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Robin und ich verließen die Party früher als die anderen. Weder er noch ich hatten etwas getrunken, auch wenn ich ihm gesagt hatte, dass er nicht meinetwegen darauf verzichten müsse. Meine alten Freunde hatten versucht mich zu überreden, aber Klara stoppte sie. Mir war nicht klar, ob sie es tat, weil es das richtige war und man niemanden zwingen sollte Alkohol zu trinken, wenn er oder sie das nicht wollte. Es war schließlich die eigene Entscheidung, die keinem sonst etwas anging. Oder ob sie vermutete, dass mein Hass auf Alkohol etwas mit dem Unfall zu tun hatte. Ich hatte gesehen, was Alkohol anrichten konnte. Alkohol mochte legal sein, aber es war verdammt gefährlich. Es konnte Leute umbringen. Klar, es war nur mäßig hilfreich, wenn ich nüchtern blieb und alle anderen betrunken waren. Mein Vater war an dem Tag auch nüchtern gewesen. Trotzdem hatte der andere Fahrer uns von der Brücke gerammt. Aber solange ich nüchtern war, würde ich immerhin einen kühlen Kopf bewahren und könnte jeden aufhalten in ein Auto zu seigen. Lieber würde ich fahren, auch wenn ich noch nicht volljährig war, als dass sich jemand betrunkenes hinters Steuer setzte.

Die Party war aber auch ohne Alkohol schön gewesen. Nach meiner Entschuldigung hatten sie sich mit den Fragen zurückgehalten. Hin und wieder kam zwar eine, genauso wie einige Beleidsbekundigungen, auch von Menschen, die ich kaum kannte, aber es wurde immer weniger, je länger wir blieben.

Trotzdem war ich froh, als ich endlich in Robins Armen im Bett lag. Sogar die Tatsache, dass wir wieder in meinem alten Kinderzimmer schliefen, machte dem kein Abbruch.

Es war ein schöner Abend gewesen, denn auch wenn es mir gar nicht so bewusst gewesen war, hatte ich meine alten Freunde vermisst. Es war die Wahrheit gewesen, dass ich keinen anderen Weg gesehen hatte und vermutlich würde ich genauso wieder machen, aber es hatte sich toll angefühlt bei ihnen zu sein, mit ihnen zu reden, zu lachen und über die neusten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt zu werden.

Paul und Marie waren mittlerweile ein Paar. Ich erinnerte mich daran, dass Marie Ewigkeiten eine Schwärmerei für ihn gehabt hatte, doch kurz bevor ich gegangen war, war sie darüber hinweg gekommen. Genau das war die Zeit als Paul merkte, dass er auch Gefühle für sie hatte. Laut meiner Freunde ging es die nächsten Jahre immer wieder hin und her. Er stand auf sie, aber sie nicht auf ihn. Dann stand sie auf ihn, aber er nicht auf sie. Das Trauerspiel wiederholte sich immer wieder, doch jetzt endlich hatten sie es doch noch geschafft. Wobei ich mich fragte, ob die Tatsache, dass es immer wieder Phasen gab in denen sie auf die andere Person standen und das Interesse dann doch wieder verloren, ein Zeichen dafür war, dass es funktionieren konnte, weil sie doch immer wieder zu der anderen Person hingezogen fühlten und sich zwischendurch nur einredeten, dass sie nichts von der anderen Person wollten oder ob das ständige auf und ab eher bedeutete, dass die Gefühle nicht stark genug waren und sie in ein paar Wochen feststellten, dass einer von beiden die Gefühle bereits wieder verloren hatte...

„Bist du wach?", fragte ich leise, als ich am Morgen als ich spürte, wie Robin sich bewegte.

„Ja."

„Lass uns heute etwas unternehmen."

„Was schwebt dir denn vor?"

„Wir könnten zum Beispiel wandern gehen.", schlug ich vor. „Dann wäre das immerhin nicht ganz gelogen damals."

