kleine, wirst du wohl niemals erfahren.“
Dabei legte es ihr die Pranken an die Wangen, als wolle es liebevoll darüber streichen. Ri wehrte sich nicht dagegen, auch nicht, als seine Krallen sich leicht in ihre Haut gruben.
Was konnte es ihr antun, was die Leute vor dem Tor nicht längst getan hatten?
Was war der Schmerz, den es ihr bringen konnte gegen den ihres geballten Hasses?

Es schien zu merken, das es sie nicht einschüchtern konnte und es gefiel ihm ganz und garnicht.  

„Wenn ich mir dich so ansehe scheint deine Gefühlswelt nur noch aus Leid zu bestehen. Wieso hängst du so an ihnen, wenn sie dir nichts als Schmerz bringen?“
Die Frage überrascht Ri, denn sie war ernst gemeinte. Der gezwungen beiläufige Ton verriet es ihr. Es versuchte nicht sie damit in eine Falle zu locken, es wollte es wirklich wissen.

Sie wollte schon den Mund öffnen um zu antworten, als ihr etwas klar wurde. Sie wusste nicht was sie erwidern sollte.
Ohne Angst und Trauer wäre ihr Leben deutlich leichter und ohne die Fähigkeit all das empfinden zu können, hätten die Beschimpfungen der Menschen ihr nichts anhaben können. Ohne ein Herz, das vermissen konnte, hätte ihre Trennung von Kajatan ihr nichts ausgemacht.
Sie spürte seine Abwesenheit mit jeder Stunde die verging deutlicher und sehnte sich nach ihm. Es tat ihr leid, was sie zu ihm gesagt hatte, das sie ihn verurteilt hatte.
Ja, was er getan hatte war nicht richtig gewesen, aber sie hatte ihm keine Chance gegeben daraus zu lernen, sondern sich von ihm abgewandt.

Sie merkte erst, das sie weinte, als das Wesen verächtlich Zischte. 
Die Tränen waren nicht wirklich und dennoch konnte sie sie nicht stoppen, wie so oft in letzter Zeit.

„Weißt du, sie gehören zum Leben dazu. Genauso wie Veränderung und Tod. Wir können nicht einfach nur die Teile heraus filtern, die uns gefallen. Was hätten die schönen Seiten dann für einen wert?
Was wären denn das Lachen ohne Trauer? Du würdest keinen Sonnenaufgang erleben, wenn es keine Nacht gäbe. Licht kann niemals ohne Schatten existieren und um einzuatmen musst du erst mal ausatmen. Alles ist im Gleichgewicht.

Wenn du dich aber vor all dem verschließt und lieber nichts empfindest, kannst du genauso gut direkt tot sein.“

Sie lächelte durch den Schleier an Tränen.

„Du bist verrückt,“
meinte es, doch es klang ein wenig verunsichert. So, als wolle es nicht zugeben, das Ris Worte etwas in ihm bewegt hatten.
Die konnte nur den Kopf schütteln über so viel Stursinn, aber auch das war okay. Sie würde ihm nicht ihre Sichtweise aufzwingen, dann wäre sie nicht anders als die Menschen die sie bekämpfte.

Kurz überlegte sie, ob sie ihm sagen sollte, das sie auf dem Weg zu ihm war, entschied sich aber schnell dagegen. Man warnte seinen Feind nicht das man kam.
Auf der anderen Seite wusste sie nicht, ob es das nicht ehe ahnte. Wenn sie mit ihrer Vermutung richtig lag, hatte sie jemanden aus der Königsfamilie vor sich, schließlich waren sie es, die das Geheimnis um die Golem behüteten.  
Vielleicht sprach sie gerade mit dem König, wer wusste das schon. Die wabernden Schatten verrieten nichts über die Gestalt, die sich dahinter verbarg.

„Mag sein. Aber dafür bin ich am Leben. Wirklich am Leben.
Was ist mit dir?“

Wieder gab es nur ein schnauben von sich.
Ri mochte sich nicht vorstellen, wie es war in all der Dunkelheit zu existieren, die es umgab. So viel, das es seine Züge bis zur unkendlichkeit verzerrte.

„Glaub ja nicht, du kannst mich mit deinem Gerede auf deine Seite ziehen.“

Diese Worte klangen beinahe menschlich und leugneten damit was es sagte. Aber Ri würde ihm das nicht vorhalten. Es hätte alles wieder kaputt gemacht.

„Das Versuche ich garnicht.“

Dann spürte sie, wie etwas an ihrem Bewusstsein zog. Ein sanftes Rütteln.
Sie begann zu erwachen.

Bevor sie jedoch die Augen wieder auf machen konnte, musste sie das Wesen noch hinaus befördern, sonst würde es die Mauer vielleicht wirklich noch durchbrechen.

„Wie auch immer,“
sie grub nach dem Gefühl von Mitleid in sich. Es war die einzige Gnade, die sie ihm in diesem Moment gewähren konnte, es damit auszulöschen.

Sie blickte auf die kleine Sonne, die in ihren Händen entstand und von ihr zu ihm. Es stand noch immer da, unverändert, aber der Blick seiner schwarzen Augen sagte ihr, das es wusste was nun passieren würde.

„Wir sehen uns,“
verabschiedete Ri sich. Es erwiderte nichts. Wartete nur schweigend ab, bis das Licht zwischen ihren Fingern immer größer wurde und an ihm zu nagen begann. Es löste sich im weiß auf und ließ nichts zurück als die Erinnerung an Schatten.

Ri erwachte. Um sie her war die winzige Zelle, die auch dort gewesen war, als sie ihre Augen geschlossen hatte. Die kahle Wand, der staubige Boden und die verriegelte Tür aus Fels.
Sie seufzte und rückte auf der Pritsche zurecht, die sich als einziges Mobiliar darin befand. Dann starrte sie an die Decke, früher oder später würden sie sie hohlen kommen.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now