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Zu meiner Überraschung und ebenfalls zu meinem Entsetzen, schliefen meine Freunde nicht, als ich in das Zimmer geschlichen war. Kim, Robin und Oli saßen da und schienen auf mich zu warten.

Ich war am Türrahmen stehen geblieben, unschlüssig ob ich rein sollte oder auf der Stelle umkehren.

Stattdessen standen Robin und Oli auf, warfen mir ein Lächeln zu und gingen, ohne ein Wort zu sagen, zur Tür. Wie automatisiert machte ich ihnen den Weg frei, blieb dann aber trotzdem neben dem Türrahmen stehen.

Dann sah ich zu, wie Kim mir ebenfalls ein kurzes Lächeln zuwarf, auch wenn ich mir einbildete, dass es etwas gekünstelt wirkte, und kuschelte sich in ihre Decke ein. „Mach dann einfach das Licht aus, okay?"

„Äh... Okay..."

„Gute Nacht.", wünschte sie und drehte sich zur Wand hin.

Ich blieb noch einige Atemzüge regungslos stehen. Was war passiert? Hatte ich mir das alles etwa nur eingebildet? Nein, hatte ich natürlich nicht, aber wie ließen sich die vergangenen Minuten sonst erklären?

Als ich mich erholt hatte, schloss ich leise die Tür und ging ins Bad, um mir die Zähne zu putzen.

Meine Finger zitterten, wieder einmal, als ich den Wasserhahn aufdrehte, um die Zahnbürste zu säubern. Ich war kleinlich darauf bedacht nicht mit dem Wasser in Kontakt zu kommen. Eigentlich hatte ich heute Abend duschen wollen, aber abgesehen davon, dass es viel zu spät war, traute ich mir noch nicht zu mich von Wasser begießen zu lassen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich wieder schlecht geschlafen, doch dieses mal nicht, weil ich Alpträume vom Unfall gehabt hatte, sondern weil ich die halbe Nacht darüber gegrübelt hatte, was geschehen war. Ich hatte erwartet, dass sie mich mit Fragen bombardieren würden, sobald sie mich sahen. Hatte gedacht, dass sie Antworten verlangen würde. Eine Erklärung. Ich hatte sogar gedacht, dass ich gestern das Fass zum Überlaufen gebracht hatte und sie jetzt alles wissen wollen würden.

Warum ich mich so komisch benahm, warum ich mit dem Schwimmen aufgehört hatte, warum ich austickte, wenn ich nass wurde, warum ich mich weigerte mit Kim zu trainieren, warum ich so oft Zeit allein brauchte und eben, warum ich gestern zusammengebrochen war.

Vielleicht ahnten sie aber auch, dass alles auf dasselbe zurückzuführen war. Vielleicht war es ihnen ganz klar, dass es eine Sache gab über die ich nicht reden wolle und die alles erklären würde.

Alles erklären würde, was bei mir nicht stimmte oder komisch war. Eine Sache, die jede Frage, die sie in Bezug auf mich hatten, beantworten würden.

Vielleicht wussten sie das. Vielleicht war ihnen das aber auch nicht bewusst.

Es könnte auch sein, dass sie dachten, dass es ganz viele verschiedene Gründe hatte oder dass ich einfach verrückt sei.

Ich wusste nicht, was sie dachten, aber egal was, ich war davon überzeugt gewesen, dass sie nach gestern Antworten verlangen würden. Mindestens für das, was gestern vorgefallen war.

Doch genauso wie gestern Nacht, verloren sie am Morgen wieder kein Wort darüber. Nicht während des Unterrichts, nicht während der Pausen. Auch nicht während des Mittagessens und nicht während wir den Nachmittag zusammen in unserem Zimmer verbrachten. Die Stunden verstrichen und nichts geschah. Sie sprachen es nicht an. Überhaupt schienen sie es zu vermeiden mir Fragen zu stellen.

Sie schlossen mich absolut nicht aus, sie unterhielten sich mit mir, aber sie fragten mich nichts. Nicht nur zu dem Vorfall des vergangenen Tages nicht, sondern gar nicht. Ganz so als würde sie um jeden Preis vermeiden wollen mich etwas zu fragen, was ich nicht beantworten wollte.

Trotzdem war ich die ganze Zeit über angespannt. Ich wartete darauf, dass jemand die Bombe platzen ließ. Dass ihre Geduld endete.

Vielleicht warteten sie darauf, dass ich das Gespräch selbst begann. Es könnte doch sein, dass sie wollten, dass ich mich von mir aus erklärte und wenn ich es nicht tat, sie mich doch noch ausfragen würden.

Doch das geschah nicht. Weder an dem Tag noch am nächsten und auch nicht am übernächsten.

Sie sprachen es nicht an und nach dem ersten Tag begannen sie auch wieder sich ganz normal mit mir zu unterhalten, mir Fragen zu stellen, aber nur Fragen, die nicht den kleinsten Bezug zu meinem Zusammenbruch hatten.

Man konnte nur daran merken, dass etwas komisch war, wenn man auf die Blicke achtete. Immer wieder schauten sie mich verstohlen an, wenn sie dachten, ich würde es nicht merken oder sie tauschten untereinander vielsagende Blicke aus, die ich nicht verstand.

Kim schien sich sogar zurückzuhalten über die EOCYSC zu sprechen. Ab und zu tat sie es, aber eigentlich hörte ich sie nur darüber sprechen, wenn sie dachte, dass ich nicht da sei. Sobald ich mich zu ihnen gesellte, änderte sie recht schnell das Gesprächsthema.

Ich war mir nicht sicher, ob ich ihnen dankbar sein sollte oder ob es mir Angst machen sollte. Mich ließ der Gedanke nicht los, dass das alles nur die Ruhe vor dem Sturm war.

Doch an der Situation veränderte sich nichts und jetzt hatten wir alle unsere Koffer gepackt und unser Weg nachhause angetreten, um dort die Weihnachtsferien zu verbringen. 

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now