51.Kapitel: Dort spricht das Herz

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Ris Seele weinte. Der Klagelaut suchte sich einen Weg durch ihre Kehle hinauf und brach zwischen ihren Lippen hervor, wie das schreien einer zusammen brechenden Welt.
Er war tot.
Nichts würde ihn dazu bringen wieder aufzustehen oder auch nur zu blinzeln. Er war nicht einfach paralysiert oder seiner Gefühle beraubt. Er war tot.
Und sie hatte ihn umgebracht.

Ihre Finger gruben sich in ihre Haut, bis Blut hervor quoll, aber nichts konnte den Schmerz in ihrem Inneren erträglicher machen. Ihre Mund war verzehrt und sie schrie, bis ihre Lunge leer war und ihre Kehle brannte.

Die Menge um sie war verstummt. Nur einzelne, flüsternede Stimmen waren zu hören, die verwundert fragten, was da unten gerade geschah.
Sie hatten nie zuvor erlebt, das ein Golem Gefühle zeigte, geschweige denn weinte, oder sich den Helm vom Kopf zog, ohne einen Befehl dazu bekommen zu haben.
Doch Ri tat dies und ein kollektives verblüfftes Luftholen ging durch die Reihen. 

Aus goldenen Augen blickte zu ihnen auf, aus denen noch immer Tränen liefen. Trauer und Wut mischen sich in ihnen und funkelten hinauf bis zum letzten Zuschauer des grausamen Schauspiels.

Nicht sie hatte ihn getötet, wurde ihr klar, sondern die Menschen.
Sie war es vielleicht gewesen die das Schwert geführt hatte und das würde sie sich nie verzeihen, aber sie waren es gewesen, die ihn gegen sie ins Feld geführt hatten und das würde sie Ihnen nie verzeihen.

„Ihr Ungeheuer!“
Brüllte sie zu ihnen hinauf, ihre Stimme noch schwach vom Weinen und Schreien, doch die Akustik der Arena trug sie hinauf, noch in den letzten Winkel.

Bei ihren Worten brach auf den Rängen das Chaos aus. Menschen sprangen auf, ungläubig über das war sich vor ihren Augen abspielte und riefen wild durcheinander. Jeder hatte nur eine Frage. Was geschah da gerade.
Doch sie verstummten wieder, als die Golem wieder zu sprechen begann.

„Ihr rühmt euch eurer Menschlichkeit und schickt doch Wesen, die keine andere Wahl haben als euch zu gehorchen, in den tot. Wenn das Menschlich ist, bin ich froh keiner von euch zu sein!“

Mit einem letzten funkelnden Blick wandte sie sich ab und die Menge beobachtete wie versteinert, wie sie den Kopf ihres Gegners auf seinen Schultern richtete. Dann schloss sie sanft die schwarzen Augen, die so wenig anders wirkten, als noch zu seinen Lebzeiten.

Die ganze Zeit blieb es ruhig. Erst Ri durchbrach die Stille, als sie sich weit genug beruhigt hatte um sich an ihren Plan zu erinnern.
„Er ist tot. Versteht ihr das? Er ist tot, weil ihr euren spaß haben wolltet. Das bedeutet das er gelebt hat.
Das tun wir alle!“

Wieder erhob sich Gemurmel, als jeder seinem Nachbarn mitteilen wollte, was er dachte. Ri unterbrach es mit lauter Stimme.

„Ich weiß was ihr denk: „Wie kann etwas leben, das offensichtlich keine Schmerzen empfindet, das keinen Willen und keine Gefühle hat?“
Das haben wir sehrwohl!“
Die letzten Worte donnerten durch die Arena und die Menschen zogen erschrocken die Köpfe ein, als die Kraft der Golem über sie hinweg rollte.

„Wenn ihr uns schlagt, wenn ihr uns beschimpft und in den Staub tretet, uns bespuckt und und dazu zwingt unsereins zu töten spüren wir es. Wir spüren alles!“

Totenstille lag über der Szene, die von außen gesehen völlig falsch wirkte.
Eine Menge von fast tausend Menschen lauschte wie hypnotisiert den Worten einer einzelnen Golem, die doch jedem von ihnen Untertan sein sollte. Keiner wagte es sie zu unterbrechen und wenn der Blick ihrer goldenen Augen sie streifte schreckten sie vor dem zornigen Feuer darin zurück.
Eine Golem hielt das gesamte Kolloseum in atem.

„Warum wir uns nicht wehren?“
Stellte sie in diesem Moment die Frage, die wohl jedem durch den Kopf ging.

