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Robin machte keine Anzeichen nach einem eigenen Buch zu suchen, sondern folgte mir auf Schritt und Tritt. Zumindest hatte er bisher geschwiegen, aber das änderte sich als ich durch den vierten Gang lief. „Was ist dein Lieblingsbuch?"

Seufzend verdrehte ich die Augen. „So etwas habe ich nicht."

„Weil es nicht um das Buch an sich geht, sondern um den Moment in dem man darin versinkt?"

Abrupt blieb ich stehen und schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. Er hatte recht. Genau das wäre meine Antwort gewesen, wenn er mich gefragt hätte, warum ich kein Lieblingsbuch habe, obwohl ich so gerne las, aber wie konnte er das wissen?

Als hätte er meine Gedanken gehört, antwortete er mit einem schiefen Grinsen auf die Frage, die meine Lippen nie verlassen hatte: „Das ist bei mir auch so. Es ist ziemlich oberflächlich, wenn man ein klares Lieblingsbuch hat. Man verliebt sich nicht in ein Buch, auch nicht in eine Geschichte. Man verliebt sich in eine Welt oder in einen Charakter... Naja, wobei... Eigentlich verliebt man sich auch nicht unbedingt darin. Die Wahrheit ist, dass man sich in den Moment verliebt, in dem man die Geschichte liest. Man könnte das beste Buch im ganzen Universum lesen, aber in der falschen Stimmung und man würde das Buch furchtbar finden. Klar kann man sagen, dass man ein Lieblingsbuch hat, wenn man es immer wieder gerne liest, aber einem sollte immer bewusst sein, dass es gut möglich ist, dass man dieses Buch nie ein zweites Mal gelesen hätte, wenn man beim ersten Mal in der falschen Stimmung gewesen wäre. Wenn man ein Buch beim ersten Mal in der richtigen Stimmung liest, dann verbindet man schon viel Gutes damit, was sich bei jedem weiteren Mal verstärken kann."

Ich hatte mich nicht bewegt, seitdem er angefangen hatte zu sprechen. Er hatte recht. Es war als hätte er meine Gedanken dazu abgelesen. Als hätte er gehört gehabt, wie ich versuchte genau das anderen Menschen zu erklären.

Aber da das unmöglich war, musste das heißen, dass wir tatsächlich mehr gemeinsam hatten, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Das war etwas anderes als die Tatsache, dass wir beide gerne lasen. Das hier war wirklich eine Gemeinsamkeit und noch dazu eine persönliche. Ich hatte noch nie jemanden kennengelernt, der das genauso sah wie ich. Manche konnten zwar erahnen, was ich meinte, nachdem ich es ihnen erklärte, aber wirklich nachvollziehen konnten sie es nie. Doch Robin schon. Mehr noch, es war von ihm ausgekommen.

„Aber man kann sehr wohl Hass empfinden."

„Du willst wissen, was mein Hassbuch ist.", begriff ich.

Er nickte. „Ganz genau. Welches Buch hast du gehasst?"

Der Grund, weshalb ich mit meiner Antwort zögerte, war keinesfalls der, dass ich überlegen musste, sondern etwas viel dümmeres. Ich hatte Angst davor es ihm zu verraten. Es war idiotisch, aber seit dem Unfall fand ich es sehr schwer mich anderen Leuten gegenüber zu öffnen. Das hatte ich durch Kim und Oli ein wenig verbessert, aber als einen offenen Menschen würde ich mich ganz sicher immer noch nicht beschreiben.

Erst recht nicht wollte ich, dass ausgerechnet Robin mehr über mich erfuhr. Auch wenn es etwas so lächerlich war, wie das Buch, was ich am allermeisten gehasst habe. Eigentlich war es nicht unbedingt etwas banales. Ich war der Meinung, dass es viel über einen Menschen aussagen konnte, welche Bücher er hasste. Sogar mehr als Bücher, die man mochte.

Ich zum Beispiel hatte ein Buch gelesen und von der ersten Seite an nur gehofft, dass es ein Ende nehmen würde. Ich ertrug den Protagonisten nicht. Hasste das Buch vom ersten bis zum letzten Satz.

Ich gehörte schon immer zu den Menschen, die ein Buch, einmal angefangen, bis zum Ende lassen. Sogar zu denen, die auch die Fortsetzungen las, auch wenn sie das erste Buch furchtbar fanden. Das gleiche galt bei Filmen oder Serien. Die meisten konnten das nicht verstehen, aber ich hasste es, eine Geschichte abzubrechen. Deshalb fand ich es auch so schade, dass Serien mittlerweile immer darauf ausgelegt wurden, so viele Staffeln wie möglich zu machen, bis sie abgesetzt wurde, ohne die Geschichte zu Ende erzählt zu haben. Ich wollte lieber nur eine Staffel, egal wie gut die Serie war, wenn sie dafür einen Abschluss hatte.

Greatest Love but Greatest FearOù les histoires vivent. Découvrez maintenant