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Keine drei Stunden später saßen wir in seinem Auto und fuhren über die Autobahn. Musik spielte im Hintergrund und überbrückte das Schweigen zwischen uns. Es war nicht unbedingt unangenehm, aber trotzdem versuchte ich ein Thema zu finden über das ich mit ihm sprechen konnte. Mir wollte aber Partus nichts einfallen. In dieser Hinsicht war mein Kopf leer. Meine Gedanken kreisten um meine Familie, um den Unfall, um mein zuhause, um den Schmerz und um die Frage, was genau ich mir dabei erhoffte oder warum genau ich das tat.

Robin warf mir immer wieder Blicke zu, seine Stirn von Sorgenfalten durchzogen, doch er drängte mich nicht zum Sprechen.

„Kannst du die nächste Ausfahrt raus?", fragte ich als ich die Landstraße erkannte auf der wir gerade fuhren. „Bitte."

„Klar.", antwortete er und nahm die Ausfahrt, auch wenn das Navi sagte er solle auf der Straße bleiben.

„Danke."

„Kein Problem."

„Wenn möglich bitte wende.", sagte die Navi-Stimme, immer wieder, bis sie irgendwann einsah, dass er auf meine gelegentlichen Wegbeschreibungen hörte. „Die Route wird neu berechnet."

Die Ankunftszeit sprang eine halbe Stunde hoch, trotzdem beschwerte er sich nicht.

„Warum tust du das?", fragte ich nach einer Weile.

„Was tue ich?"

„Das alles." Ich machte eine ausladende Geste. „Du fährst mich einfach irgendwohin, ohne zu fragen. Dann sag ich dir du sollst einen Umweg fahren und du machst es einfach. Ohne Fragen. Ohne zu zögern. Warum?"

Er antwortete nicht sofort. Stattdessen seufzte er. „Weil du mir wichtig bist."

Ich schluckte den Klos in meinem Hals runter. „Aber- Ich verstehs nicht."

„Was verstehst du nicht?" Er zuckte mit den Schultern. „Es ist ganz einfach. Ich mag dich. Das habe ich schon von Anfang an. Ich weiß, ich war ein Arsch. Vielleicht bin ich das auch einfach, aber... Ich bereue es, wie ich mich anfangs dir gegenüber verhalten habe. Ich hätte schon viel früher akzeptieren sollen, dass du nicht darüber sprechen möchtest. Nicht erst, nachdem ich erfahren habe, was der Grund für dein Benehmen ist. Ich hätte akzeptieren müssen, dass es Sachen gibt, die du nicht tun möchtest und Sachen über die du nicht sprechen möchtest. Das habe ich aber nicht. Wenn du mich jetzt bittest einen anderen Weg zu fahren, dann werde ich das tun, weil es dafür bestimmt einen Grund gibt und wenn du den Grund mit mir teilen möchtest, dann höre ich dir sehr gerne zu, aber ich möchte, dass du es mir erzählst, weil du es mir erzählen möchtest und nicht, weil du das Gefühl hast mir das zu schulden. Denn du schuldest mir gar nichts. Wie du selbst gesagt hast. Du schuldest mir keine Erklärungen und du schuldest mir rein gar nichts, wegen dem hier."

Ohne dass ich es wollte, traten mir Tränen in die Augen. Ich wendete mein Gesicht von ihm ab und starrte raus durch das Fenster.

„Elle?"

„Es tut mir leid.", flüsterte ich.

„Dir muss nichts leidtun. Was tut dir leid?"

Was genau meinte ich? Dass er das alles für mich tat? Dass er Schuldgefühle hatte, wegen der Art, wie er sich anfangs mir gegenüber verhalten hatte? Dass ich weinte? Dass ich keine Antwort für ihn hatte? Dass ich ihn im Ungewissen ließ? All das stimmte, doch ich entschied mich für eine andere, ebenfalls ehrliche, Aussage: „Es tut mir leid, dass ich dich für einen Arsch gehalten habe."

Sein Lachen hallte laut und klar durch das Innere des Autos.

„Was ist?"

„Ich wiederhole noch einmal, nur damit es daran wirklich keinen Zweifel gibt: Es gibt absolut nichts, was dir leidtun müsste, aber von allen Sachen, von denen du hättest glauben können, dich für die entschuldigen zu müssen, entscheidest du dich für das? Von allen Sachen für die du dich nicht zu entschuldigen bräuchtest, ist es die, die am wenigsten Sinn ergibt. Schließlich hattest du recht. Ich hab mich wie ein Arsch verhalten."

„Aber so bist du nicht."

„Was hättest du denn denken sollen? Ich habe dir nichts anderes gezeigt." Er seufzte. „Ich weiß auch gar nicht, warum. Ich weiß nicht, warum ich mich dir gegenüber so daneben benommen habe... Kim hatte mal ein Gespräch mit mir gesucht, um zu fragen, was los sei. Sie meinte ich sei, als du ankamst, wieder in alte Muster verfallen... So wie kurz nach... Kurz nach Lycas Tod. Sie meinte ich hätte meine Mauer wieder hochgezogen. Die Barriere, die ich gebaut hatte, um meine Gefühle zu versperren..."

„Um dich zu schützen."

„Ja, mag sein, aber ich hatte es geschafft diese Mauer zu durchbrechen. Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr so ein Arsch gewesen. Ich hatte mich nicht mehr hinter dieser Mauer versteckt... und aus irgendeinem Grund habe ich sie wieder aufgebaut als du kamst..."

„Ich finde das logisch."

„Ach ja?"

„Diese Mauer... Das ist ein Verteidigungsmechanismus. Man will sich selbst damit schützen. Sich vor seinen eigenen Gefühlen schützen. Vor dem Schmerz, den die Welt für einen bereithält. Wenn man nichts und niemanden an sich ran kommen lässt, können sie einen auch nicht verletzen. Zusätzlich zu dem Einsperren der eigenen Gefühle, blockt man jeden anderen ab. Ganz in dem Sinne: Angriff ist die beste Verteidigung." Ich rieb mir über die Stirn. „Indem du dich mir gegenüber scheiße verhalten hast, hast du dich selbst beschützt. Du hast dafür gesorgt, dass ich dich nicht verletzen kann."

Er runzelte die Stirn und schien über meine Worte nachzudenken.

„Abgesehen davon: Es dauert lange eine Mauer wie diese einzureisen, aber sie ist sehr schnell aufgebaut. Deine war unten, meine war oben. Damit warst du verwundbar. Du botest mir eine Angriffsfläche, warst schutzlos. Also hast du die Mauer wieder hochgezogen, damit wir uns emotional auf Augenhöhe standen."

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now