„Weil wir nicht können!
Unsere Gefühle werden vom Königshaus unterdrückt um ihre Macht zu erhalten.“

„Unsinn!“
Rief mit einem mal ein Mann hinter ihr.
Ri wirbelte herum und suchte in der Menge nach dem Störenfried.

„Unsinn?
Vor dir steht eine Golem die Sprechen kann und du zweifelst an was sie sagt?
Aber eigentlich hatte ich von euch Menschen nichts anderes erwartet, nutzt ihr uns doch bereits seit Jahrhunderten ohne schlechtes Gewissen aus.
Also rede dir ruhig weiter ein, das ich unsinn erzähle. Biege dir die Wahrheit wie sie dir passt! Das könnt ihr so gut.“

Unzufriedenes Murmeln wurde laut, doch es verstummte sofort, als Ri den Blick schweifen lief.

Auch sah sie dabei die Männer, die am Rande der Arena standen und normalerweise aufgebrachte Wettferlierer im Zaum halten sollten. Sie waren genauso erstarrt, wie der Rest des Publikums, aber sie spürte ihre Unruhe, ihre Unsicherheit, ob sie eingreifen sollten.

Ihre Augen schweiften weiter, aber sie fand nicht wonach sie suchte. Kajatan war nirgens zu sehen. Wo war er?
Erste Zweifel krochen in ihr hoch, ob sie es wirklich lebend wieder hinaus schaffen würde, aber schon im nächsten Moment verflog der Gedanke.
Selbst wenn nicht, hatte sie bereits einiges gesagt, was den Blick der Menschen auf ihr Volk für immer ändern würde. Vielleicht würde es reichen um es zu befreien, selbst wenn sie jetzt starb.

„Ihr wundert euch warum ich als einzige sprechen kann?“
Mit einer Bewegung riss sie sich die Brustpanzerung vom Leib und enthüllte damit den Kristall, der in ihrer Haut steckte. Sie deutete auf ihn, wie auf einen Orden, den man ihr für ihre Tapferkeit verliehen hatte.

„Das ist nicht irgendein Schmuck. Das ist ein Unterbrecher. Damit kann man der Kontrolle entgehen.“

Erneut ging ein Raunen durch die Menge.
Am Rande ihres Sichtfeldes nahm Ri wahr, wie die ersten Wachen sich über die Mauer schwangen, die den Zuschauer bereich von der Arena trenten und langsam auf sie zukammen.
Sie musste sich beeilen wenn sie den Rest ihres Bluffs vorbringen wollte, auch wenn sie nicht wusste ob es ihnen noch etwas nützen würde, den noch immer war keine Spur von Kajatan zu sehen.

„Ich bin nicht die einzige die so einen Besitzt und es werden mehr. Golem, die sind wie ich produzieren mehr von ihnen, draußen in der Wüste.“

Die Männer beschleunigten ihre Schritte, noch immer nicht ganz sicher, wie sie sich verhalten sollten.

„Ihr werdet sie nicht finden, aber sie werden euch finden und dann wird das Imperium der Amiden fallen. Ihr Palast wird in sich zusammen stürzen und alle werden die Wahrheit sehen!“

Sie beeilte sich die letzten Worte zu rufen, den nun waren die Männer bei ihr und umkreisten sie.
Ris Muskeln spannten sich. Sie würde nicht Kampflos untergehen.

Da ließ ein Rattern die Köpfe der Versammelten Menge wenden.
Das größte der Tore, das in die Arena führte, öffnete sich und Tiere stoben ins Freie. Eine bunte Mischung aus verschiedensten Raubtieren ergossen sich auf die offene Fläche. Tieger mit riesigen Fangzähnen und Löwen mit bunter Mähne, Bären, groß wie Hamele und Panther mit unendlich langen Beinen. Für den Kampf gezüchtete Kreaturen. Sie alle rannten, als wäre der leibhaftige Tod hinter ihnen her.

Die Männer, die Ri noch zuvor eingekreist hatten, ergriffen nun schreiend die Flucht. Auch die Zuschauer kreisten entsetzt, doch die Tiere konnten sie nicht erreichen.
Statdessen kauerten sie sich verängstigt in der hintersten Ecke zusammen, ohne die wenigen Menschen zu beachten, die bei ihnen und damit leichte Beute waren.
Ri fragte sich noch was sie so in Panik versetzt hatte, da erhielt sie ihre Antwort auch schon.

Aus dem Dunkel, des noch immer geöffneten Tores brach die Sandbestien hervor. Mitten unter ihnen eine, die Ri sofort erkannte.
Shinda brüllte lauter als alle anderen und Kajatan auf seinem Rücken winkte ihr lachend zu.
Das war also sein Ausbruchsplan gewesen.

Das Herz der GolemDonde viven las historias. Descúbrelo ahora