12.Kapitel: Dort wo Feinde sind

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„Ich habe dir doch gesagt du sollst mich wecken!“,
zischte Kajatan zum wiederholten male.

Ri verdrehte die Augen. Sie war sich ziemlich sicher das er übervorsichtig war.

Als hätte er ihre Gedanken gehört drehte er sich zu ihr um. Seine Augen blitzten und auch wenn sie froh war, das der müde Ausdruck daraus verschwunden war, zuckte sie doch bei dem wütenden Funkeln zusammen, das darin lag.

„Dir ist hoffentlich klar, das du nicht nur mit deinem eigenen Leben spielst.“
fauchte er.

Sie versuchte sich nicht an merken zu lassen wie sehr sie diese Worte trafen und konterte:
„Und dir ist hoffentlich klar, das ich nicht zulassen werde, das du so lange wach bleibst bis du tot umfällst, denn davon hat keiner von uns etwas.“

Sie erwiderte seinen Blick mit dem selben entschlossenen Ausdruck,
dann seufzte sie jedoch.
„Außerdem hast du den Schlaf gebraucht. Glaubst du ich sehe gerne zu, wie du dich selbst schindest. Du konntest doch kaum mehr gerade aus gucken. So bemerkst du bestimmt niemanden rechtzeitig, der sich anschleicht.“

Sie versuchte zu verbergen was für Sorgen sie sich wirklich um ihn gemacht hatte und behielt ihre beleidigte Mine bei.

Er zog nur unsicher eine Augenbraue hoch und schüttelte schließlich den Kopf.
„Komm einfach. Wir müssen hier weg.“

Er sprach kein weiteres Wort, während er sie durch die schmalen Straßen, auf den Wall zu führte. Ri folgte ihm, ebenfalls schweigend.
Sie wusste auch nicht was sie hätte sagen können.
Auf der einen Seite bereuhte sie ihr Handeln nicht einmal im Ansatz, er hatte die Ruhe gebraucht. Auf der anderen Seite stimmte was er sagte und sie hatte damit ihren Feinden die Chance gegeben aufzuholen.

Sie verkniff sich ein Seufzen.
Ihr Tat war der Grund für den Streit gewesen und sie fühlte sich nicht wohl damit. Ihr Herz lag wie ein schwerer Klumpen in ihrer Brust und ließ sie wünschen niemals so gehandelt zu haben, auch wenn sich ihre Entscheidung noch immer richtig anfühlte.
Doch was spielte das für eine Rolle. Sie mochte die Distanz nicht, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte. Es war ihr beinahe unerträglich und so beschloss sie kurzerhand sich bei ihm zu entschuldigen, unabhängig davon ob ihr Handeln nun Richtig gewesen war oder nicht.

„Kajatan,“
begann sie, doch er packte sie abrupt am Arm und zog sie hinter die nächste Häuserwand.

Sie blinzelte verwundert, als er seine Hand auf ihren Mund legte und Wut stieg in ihr auf. Sie hatte sich entschuldigen wollen, wieso ließ er sie jetzt nicht sprechen?

Doch ihr Zorn verrauchte augenblicklich, als sie seine plötzliche Anspannung bemerkte.
Die Augen zu Schlitzen verengt, die Stirn in tiefe Falten gelegt, blickte er vorsichtig um die weiß getünchte Wand, die sie vor dem verbergen sollten, was auch immer seine Sinne erfasst hatten.

Kajatan spürte sein Blut als kalte Masse durch seinen Körper kriechen. Sein Mund war trocken und die Angst, die ihn so unvermittelt gepackt hatte, machte ihm das Armen schwer.
Dort vorne, nur wenige Meter entfernt, stand eine schwarz gekleidete Frau in den Schatten eines runter gekommenen Hauses. Ihre Gestalt war kaum auszumachen, im Zwielicht des verhangenen Tages und der Geruch, der ihn andernfalls gewarnt hätte wurde vom Wind davon getragen.

Ihre Haltung war die eines Raubtiers, das wusste, das seine Beute ihm in die Falle gehen würde und das beunruhigte Kajatan am meisten.
Die Frau war eine Jägerin, das erkannte er sofort, aber sie stand dort viel zu offensichtlich, um die wirkliche Falle zu sein.

Kajatans Verstand arbeitete auf Hochtouren.
Sie hatte sich dort postiert als wollte sie gesehen werden. Das hieß, sie wollte seine Flucht provozieren und ihn so in die Arme ihrer Kameraden treiben, die sicher schon die Straße runter auf ihn warteten.
Jäger waren oft in Verbänden von drei bis fünf Leuten unterwegs. Das hieß, das mindestens zwei weitere bei ihr waren, höchstens vier.
Sie alle hatten ihre Plätze bestimmt schon vor Stunden eingenommen.

