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Nach einer Weile lichtete sich der Wald etwas, bis wir ihn ganz hinter uns ließen und an einer Felswand entlang liefen. Als wir an einer größeren, ebenen Fläche ankamen, hielten wir an und setzten uns.

Von hier aus konnte man die ganze Stadt aussehen.

„Kann man dein Haus sehen?", fragte Robin.

Ich nickte und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. „Siehst du den Park da vorne?"

Er schaute in die Richtung, die ich ihm mit dem Finger wies und nickte.

„Und da hinten rechts ist diese große Industrie."

„Ja."

„Wenn du die beiden Orte mit einer Linie verbindest und da etwa in der Mitte, vielleicht etwas näher am Park, ist diese kleine Grünfläche." Ich schaute ihn an, um zu überprüfen, dass er mir folgen konnte. „Das ist der Spielplatz."

„Wirklich?" Robin streckte nun selbst sein Finger aus. „Das heißt, dass da müsste dein Haus sein, oder?"

„Äh, ja denk schon. Also keine Ahnung, ob du jetzt wirklich das richtige geteigt hast, aber grundsätzlich zeigst du in die richtige Richtung."

„Und die Hütte? Also da wo die Party war?"

Ich ließ mein Blick über die Stadt gleiten, um mich etwas zu orientieren, dann zuckte ich mit den Schultern. „Das müsste da rechts unten sein, aber das kann man von hier aus nicht sehen. Die Hütte ist gar nicht so weit von dem Weg entfernt, wo wir angefangen haben."

„Ach echt? Ich dachte das wäre wo ganz anders gewesen."

„Ne, wir haben nur einen anderen Weg genommen.", erklärte ich. „Hofond ist schon schön."

„Wieso klingst du so überrascht?", fragte er schmunzelnd.

Ich zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich, weil ich Hofond in den letzten Jahren mit so viel Schmerz assoziiert habe, dass ich vergessen habe, wie sehr ich es hier mochte."

Er legte seinen Arm um mich. „Aber sieh nur, wie weit du gekommen bist, wenn du das wieder sehen kannst."

„Wer hätte das gedacht?"

„Ich wusste, dass du es schaffst. Du kannst alles schaffen, was du möchtest."

Ich verdrehte die Augen, musste aber trotzdem lächeln.

„Was denkst du, vielleicht sollten wir ein Foto machen als Erinnerung?"

„Das ist eine gute Idee." Ich richtete mich auf. „Wenn auch schon allein, weil Kimmi uns umbringen wird, wenn wir nichts vorzuweisen haben."

„Stimmt, daran hab ich noch gar nicht gedacht, aber du hast auf jeden Fall recht!" Er sprang auf und holte sein Handy aus dem Rucksack, der einige Meter hinter uns auf dem Boden lag. „Ich hab auch auf der Party ein paar Fotos gemacht..."

„Oh... Echt? Das... Das habe ich gar nicht bemerkt."

„Ja, aber keine Sorge. Wenn du sie nicht haben willst, dann lösche ich sie wieder und ganz sicher werde ich sie niemanden zeigen, wenn du nicht willst. Ich dachte nur, dass das vielleicht eine schöne Erinnerung ist."

Vermutlich hatte er sogar recht damit. Es war schön gewesen. Wenn auch der Anfang nur unangenehm gewesen war, hatte ich gegen Ende wirklich Spaß gehabt. Ich hatte feststellen müssen, dass ich meine alten Freunde wirklich vermisst hatte, auch wenn es im Vergleich wie sehr ich meine Eltern und Manu vermisst hatte, untergegangen war. Doch auch wenn ich meine Familie mehr vermisste, war es doch dumm, wenn ich zusätzlich auch noch die anderen vermisste, wenn sie doch noch da waren.

Sie lebten noch. Ich konnte mit ihnen im Kontakt bleiben. Es gab keinen Grund, dass ich sie aus meinem Leben verbannte.

Ich würde wohl die gleiche Entscheidung treffen wie damals. Ich würde wohl wieder abhauen, ohne ihnen ein Wort zu sagen. Ich konnte nicht anders. Ich wusste, rational betrachtet, dass das wohl ziemlich dumm von mir war, aber ich war einfach nicht in der Lage gewesen und da mir das so sehr bewusst war, wusste ich, dass ich es heute genauso machen würde, wie damals.

Doch auch, wenn ich es damals genauso gemacht hätte, hieß das ja nicht, dass ich die Funkstille weiterlaufen musste. Ich hatte von allen die Nummern bekommen und auch wenn ich kurz gezögert hatte, aus Angst, dass ich es mir anders überlegen würde, hatte ich auch ihnen meine neue Nummer gegeben. Wir lebten zwar nicht mehr in derselben Stadt, aber wir konnten trotzdem im Kontakt bleiben. Mit Adrian hatte ich auch Kontakt, obwohl wir nicht am selben Ort lebten. Vielleicht war er kein guter Vergleich, weil wir uns noch nicht sonderlich lange kannten, aber machte es das nicht vielleicht noch schwerer? Mit den Menschen hier hatte ich eine Menge Erinnerungen, die uns verbanden. Mit Adrian hatte ich knapp zwei Wochen verbracht, in denen ich hauptsächlich körperlich anwesend gewesen war, während mein Geist in der Vergangenheit umherirrte.

Auf jedem Fall hinderte mich nichts daran, es zu versuchen. Wenn es nicht klappte, dann klappte es eben nicht und wenn doch, dann war das toll.

„Bereit?"

„Sorry, ja." Ich drehte mich um und schaute in die Kamera, als Robin auf den Auslöser drückte.

„Noch eins?"

„Jap."

Robin drückte auf den Auslöser und wir beiden fielen in Gelächter aus. Als hätten wir es abgesprochen, hatten wir beide im letzten Augenblick die Zunge rausgestreckt. 

Greatest Love but Greatest FearМесто, где живут истории. Откройте их для себя