71.Kapitel: Dort bleiben Wölfe zurück

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Blutende Seen verteilten sich über den weißen Marmorboden. Die Schatten des Kerkers ließen ihre Oberfläche dunkel wirken, ließen sie schwarz schimmern, während sie langsam vom Stein aufgesogen wurden. Es sah aus, als tränke dieser Taynahris Leben.  Feine rote Linien hatten sich darin gebildet und durchliefen das sonst so kalte Weiß wie Adern einen Körper.

Zwischen all dem lag die Frau, wie eine Stoffpupe, die jemand verloren hatte. Ein einst geliebtes Spielzeug, das nun niemand mehr haben wollte.
Ihre Kleidung hatte sich vollgesogen und hing schwer und starr, wie aus Blei gegossen, an ihr. Das Gesicht, mit den scharf geschnittenen Zügen, lag der dem Boden zugewandt, so das es verborgen wurde, von dem Kranz aus schwarzen Haaren, der sich um ihren Kopf aufgefächert hatte.

Kajatan starrte auf sie hinunter. Das Gewicht seines Bruders war plötzlich zu viel und ließ ihn in sich zusammen sinken. Seine Kieh schlugen schmerzhaft auf dem harten Boden auf, aber er nahm es kaum war. Er versuchte verzweifelt Luft in seine Lunge zu pumpen, doch sein Hals war wie zugeschnürt.

„Taynahri,“
flüsterte er.
Er konnte es einfach nicht glauben. Nach allem was sie zusammen erlebt hatte, war sie mit einem mal nicht mehr da.
Sie war so lange, so beständig ein Teil seiner Welt gewesen, das sein Verstand ihr Fehlen einfach nicht begreifen wollte. All die Kämpfen und all die Gefahr in der sie immer wieder zusammen geschwebt hatten, hatte sie überlebt, nur um hier zu sterben?
Das war nicht gerecht!

Ein Zucken ging durch den Körper der Toten.
Kajatan blinzelte irritiert.
Hatte er wirklich gesehen, was er glaubte gesehen zu haben? Oder war es eine Einbildung gewesen, entstanden aus der Trauer, die ihn nieder drückte wie eiserne Gewichte.
Doch!
Ein weiteres Zucken, ging durch ihre Arme, die sich langsam nach vorne schoben, um den Körper vom Boden hoch zu stämmen.
Tay mochte leben, doch ihre Verletzungen waren schwer. Sie schaffte es nicht einmal sich aufzurichten, nur den Kopf konnte sie zur Seite drehen, um ihn durch einen Schleier dunkler Haare anzusehen.

„Ich hoffe für dich, das der da tot ist.“
Ihre erschöpften Augen fanden Gahdirs Körper auf seinem Rücken und selbst in ihrem Zustand brachte sie ein grimmiges Knurren zustande.
Kajatan hätte darüber gelacht, wäre ihm nicht eher nach weinen zumute gewesen. In erster Linie vor Erleichterung, da sie lebte.
Aber wenn er wollte, das dies so blieb musste er langsam etwas tun.

Er ließ Gahdir auf den Boden gleiten, auch um ihn musste er sich kümmern, wenn er nicht wollte, das er starb, aber es war nicht so dringend, wie bei Tay.
Er hatte eigentlich gehofft endlich nach Ri suchen zu können, aber er brachte es nicht über sich, seine alte Freundin einfach hier liegen zu lassen.

Also begann er seinen Mantel in Streifen zu reißen. Dann öffnete er vorsichtig den Stoff von Taynahris Kleidung und besah sich die Wunden. Das schlimmste war der Blutverlust, also versuchte er den als erstes zu stoppen.
Sie hatte bereits zu viel verloren um noch richtig war zu nehmen, wie er eine Verletzung nach der anderen reinigte und abband.

Er tat es schnell, doch sorgfältig darauf bedacht keine Fehler zu begehen. Wenn er schon hier bleiben musste, wollte er auch das es sich lohnte und sie überlebte.

Tay ächtzte, als er sie auf den Rücken drehte, auch hier hatte sie lange Kratzer die stark bluteten.
Er verband auch diese und endlich hörte der rote Lebenssaft auf aus ihrem Körper zu entweichen.

Danach kümmerte er sich um Gahdir. Aber dieses mal war er nicht so darum bemüht Schmerzen bei der Behandlung, zu vermeiden. Sein Bruder bekam davon nichts mit, er war noch immer bewusstlos und wenn es nach Kajatan ging, konnte er das auch noch eine Weile bleiben.

„Sie töten mich sowieso.“
Tay hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt, doch nun murrmelte sie vor sich hin, als spräche sie zu jemand anderem.

„Wir wurden entdeckt. Die ach so tolle Revolution ist fehl geschlagen.“
Sie lachte bitter, wobei ihr blutiger Schaum über die Lippen trat.

Kajatn eilte heran und legte seine Finger vorsichtig um ihr Kinn. Sanft zwang er sie ihren Mund zu öffnen. Er versuchte zu erkennen ob Zunge oder Zähne verletzt waren und fand schließlich eine aufgebissene Wange.
Es beruhigte ihn. Die Befürchtung ihre Lunge wäre beschädigt verflog.