Kajatan durchlief es kalt. Er hatte das Gefühl, als lege sich etwas um seinen Hals und drücke ihm die Luft ab, als wäre die Falle bereits zugeschnappt.

Ri strampelte in seinen Armen, denn sie bekam tatsächlich keine Luft mehr. Er ließ sie los, doch sein Verstand drehte sich noch immer um die scheinbar ausweglose Situation und er sah durch sie hindurch, als sie sich zu ihm umdrehte und fragend den Kopf schief legte.

Sie würden ihn schnappen, begriff er. Wenn Ri bei ihm blieb würden sie sie ebenfalls bekommen und das wollte er am wenigsten. Es musste doch einen Weg geben.

Sein Blick fiel auf den Wall, der sich wenige Straßen weiter in den Himmel erhob, wie der rettende Leuchtturm längst vergangener Zeiten.
Wenn sie ihn erreichten, überquerten und bei Shinda ankamen, wären sie in Sicherheit. Seine Pfoten würden sie schneller von dieser Stadt weg tragen als es die Füße der Beschaffer oder sogar ein Windboot konnten.
Wenn sie ihn erreichten wären sie gerettet.

„Ri.“

Sie blickte auf, als er ihren Namen sagte. Seine Stimme war ein eindringliches Flüstern, das ihr den Ernst der Lage besser begreiflich machte, als es alle Worte gekonnt hätten.

„Du musst mir jetzt vertrauen, hörst du?“
Er sah ihr fest in die Augen, als wolle er ihre Reaktion genau beobachten.

Sie schluckte. Ihr gefiel nicht wohin das alles zu laufen schien. Sie begriff das der Feind sie gefunden hatte und in ihrem Inneren schien sich ein Abgrund auf zu tun, als ihr klar wurde das dies ihre Schuld war. Weil sie nicht auf ihn gehört, ihn schlafen lassen und ihre Verfolger unterschätzt hatte.

„Wir rennen gleich los, ich bin direkt hinter dir, aber du darfst dich nicht um drehen. Du musst immer weiter rennen, zu Shinda. Hörst du?
Du darfst dich nicht umdrehen, egal was passiert, du rennst weiter!“

„Nein,“
wimmerte sie und schüttelte hilflos den Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen und es versetzte ihm einen Stich.
Es tat gut zu sehen, das sie ihn nicht verlieren wollte, doch zur selben Zeit bestärkte es seinen Entschluss. Er würde sie beschützen, unter allen Umständen.

„Wieso hört sich das so nach Abschied an?“
Ihre Stimme klang mit einem mal wie die eines verängstigten Kindes und zitternd klammerte sie sich an ihn.
Er konnte nicht anders, er legte seine Arme um sie und genoss für einen Moment ihre Wärme. Er versuchte sich ohren Geruch ein zu prägen, so als wäre er nicht sicher sie jemals wieder zu sehen.
Um so schwerer fiel es ihm sich wieder von ihr zu lösen und sich der Gefahr zu zu wenden, die so unvermittelt vor ihnen aufgetaucht war.

„Wenn ich sage „renn,“ dann rennst du,“
schärfte er ihr ein letztes mal eindringlich eon, dann schoss er vor und jagte über die Straße.

Ri flog hinter ihm her, sah wie er zum Sprung ansetzte und die schwarze Gestalt, die in den Schatten lauerte unter sich begrub. Es ging so schnell, das sie nur zwei dunkle Körper sah, die sich in einander verkeilten.
Sie war deutlich langsamer, als der Beschaffer und hatte die beiden noch nicht ganz erreicht.
Als sie näher kam, schien alles in ihr zu schreien, sie solle anhalten und Kajatan helfen, der irgendwo in dem Knäuel steckte, das sich fauchend und knurrend über den Boden wälzte.

Dann erkannte sie ihn mit einem mal, wie er da stand, die Hände seines Gegners gepackt, was seine Arme vor Anstrengung zittern ließ. Sein Kopf schoß zu ihr herum, als er sah das sie zögerte.
„Lauf!“,
schrie er sie an, Gesicht und Stimme bis zur Unkenntlichkeit verzehrt.

Und Ri lief.
Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, als sie die schmale Gasse hinab jagte. Die Angst trieb sie zu höchst Geschwindigkeiten. Sie hielt ihren Blick krampfhaft auf den Wall gerichtet, der viel zu langsam näher kam. Das Bild verschwamm immer wieder vor ihren Augen und sie versuchte verzweifelt die Tränen weg zu blinzeln, während das Gebrüll der Kämpfenden hinter ihr immer leiser wurde.

Das Herz der GolemWhere stories live. Discover now