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„Er verkaufte das Haus, ohne dass ich es noch einmal betrat.", fuhr ich die Erzählung fort. „Ich weiß nicht mehr, wie ich ihn dazu gebracht habe... ist aber auch egal. Es ist geschehen. Ja und dann kam Julia, also die Verwandte, sie und ihr Mann, Christoph, wollten mich aufnehmen. Naja, eigentlich wollte sie das. Er akzeptierte das nur ihr zuliebe. Sie wollte immer eine Familie haben, aber sie konnte keine Kinder kriegen und auch sonst gab es niemanden... Christoph hatte eigentlich keine Kinder haben wollen, aber für Julia war er bereit, mich zu adoptieren. Aber da ich wohl den Tod anzog, geschah das nächste Unglück. Julia sie... es ist so dumm... Sie ist kurz bevor sie mich abholen wollten, gestorben."

„Was?"

„An einem Kuchen." Ich schüttelte den Kopf. „Ihr Kollege hatte den mitgebracht und wie sich herausstellte, waren dort Nüsse drin und Julia war schwer allergisch. Sie starb. An dem Abend kam sie daher natürlich nicht, um mich abzuholen. Christoph auch nicht. Ich wusste nicht, was passiert war. Ich dachte einfach, dass sie es sich anders überlegt hatten. Was ich ihnen nicht übel genommen hätte. Wer will schon einen Teenager aufnehmen, den sie nicht kennen und der jetzt auch noch Probleme hat? Aber damals war mir das sowieso gleichgültig. Es war nicht so als hätte ich mich schlecht gefühlt als sie nicht kamen. Also nicht schlechter als ohnehin schon... Irgendwann erfuhr ich, dass Julia tot war. Ein oder zwei Tage später... Da wurde das für mich nur bestätigt. Christoph hatte es zwar nicht deutlich gesagt, aber ich wusste, dass Julia die treibende Kraft dahinter gewesen war. Er verspürte keinen Wunsch mich aufzunehmen. Warum sollte er es jetzt noch tun? Dennoch stand er eines Abends im Heim, um mich abzuholen. Seitdem lebe ich bei ihm... Ist aber nicht so als hätten wir... also es wurde besser... Seit den Weihnachtsferien... Er ist ein guter Mensch, aber kein Ersatz für meine Familie. Das kann keiner sein."

„Es tut mir so leid..."

„Ihr habt mich verändert."

„Wir?"

„Ihr. Ja. Ihr habt mich sogar sehr verändert.", bestätigte ich. „Nachdem ich meine Familie verloren habe, habe ich den Kontakt zu allen abgebrochen. Ich wollte niemanden sehen. Ich habe nie wieder mit jemanden aus meinem alten Leben gesprochen, bis auf den Anwalt, aber seitdem alles mit ihm geklärt war, hatte sich das auch erledigt. Ich traute mich nicht. Ich war nicht bereit jemanden zu sehen. Mit jemanden zu sprechen und als ich es doch irgendwann war, erschien es mir zu spät." Robin strich weiterhin über meinen Arm. „In meiner Zeit bei Christoph hatte ich mich in mich selbst eingeschlossen. Ich hatte keine Freunde, aber ich wollte sie auch nicht. Ich versank in meiner Trauer. Ich will das gar nicht weiter ausführen... Auf jeden Fall kam ich dann hierher und ihr... Ihr seid meine Freunde geworden. Ich wollte im Internat einen Neuanfang. Ich habe, nachdem ich Kim kennengelernt habe, meiner Familie ein Versprechen gegeben. Ich sollte Leben. Nicht überleben, sondern Leben. Sie hätten es so gewollt..."

„Ganz bestimmt."

„Ich war so geschockt gewesen als Kim... Als sie mich erkannt hat... Ich hab es noch nie jemanden erzählt..."

„Ich werde es für mich behalten, wenn du das willst. Versprochen."

Ich nickte. „Wasser. Ich ertrag es nicht. Ich... Meine Haut verbrennt, ich bekomme keine Luft, ich... Ich bin nie wieder schwimmen gewesen... Bis heute."

„Du hast das für Kim getan?"

„Ich hatte auch nie wieder ein Schwimmbad betreten... Ich konnte es gar nicht. Ich wurde dorthin zurück gebracht. Ich erlebte den Unfall immer wieder aufs Neue... Adrian-"

Robin hielt kurz in seiner Bewegung inne, bevor er weiter über meinen Arm strich.

„er hat mir geholfen in den Ferien. Wir haben uns dort vor dem Schwimmbad getroffen und zufälligerweise gehörte das Schwimmbad seinem Vater... Er ist jeden Tag mit mir hingegangen und hat mir geholfen, während ich damit kämpfte es zu ertragen, damit ich mit Kim trainieren konnte..."

„Und ich Arsch hab dir Vorwürfe gemacht. Es tut mir so leid."

„Du wusstest es nicht. Wie auch."

„Trotzdem. Ich hätte mich nicht so benehmen dürfen. Es tut mir Leid, Elle. Es tut mir schrecklich leid, Elle."

„Es ist meine Schuld. Ja, ich hab dich anfangs dafür gehasst, dass du mich unbedingt ins Wasser bringen wolltest, aber ich hätte ja auch mal was erklären können."

„Das hättest du nicht. Du hattest recht: du schuldest uns keine Erklärung."

Ich zuckte mit den Schultern. „Kann sein oder ja, ich schulde euch keine Erklärung, aber wenn ich euch keine gebe, kann ich auch nicht von euch verlangen, dass ihr es versteht und nicht versucht es herauszufinden. Ich kann nicht von euch verlangen, dass ihr all meine Macken berücksichtigt, wenn ihr nicht einmal wisst, wo das Problem liegt..."

„Aber-"

„Ich bin müde.", unterbrach ich ihn. Ich hatte keine Energie mehr, um diese Diskussion fortzusetzen. Vor allem, weil ich gegen das ankämpfte, was ich die letzten Monate immer gewollt hatte. Das, was ich mir gewünscht hatte...

„In Ordnung." Er drückte meine Hand etwas fester. „Soll ich dich in dein Zimmer bringen oder bleibst du hier?"

Mir war bisher nicht einmal aufgefallen, dass wir in seinem Zimmer waren. Dass es sein Bett war und nicht meins. „Darf ich... hier bleiben?"

„Selbstverständlich!", rief er schnell. „Willst du, dass ich bleibe? Ich kann auch gehen, wenn dir das lieber ist."

Ich schüttelte den Kopf und griff mit der Hand, die bisher meine Kette gehalten hatte, auf seine Hand, die mit meiner anderen umschlungen war. „Kannst du bleiben? Bitte?"

„Natürlich. Ich bleibe solange hier bist du mich wegschickst. Ich lass dich nicht allein, wenn du das nicht willst."

„Danke.", flüsterte ich und zog ihn mit mir zur Seite, sodass wir wieder in seinem Bett lagen.

Er zog die Decke zurecht und nahm mich fest in den Arm. Robin küsste sanft meinen Haaransatz. „Schlaf gut, Elle."

„Schlaf gut, Robin."

„Ich bin bei dir."

Das war er. Er gab mit den Halt, den ich brauchte. Ohne seine Unterstützung hätte ich das nicht überstanden.

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now