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Wir standen eine ganze Weile da, ohne miteinander zu sprechen. Nur ab und zu entschuldigte sich Robin und lief davon, um sein Becher erneut aufzufüllen. Ich wusste nicht, wie viel er schon getrunken hatte, aber ganz sicher eine beachtliche Menge. Ich hingegen nippte nur gelegentlich an meinem Getränk. Es schmeckte überraschend gut. Maracujasaft schmeckte mir auch pur schon, aber diese dezente Kokosnote gab ihm noch ein gewissen extra. Ob es so schmeckte, wie Malibu, konnte ich allerdings nicht beurteilen.

In noch einem Punkt hatte Robin recht behalten. Ich wurde kein einziges Mal auf mein Getränk angesprochen, wenn irgendjemand sich zu uns gesellte. Hauptsächlich redeten sie ohnehin mir Robin, wobei das zugegebenermaßen wahrscheinlich daran lag, dass ich mich nicht bemühte ein Gespräch am Laufen zu halten, selbst wenn sie mich ansprachen.

Ich wollte nämlich wirklich nicht mit ihnen sprechen. Mit keinem. Ich wollte ja nicht einmal hier sein. Nicht auf einer idiotischen Party, wo alle sich betranken und vor allem nicht jetzt. Meine Gedanken lagen ganz woanders, aber dass das passieren würde, hatte ich schon im ersten Moment gewusst. Als das erste Mal das Datum für diese Party gefallen war.

Doch ich blieb, wenn auch nur, weil ich es Kim versprochen hatte. Nicht, dass sie es groß merken würde, wenn ich nicht hier wäre. Sie und Oli waren auch kurz zu uns zurückgekommen, aber es dauerte nicht lange, da lief das nächste besondere Lied zu dem Kim unbedingt tanzen wollte. Sie hatte mich mitnehmen wollen, aber ich hatte abgelehnt. Eigentlich hatte ich nichts gegens Tanzen. Im Gegenteil: ich hatte früher sehr gerne getanzt. Hatte einfach die Musik aufgedreht und war durch mein Zimmer gesprungen. Mit Freunden, mit Manu oder allein. Das war ganz egal. Es war nicht so gut gewesen, wie durch das Wasser zu gleiten, aber trotzdem sehr schön und vor allem hatte ich das immer gekonnt. Zum Schwimmen hatte ich erst Wasser auftreiben müssen.

Gerade war ein Mädchen bei uns, beziehungsweise bei Robin. Sie kam mir bekannt vor, aber ich war mir nicht sicher wo ich sie schon gesehen hatte. Allerdings war das nicht so ungewöhnlich. Die meisten an dieser Schule kannte ich vom Sehen und doch hatte ich das Gefühl, dass ich mit ihr einen bestimmten Moment assoziierte. Ich dachte darüber nach, während das Mädchen immer wieder kicherte und, wie zufällig, immer näher an Robin rückte und ihn berühre. Wenn man mich gefragt hätte, hätte ich gesagt, dass das nicht funktionieren würde, aber erstaunlicherweise schien Robin tatsächlich davon angesprochen zu werden, genau wie in den Filmen.

Gleich würde sie noch ihre Haare zurückwerfen, ihren Kopf zur Seite legen und so ihren Hals präsentieren. Wie auf Kommando tat sie genau das. Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen, aber das schien keiner zu hören. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, was Männer daran angeblich so toll fanden. Solche Artikel hatte ich schon früher immer nur gelesen, um mich über diese so genannten Tipps lustig zu machen, doch vielleicht hätte ich sie doch nicht ganz so abfällig betrachten sollen, denn sie schienen ja wirklich zu wirken. Dafür erinnerte ich mich mittlerweile daran, wer dieses Mädchen war. Ihren Namen kannte ich nicht, aber sie war eines der Mädchen gewesen, die an meinem ersten Tag im Speisesaal ihren Platz aufgebgeben hatte, damit sich Oli und Robin zu mir hatten setzen können, obwohl ich damals eben das gar nicht gewollt hatte. Doch wenn ich daran zurückdachte, war ich doch recht glücklich darüber. Auch wenn Robin und ich noch immer nicht so gut miteinander auskamen, war mir Oli sehr ans Herz gewachsen. Ich hätte ihn auch so kennengelernt, selbst wenn das Mädchen ihren Platz nicht freigegeben hätte, aber so war es eben schneller gegangen.

Statt ihnen weiter beim Flirten zuzusehen, ließ ich mein Blick wieder auf Oli und Kim gleiten, die auf der Tanzfläche mit den anderen tanzten und dabei lachten. Wann hatte ich selbst das letzte Mal so glücklich ausgesehen? Dieser Gedanke versetzte mir einen Stich ins Herz, als würde der Druck auf meiner Brust nicht schon ausreichen.

