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Wir kamen gerade rechtzeitig zurück, denn das Essen wurde auf den Tisch gestellt, also aßen wir. Wir aßen, ohne miteinander zu sprechen. Keiner schien zu wissen, was er sagen sollte. Die Musik gab sich Mühe, die unangenehme Stille zu unterbrechen, doch der Erfolg hielt sich in Grenzen. Es war trotzdem unangenehm.

Robin versuchte ab und zu ein harmloses Gespräch ins Rollen zu bringen, aber es gelang ihm nicht und letzten Endes gab auch er es auf. Trotzdem war ich ihm für den Versuch dankbar. Doch auch ohne das, half er mir. Seine Hand auf meinem Knie beruhigte mich. Ermöglichte es mir hier an diesen Tisch zu sitzen und sogar zu essen.

„Wo schlaft ihr eigentlich gerade?", fragte Katharina mit vorsichtiger Stimme.

„Äh... Wir haben uns ein Zimmer genommen...", antwortete ich.

„Da fällt mir was ein! Gott, wieso bin ich nicht früher darauf gekommen?" Achim stand auf und verschwand für eine kurze Zeit ins Innere des Hauses, bevor er zurück an den Tisch kam und mir einen silbernen Schlüssel hinhielt. „Der gehört dir."

Ich schluckte und obwohl ich, oder zumindest ein Teil von mir die Antwort bereits kannte, fragte ich: „Was ist das?"

„Der Schlüssel zu deinem Haus."

Ich schloss kurz die Augen und spürte, wie sich der Druck von Robins Hand erhöhte. „Woher? Wieso?"

„Es ist eine ganze Weile verstrichen, bevor uns die Nachricht über den Unfall erreicht hatte. Wir hatten uns gewundert, dass deine Eltern sich nicht gemeldet haben, aber wir waren alle schon immer der Ansicht gewesen, dass es keine Pflicht sein sollte sich zu melden. Dass unsere Freundschaft das aushielt, wenn es gerade nicht passte. Wir hatten uns also gewundert, aber uns nicht weiter etwas dabei gedacht... Umso geschockter waren wir, als wir es am Ende doch erfuhren. Doch erst als wir zurück nach Hofond gezogen sind. Einige Monate nach dem schrecklichen Unfall...Wir haben dich gesucht. Wir wollten dich sehen, wir wollten für dich da sein. Wir wollten dir anbieten bei uns zu wohnen."

Was? Das wollten sie? Nein, unmöglich. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

„Doch niemand konnte uns sagen, wo du bist."

„Es gab nur eine Person, die es wusste. Ich habe es keinem anderen verraten...", murmelte ich.

„Ja, das haben wir auch bemerkt und diese eine Person, die es wusste, war an die anwaltliche Schweigepflicht gebunden..."

Ich nickte. Genau so war es gewesen.

„Als wir dann aber erfuhren, dass er euer Haus verkaufen sollten. Das Haus mit allem was drin war... Wir konnten das nicht zulassen. Es hat sich nicht richtig angefühlt. Deswegen haben wir es gekauft. Für dich."

„Wie für mich?"

„Für dich. Wir haben alles dagelassen. Das Haus steht leer und wartet auf deine Rückkehr. Es gehört dir und du solltest immer die Möglichkeit haben dorthin zurückzukehren."

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Nein, das ist doch der absolute Wahnsinn! Ihr könnt doch nicht einfach so ein Haus kaufen?! Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?! Ihr wusstet nicht mal, ob ihr mich jemals wieder seht und da kauft ihr einfach so mal ein Haus?! Das ist nichts, was man mal eben so kauft. Für den Fall der Fälle! Es ist ein verdammtes Haus!"

„Du bist es uns Wert gewesen."

„Das kann doch nicht euer Ernst sein. Ein Haus. Ihr habt einfach ein Haus gekauft."

„Nicht irgendein Haus. Dein Haus."

„Es ist nicht mein Haus."

„Doch ist es." Er hielt mir noch immer den Schlüssel hin, doch ich konnte ihn nicht nehmen.

„Ihr könnt doch nicht einfach so ein Haus kaufen!"

„Nicht einfach so.", korrigierte er. „Für deine Familie. Für dich."

Noch immer schüttelte ich den Kopf. Ich konnte die ganze Situation nicht begreifen. Das war zu viel. Viel zu viel. Ich stand auf und lief davon. Ich rannte quasi die Treppen hoch, die einen auf direkten Weg vom Garten zurück zur Straße brachte.

Robin kam nur wenige Sekunden nach mir an und schloss mich in seine Arme.

Wieder einmal hatte ich das Gefühl, dass er der einzige Grund war, dass ich aufrecht stehen konnte. Wie oft wäre ich in den letzten Tagen bereits zusammengebrochen, ohne ihn? Zehn Mal? 20? 30? 50? Noch viel mehr? Es war als wäre ich eigentlich nicht mehr in der Lage zu leben.

„Das war zu viel. Es war ein Fehler. Ich hätte nie hier her kommen sollen. Ich hätte nie nach Hofond zurückkehren sollen. Es war ein Fehler." Erst an meiner Stimme merkte ich, dass ich weinte.

„Es war kein Fehler. Das eben war ein Rückschlag, aber Rückschläge gehören dazu."

„Es gibt nur Rückschläge! Alles hier ist ein einziger großer Rückschlag! Ich bin kein Schritt weiter als zuvor!"

„Natürlich machst du Fortschritte. Angangs konntest du nicht mal die Stadt betreten, weißt du noch? Jetzt kannst du es. Du konntest keine vertrauten Orte besuchen. Jetzt kannst du es. Du konntest nicht die Straße betreten, in der du gewohnt hast. Jetzt kannst du es. Nicht vor dein Haus treten, jetzt kannst du das. Du konntest nicht mit Achim sprechen. Jetzt schon. Lisa nicht anschauen und jetzt schon. Du machst Fortschritte! Verdammt, du machst große Fortschritte!"

Ich antwortete nicht, aber wir wussten beide, dass er recht hatte. Wie oft würde ich ihnen zwingen mich genau davon zu überzeigen. Im Endeffekt war es dasselbe Gespräch, das wir gestern Nacht geführt hatten.

„Wollen wir zurück und uns verabschieden?"

„Ok."

Hand in Hand liefen wir zurück zu ihnen. Sie lächelten uns an, aber mir fiel es schwer sie anzusehen. „Wir wollten uns nur verabschieden. Danke für die Einladung."

„Ihr seid jederzeit herzlich willkommen."

Ich nickte.

Lisa stand auf. „Hier, meine Handynummer. Schreib mir doch mal." Sie reichte mir ein Papier auf welchem mit ihrer sauberen Schrift einige Ziffern standen.

Wieder nickte ich.

„Du willst nicht ins Haus, in Ordnung. Es ist deine Entscheidung, aber bitte nimm den Schlüssel. Du musst ja nicht hin, aber er gehört dir."

Ich war wie erstarrt. Ich konnte mich nicht bewegen und doch war ich dankbar, als Robin zu Achim trat und den Schlüssel ergriff. 

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now