„Bin dabei." Er richtete sich auf und schaltete die Nachttischlampe an. „Hast du einen bestimmten Weg im Sinn?"

„Nicht wirklich, aber uns wurde doch am ersten Tag versichert, dass sie im Hostel einen Haufen an Empfehlungen haben. Wir können und doch einfach mal mit ihr unterhalten."

„Klingt nach einem guten Plan."

Genau das taten wir dann auch. Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zurück ins Hostel, wo noch immer die meisten unserer Sachen lagen, obwohl wir die letzten Nächte nicht mehr dort geschlafen hatten.

„Oh hallo, ihr zwei!", begrüßte uns die Frau sofort als wir durch die Tür traten. „Ich habe mich schon gefragt, wo ihr seid! Kann ich etwas für euch tun?"

„Hey, ja, wir..." Ich holte einmal tief Luft und atmete langsam wieder aus. „'Tschuldigung. Wir haben mehrere Anliegen."

„Oh, sicher. Dann gebt mir noch einen kurzen Moment. Ich wollte dem Paar dort drüben eine Kanne Kaffee bringen, dann bin ich für euch da. Setzt euch doch."

Wir folgten ihrer Anweisung und eine Minute später setzte sie sich uns gegenüber. „Was kann ich euch Gutes tun?"

„Also erst einmal möchte ich sagen, dass uns die Pension wirklich sehr gut gefallen hat."

„Wirklich? Oh das freut mich, meine Liebe."

„Ja, es ist wirklich toll hier!", versicherte ich. „Trotzdem werden wir nicht hierbleiben."

„Oh geht es schon zurück?"

„Nein, nicht direkt." Ich schluckte in der Hoffnung, dass meine Stimme nicht nachgab. „Es hat sich herausgestellt, dass alte Freunde unser altes Haus gekauft haben und wir dort bleiben können."

„Soll das heißen, ihr habt hier mal gewohnt? Ich dachte ihr seid nur zu Besuch!"

„Ich habe hier gewohnt, ja..." Unter dem Tisch griff Robin meine Hand und drückte sie kurz. „Auf jeden Fall können wir dort bleiben."

„Das ist natürlich viel schöner! Gebt einfach die Schlüssel später ab, dann weiß ich Bescheid."

„Vielen Dank!" Ich lächelte sie an. „Allerdings wollten wir vorher noch über die Wanderwege sprechen. Wir hatten überlegt heute wandern zu gehen und ich kenne noch viele Wege von früher. Allerdings fände ich es noch schöner, wenn es vielleicht irgendeinen neuen Geheimtipp gibt."

„Tatsächlich gibt es einen! Wartet kurz, ich bin gleich wieder da!" Sie sprang mit deutlich mehr Elan auf als ich einer Frau ihres Alters zugetraut hatte und kam mit einer Karte zurück, auf der sie mit einem Kugelschreiber den Weg verfolgte. „Also wenn ihr hier in den Wald lauft, das ist hinter dem Tunnel, dann kommt ihr an einer kleinen Hütte vorbei."

Ich nickte. Den Weg kannte ich.

„Normalerweise gehen die meisten den Weg weiter geradeaus, aber hinter der Hütte führt ein kleinerer Weg weg. Also ein wirklich kleiner Weg. Trampelpfad ist eigentlich schon zu viel des Guten. Wenn ihr dort weiterlauft, ein paar Minuten lang, kommt ihr auf einen neuen Weg. Einen Weg, der mittlerweile keinen anderen frei zugänglichen Eingang hat, weswegen er so gut wie nie belaufen wird. Die Aussichten sind aber wirklich schön! Ihr könntet entweder den gleichen Weg zurücklaufen oder ihr dreht die komplette Runde hier entlang und kommt am Ende kurz vor dem Trampelpfad wieder raus."

„Klingt nach einem Plan oder was meinst du?"

Robin nickte. „Können wir die Karte mitnehmen?"

„Aber selbstverständlich! Was für eine Frage!"

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now