„Die Hirnlosen Golem schaffen es sich zu befreien, aber wir nicht.“
Sie ignorierte ihn und fuhr fort, vor sich hin zu schimpfen.
Ach wenn ihm nicht gefiel was sie sagte, beruhigte ihn ihr Verhalten doch. Wie schlecht konnte es ihr schließlich gehen, wenn sie bereits wieder meckern konnte.

„Sie sind nicht Hirnlos,“
verteidigte er die Golem, während er noch einmal den Sitz ihrer Verbände überprüfte.
„Sie werden nur kontrolliert, sie können nichts dafür.“
Er war sich nicht sicher, ob Tay seinen Einwand überhaupt gehört hatte, denn sie sprach unbeeindruckt weiter.

„„Wir sind stärker als diese Dinger,“ habe ich gedacht. „Was die können, können wir schon lange.“
Aber ich lag falsch und hab damit alles verdorben.“
Ihre Stimme brach und Tränen quollen aus ihren Augen. Sie wuschen kleine, saubere Bahnen in ihr rot verschmiertes Gesicht und versickerten in ihrer Kleidung.

Kajatan seufzte und strich ihr beruhigend über den Kopf. Erst jetzt schien sie ihn überhaupt wahr zu nehmen, den sie blickte gequält zu ihm auf.
„Ich habe versagt.“

Er wusste, das diese drei Worte für sie mehr bedeuteten, als das bloße Eingeständnis es nicht geschafft zu haben.
In der Welt der Beschaffer bedeutete Versagen den tot, besonders für jemanden wie Taynahri, die klein und entbehrlich war. Sie hatte überleben können, weil sie immer alles perfekt gemacht hatte. Perfekt gehorcht, gehandelt und alles getan. Es war als behaupte sie kein Recht mehr auf ihr Leben zu haben.

Kajatan schüttelte den Kopf.
„Du hast nur versagt, wenn du weiter so denkst. Sieg oder Tot, das ist was sie aus uns gemacht haben. Das Pflicherfüllung vor unserem eigenen Leben, vor dem Leben unserer Kameraden steht, haben sie uns eingetrichtert.
Mag sein, das wir uns von physischen Ketten lösen müssen, aber der wirkliche Kampf findet hier oben statt.“
Er tippte sich an die Stirn und beobachtete, wie Tay die Bewegung gebahnt verfolgte.

„Erst wenn sie dort raus sind, sind wir wirklich frei, dann könnten wir auch in Kerker stecken ohne diese Freiheit wieder zu verlieren.
Ich bin frei, wie steht es mit dir?“

Die Beschafferin sah ihn lange an. Er konnte förmlich sehen, wie sie das was er gesagt hatte, in Gedanken hin und her drehte und betrachtete.
„Ich möchte auch frei sein,“
flüsterte sie schließlich leise, als habe sie Angst, das jemand sie hörte.

Ein stolzes Lächeln stahl sich auf Kajatnas Lippen, als die Entschlossenheit in ihren Blick zurück kehrte.

„Dann komm mit mir. Ich werde Ri begleiten, was auch immer passiert. Aber es ist genug Platz unter den Sternen für eine weitere Person.“

Sie zögerte. Er fragte sich warum, schließlich wusste er nicht was ein Leben neben ihm und dem Mädchen das er liebte für sie bedeuten würde.
Doch schließlich antwortete sie.

„Sie ist zum König gerufen worden. Vor wenigen Stunden. Das war es doch was du wissen wolltest.“
Weitere Tränen rannen ihre Wangen hinab.

„Ich liebe dich Kajatan und ich würde so gerne mit dir gehen, aber ich kann nicht.“
Sie legte ihre Hand auf die Wunden an ihrem Bauch, die jede Bewegung unmöglich machen würden.

„Lass mich hier. Geh zu ihr.“
Trotz allem versuchte sie zu lächeln, doch es hing schief in ihrem Gesicht.

Kajatan musste gegen den Klos ankämpfen, der plötzlich in seinem Hals zu stecken schien.
Tay hatte recht. In diesem Zustand würde sie es niemals bis in den Thronsaal schaffen. Er konnte sie nicht mitnehmen.
Aber er konnte sie auch nicht hier lassen. Wenn die anderen sie fanden, war sie so gut wie tot.

„Geh,“
drängte sie erneut. „Joton kommt sicher jeden Moment. Dann bin ich sicher.“

Er wusste, das sie es nur sagte um ihn zu beruhigen. Ob der Riese kam oder nicht würde keinen Unterschied bedeuten, wenn die Revolution wirklich gescheitert war.
Aber alles in ihm schrie und brannte darauf sofort aufzubrechen und zu Ri zu laufen. Er musste, so sehr es ihn auch schmerzte.

„Ich liebe dich auch, wie eine Schwester.“
Auch seine Stimme war leise, als er ihr ein letztes mal durchs Haar fuhr.
Dann drehte er sich um und begann zu rennen.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now