058

120 17 20
                                    

„Verdammter Mist!", stieß Oli hervor, als Dominik ins Becken sprang.

Robin und mein Kopf schnellten zu ihm.

„Fünf. Es sind nur fünf."

„Was?"

„Es sind nur fünf!", wiederholte er, nachdem er an den Fingern abgezählt hatte, blankes Entsetzen im Gesicht. „Wo zum Teufel ist Eva?"

Mein Blick richtete sich wieder nach vorne. Da stand Kim, ihr Handtuch über ihren Schultern und gestikulierte wild beim Sprechen. Amelie stand neben ihr und telefonierte.

Dominik im Wasser.

Nils und Dennis oder Daniel, wie auch immer er nun hieß, standen bei der Trainerin. Sie alle schauten sich suchend um und trugen schiere Verzweiflung in den Gesichtern.

Das waren alle. Sie waren zu fünft. Fünf Schüler und die Trainerin. Alle anderen da unten gehörten nicht zum Internat.

Sie würden verlieren. Sie würden disqualifiziert werden. Wenn Eva nicht sofort auftauchte, dann war es vorbei. Ihnen fehlte eine Schwimmerin. Keiner durfte doppelt schwimmen. Das war gegen die Regeln.

Mein Kopf fühlte sich leer an und Robins Stimme drang nur gedämpft, wie durch Watte, zu mir durch: „Sie verlieren."

Olis Stimme schien noch weiter entfernt zu sein: „Wenn Eva nicht sofort kommt ist es vorbei."

Ich konnte meinen Körper nicht mehr spüren. Ich fühlte nichts. Es war vielmehr so als würde ich von oben auf meinen Körper hinabschauen.

Da war ich, stand auf und sprang die Treppen hinab, während ich ungeschickt meine Schuhe wegkickte.

Dominik schlug gegen den Beckenrand und jetzt fiel auch dem restlichen Publikum auf, dass keiner ins Wasser sprang. Ein Raunen ging durch die Menge, aber es schien von ganz weit entfernt zu kommen.

Mit einem großen Satz sprang ich auf den Startblock. Unterdessen zog ich mir das weite T-Shirt über den Kopf und schon sprang ich hinein.

In der Sekunde, in der ich das Wasser berührte, kehrte ich mit einem Schlag in meinen Körper zurück.

Es brannte. Alles brannte. Jeder Punkt auf meinem Körper schien in Flammen zu stehen. In unfassbar heißen Flammen. Keine gelben, sondern blauen Flammen.

Das gleiche galt auch für das Innere meines Körpers.

Mir war kotzübel. Meine Kehle war so trocken und eng, dass ich, selbst als ich meinen Kopf aus dem Wasser hob, nicht atmen konnte.

Auto. Leichen. Blaulicht. Manu. Wasser. Reifenspuren. Mama. Straße. Wasser. Krankenhaus. Papa. Blut.

Die Bilder prasselten immer schneller auf mich ein.

Doch egal, wie sehr es schmerzte, es hinderte mich nicht daran zu schwimmen.

Das einzige Geräusch, das ich hörte, war das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren.

Das Einzige was ich fühlte, war das Feuer, dass mich versengte.

Ich konnte unmöglich sagen, ob ich schnell schwamm oder nicht. Ich hatte seit über drei Jahren nicht trainiert, außerdem bremste mich die nasse Jeans, die ich trug. Ob die anderen vor oder nach mir schwammen, konnte ich auch nicht sehen, denn auch meine Augen brannten. Vielleicht wegen des Chlors, vielleicht waren es auch die Tränen oder aber sie brannten ganz einfach, wie mein restlicher Körper.

Im Endeffekt war es auch egal. Ich hoffte sie schafften es in die nächste Runde zu kommen. Es wäre furchtbar, wenn sie es nur deshalb nicht schafften, weil die eine nicht aufgetaucht war. Dafür hatten sie zu viel gearbeitet.

Es wäre eine Sache, wenn sie rausfliegen würden, weil die anderen besser waren. Das Team wäre immer noch enttäuscht, ganz klar, aber ich war mir sicher, dass sie damit umgehen könnten. Doch zu verlieren, weil jemand gefehlt hat? Nein. Darüber würden sie nicht so schnell hinwegkommen.

Auto. Leichen. Blaulicht. Manu. Wasser. Reifenspuren. Mama. Straße. Wasser. Krankenhaus. Papa. Blut.

In der Hoffnung mich auf andere Gedanken zu bringen und die schrecklichen Bilder zu vertreiben, rief ich mir ins Gedächtnis, dass ich das Richtige tat. Ich hatte das tun müssen. Kim und ihr Team hatten so hart gearbeitet. Sie hatten täglichen trainiert. Ich hatte nicht zulassen können, dass ihre Chance zunichte gemacht wurde, weil Eva einfach nicht aufgetaucht war. Und wenn wir schon dabei waren: warum zum Teufel war sie nicht hier? Wie konnte sie ihr Team so im Stich lassen? Ich hoffte sie hatte eine wirklich gute Ausrede. Auch um ihrer Selbst willen. Das Team würde sauer sein. Richtig sauer. Fuchsteufelswild. Verständlicherweise.

Zum Glück hatte ich die Regeln doch noch gelesen. Eine schwammige Formulierung war die Antwort auf dieses Problem gewesen.

Da es sich um ein Schulteam handelt war jeder Schüler des Internats, laut ihrer Regeln, Teil des Teams und man musste die Namen nicht vor dem Turnier, sondern erst hinterher eintragen, da man bei den Einzelschwimmen im Vorfeld noch nicht wusste, wer schwimmen würde. Sie hatten deshalb beschlossen, dass sie die Namen erst am Ende aufnahmen.

Anderenfalls wäre das hier nicht möglich. Dann hätte mein Sprung ins Wasser für sie auch eine Disqualifikation herbeigeführt, doch in diesem Fall war das in Ordnung.

Zumindest für das Turnier.

Für mich war es nicht in Ordnung. Ich musste hier raus. So schnell wie möglich musste ich aus dem Wasser. 

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now