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Kim war die Erste, die bei mir ankam. „Elle, du bist trocken!"

Mir war bewusst, dass sie recht hatte, aber das hieß keineswegs, dass ich aufhören konnte. Das Wasser hatte ein brennendes Gefühl auf meiner Haut hinterlassen. Das Handtuch half dabei nicht. Der Schmerz wurde nicht weniger, aber immerhin tat ich etwas.

Kim bückte sich und versuchte ihre Hand auf meine zu legen, doch ich zog sie weg, bevor sie mich erreichen konnte. „Nicht." Meine Stimme war nicht mehr als ein leises Flüstern.

Ich warf ihr das Handtuch zu. Sie fing es auf und bedachte mich mit einem seltsamen Blick, während sie sich ein wenig abtrocknete. „Was ist mit dir?"

„Es tut mir leid, Kim.", flüsterte ich, ohne genau zu wissen, was mir leidtat. Dass ich ihrer Berührung ausgewichen war? Dass ich ihren Bruder beleidigt hatte? Dass ich ihr nicht erklären konnte, warum ich mich so benahm? Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich stimmte alles in gewisser Weise. „Es mag dir verrückt erscheinen..." Schließlich war es das ja auch. Mit aller Macht versuchte ich eine Erklärung zu finden, bei der ich in der Lage war sie auch auszusprechen. „Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich eine Wasserallergie habe?"

„Was?", fragte sie perplex. „Ist das dein Ernst?"

„Nein, natürlich nicht!" Ich rieb mir mit den Händen über das Gesicht. „Du sollst es dir nur vorstellen. Selbstverständlich habe ich keine Wasserallergie, aber ich ertrage die Berührung trotzdem nicht. Ich verlange ja gar nicht, dass du das verstehst. Ganz im Gegenteil, ich kann es dir auch nicht erklären, aber ich bitte dich, aus tiefsten Herzen, bitte, bitte, versuche niemals mich ins Wasser zu bekommen oder auch nur irgendwie in Kontakt mit Wasser zu bringen. Bitte." Gegen Ende wurde meine Stimme immer schwächer und ich hörte auf zu sprechen, bevor sie ganz den Geist aufgab. Meine Finger fühlten sich taub an und ich konnte meinen Herzschlag laut pochen hören.

„Was stimmt denn nicht mit dir?", fragte Robin, der direkt auf mich zulief. „Was ist dein verdammtes Problem?"

Bevor ich begriff, was er vorhatte, beugte es sich schon zu mir runter, um nach mir zu greifen. Mit seiner nassen Hand. Ich wusste nicht, ob er mich schütteln wollte oder ob er nur versuchte mich nass zu machen. Im Endeffekt war das auch egal, denn gerade als ich dachte es wäre zu spät, griff Oli nach Robins Arm und zog ihn mit voller Kraft von mir weg. Durch den Ruck fiel Robin nach hinten und starrte seinen besten Freund mit wutverzerrtem Gesicht an. „Was soll der Scheiß?"

Oli erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Lass sie in Ruhe."

Robin sprang auf. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. „Was? Wieso?" Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. „Ich will endlich wissen, was mit ihr los ist! Du musst doch auch wissen wollen, was ihr verdammtes Problem ist, oder etwa nicht?"

„Doch, natürlich würde ich es auch gerne wissen, aber das heißt nicht, dass ich sie dazu zwingen möchte es mir zu erzählen, wenn sie es nicht will! Sie wird es uns schon noch erzählen, wenn sie bereit dafür ist! Bis dahin, hälst du dich gefälligst zurück! Wenn du so weiter machst, erzählt sie es uns nie! Wahrscheinlich wird sie dann irgendwann nichts mehr mit uns zu tun haben wollen! Und das alles deinetwegen! Und jetzt sei endlich still und lass sie in Frieden!"

„Was ist los mit dir?", brüllte er. „Sie ist nicht Elisa!"

Irritiert über den Namen, überlegte ich kurz, ob ich ihn schon einmal gehört hatte, aber ich konnte mich nicht entsinnen, dass sie ihn in meiner Gegenwart jemals erwähnt hatten. Wer das wohl war?

Olis Hände verkrampften sich. „Verdammtes Arschloch!", stieß er mit zusammengepresstem Kiefer aus.

„Ich habe doch recht! Sie ist nicht Elisa! Du kannst dich also wieder beruhigen!"

Dann ging alles ganz schnell. Oli holte aus und schlug Robin mit geballter Faust ins Gesicht. Kim schrie auf, während Robin zurückschlug. Die Prügelei war schon voll im Gange, bevor ich realisiert hatte, was geschehen war. Ich sprang auf und ein Blick zu Kim zeigte mir, dass sie völlig erstarrt war. Sie würde mir keine Hilfe sein. Sie aus der Starre zu befreien, würde zu lange dauern.