Es war nicht so als würde ich es Kim übelnehmen, mich auf die Party mitgeschleppt zu haben, um mich hier nicht weiter zu beachten, aber als sich dann auch Robin mit dem Mädchen zu den anderen Tanzenden gesellte, wobei sich das Mädchen eng an seinen Körper presste, spielte ich mit dem Gedanken dem Partygeschehen den Rücken zu kehren.

Das einzige, was mich daran hinderte, war mein schlechtes Gewissen Kim gegenüber, doch andererseits würde ihr mein Verschwinden wahrscheinlich gar nicht auffallen. Ein Blick auf die Uhr, überzeugte mich dann endgültig; es war kurz vor Mitternacht. Der nächste Tag hatte fast begonnen und somit war ihr Geburtstag auch quasi beendet.

Statt zurück auf mein Zimmer zu gehen, lief ich unauffällig ein Stück in den Wald hinein, bis ich einen umgefallenen Baumstamm fand, um mich dort draufzusetzen. Die Musik dröhnte bis hier hin, aber wesentlich leiser, aber insbesondere konnte ich von hier keinen der anderen mehr sehen, wodurch sie mich auch nicht mehr sehen könnten. Genauso wie ich es wollte.

Der Mond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche vor mir, doch ich wendete den Blick ab, um mein Handy aus meiner Tasche zu nehmen, während ich mit der linken Hand mit dem silbernen Ring an meiner Kette spielte, die ich seit Jahren immer trug. Langsam nahm ich die Hülle von meinem Handy ab. Das Foto lag falsch herum drin. Ich schloss die Augen, um mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Ich hatte Angst davor es rauszunehmen. Angst davor das Bild zu sehen und trotzdem trug ich es immer mit mir herum. Ich musste es. Ich brauchte die Gewissheit, dass das Foto bei mir war. Zu jeder Zeit. Trotzdem traute ich mich fast nie es herauszunehmen und es mir anzuschauen. Doch jetzt würde einer dieser Tage sein. Heute musste es sein, denn der neue Tag hatte begonnen.

Ich schluckte, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. Ohne Erfolg. Trotzdem öffnete ich die Augen und griff mit zitternden Fingern nach dem Foto. Statt es mir gleich anzusehen, zögerte ich den Augenblick heraus, indem ich das Foto im umgedrehten Zustand neben mich auf den Baumstamm legte und mein Handy wieder in die Hülle setzte. Dann tauschte ich den Platz der beiden Gegenstände. Ich hatte lange genug gewartet.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, drehte ich das Foto um. Mir stockte der Atem. Auch wenn ich genau gewusst hatte, was ich sehen würde, überraschte es mir, dass das Foto noch immer so viel in mir auslöste. Mein Herzschlag hatte sich beschleunigt, mein Atem ging unregelmäßig und eiskalte Schauer liefen mir über den Rücken. Noch dazu begannen meine Augen zu brennen.

Das Foto selbst hatte schon bessere Tage gesehen. Es hatte ein Eselsohr und auch die Farben waren ein wenig verblasst. Es sah allerdings so aus, als wären die Farben absichtlich so. Als hätte man einen Filter drübergelegt.

Manu sah echt toll darauf aus. Bei deinem Anblick seines Lachens, konnte ich das Geräusch förmlich hören. Der klare, tiefe Ton, den ich so sehr vermisste. Wir waren an dem Tag, an dem das Foto aufgenommen wurde, im Schwimmbad gewesen. Ich hatte für einen Wettkampf trainiert und er hatte meine Zeit gestoppt. Seine damalige Freundin, Lisa, hatte das Foto geschossen, gerade in dem Augenblick, als ich den Beckenrand erreicht und damit meinen persönlichen Rekord gebrochen hatte.

„Happy Birthday.", flüsterte ich, das Foto weiterhin in meiner Hand, und ein weiterer Stich fuhr in mein Herz. Heute war sein Geburtstag. Heute wäre er 21 Jahre alt geworden. Unglaublich.

„Da bist du ja, Elle!", lallte Robin und wankte auf mich zu. „Ich hab dich überall gesucht!" Er setzte sich neben mich auf den Baumstamm und legte seinen Arm auf meine Schultern.

So nah, wie er mir damit kam, roch ich den Alkohol in seinem Atem. Selbst, wenn ich nicht Zeuge gewesen wäre, dass er ziemlich viel getrunken hatte in den vergangenen Stunden, hätte ich spätestens jetzt gemerkt, dass er stockbesoffen war. 

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now