Eine Welle der Angst begrub mich, aber ich versuchte sie abzuschütteln, indem ich bewusst tief und gleichmäßig atmete. Mittlerweile wälzten sie sich auf dem Boden. Gerade lag Oli über Robin und schlug ihn, doch Robin gewann wieder die Oberhand, schubste Oli von sich runter und stand wieder auf. Auch Oli rappelte sich auf und sie setzten die Schlägerei wieder im Stehen fort. Wie hatte es nur in so kurzer Zeit dermaßen eskalieren können?

Unter normalen Umständen wäre ich, ohne zu zögern, zu ihnen gerannt, hätten mir den gepackt der mir näherstand und sie so davon abgehalten weiter zu machen. So hatte ich es bei Manu immer gemacht. Er war auch regelmäßig in eine Schlägerei geraten und öfters als mir lieb war, war ich selbst der Auslöser dafür gewesen. Es musste nur jemand ein schlechtes Wort über mich verlieren und Manu begann eine Schlägerei. Ich hatte ihn immer und immer wieder darum gebeten das sein zu lassen, aber ohne Erfolg. Doch ich konnte ihn immer aufhalten, bevor Schlimmeres passierte. Es waren meistens Auseinandersetzungen, die sie zwar so wütend machten, dass sie sich gegenseitig schlugen, aber welche, die sie noch klar genug denken ließen, um zu wissen, dass sie keine anderen Menschen verletzen wollten. So kam ich auch meist ohne die geringste Verletzung aus der Situation raus. Ich war mir sicher, dass das hier genauso sein würde. Das war nicht der Grund, der mich zögern ließ, sondern die Tatsache, dass ich einen von beiden dafür anfassen musste und beide noch immer nass waren. Es war lächerlich, aber es hinderte mich am Handeln.

Doch dann schlug Robin Oli auf die Nase und das knackende Geräusch, das ich vernahm, aktivierte meinen Körper wieder und ich setzte mich endlich in Bewegung. Ich rannte auf die beiden zu und warf mich zwischen ihnen. Ich berührte keinen von ihnen, aber ich schwor mir selbst in diesem Moment, dass ich es machen würde, wenn ich musste. Mit ausgestreckten Armen hielt ist sie auf Abstand und blickte beide abwechselnd an.

„Geh weg Elle!", knurrte Robin. „Verschwinde!"

Die Körper der beiden waren immer noch sichtlich angespannt, aber ich rührte mich nicht. „Nein!", schrie ich. „Ihr beiden hört jetzt verdammt nochmal mit dem Scheiß auf! Ihr seid doch Freunde!"

„Elle, misch dich hier nicht ein.", rief Oli und fügte schnell noch hinzu: „Bitte, geh!"

„Nein!", schrie ich erneut, ohne die Stellung zu verlassen. „Das werde ich ganz sicher nicht tun! Es tut mir leid, dass ich mich einmischen muss, aber ich werde das nicht zulassen. Keine Ahnung, was genau passiert ist, aber angefangen hat das ja meinetwegen-"

„Das ist nicht-", unterbrach mich Oli, aber auch ich ließ ihn nicht aussprechen: „Ist mir egal, ob ich der Grund bin oder nicht! Es macht keinen Unterschied! Ich werde das nicht zulassen! Ihr könnt das gerne mit Worten ausfechten. Ich schwöre euch auch, dass ich mich dann voll und ganz raushalte, aber ich werde nicht zulassen, dass ihr euch gegenseitig zusammenschlagt! Seht euch doch nur mal an!" Beide hatten sie im Blut im Gesicht. Aus Olis Nase lief Blut und war allgemein ziemlich angeschwollen. Robins Lippe war aufgeplatzt und beide hatten sie mehrere Schürfwunden an Armen und Beinen. „Ihr bringt euch noch gegenseitig um!" Als ich diese Worte aussprach, begriff ich, dass die Angst, die ich empfand, nicht etwa an der Schlägerei an sich lag, schließlich kannte ich das nur zu gut, sondern daran, dass ich Angst davor hatte, dass noch jemand sterben würde. Der rationale Teil in mir wusste zwar, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass sie sich gegenseitig umbrachten, aber es wäre auch nicht das erste Mal gewesen, dass jemand bei einer, eigentlich harmlosen, Schlägerei ums Leben kam.

Oli war der Erste, der sich entspannte. Er ließ seine Hände sinken und nickte mir zu. Auffordernd sah ich zu Robin. Resigniert ließ auch er die Fäuste sinken.

„Danke.", sagte ich und seufzte. Das war geschafft. 

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now