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Mit zwei großen Schritten war Adrian neben mir. „Mach dir keine Gedanken um mich. Es ist alles gut, wirklich. Ich mach das gerne und ich bin die ganze Woche hier. Lass die alle Zeit, die du brauchst. Meinem Arzt wäre es vermutlich sogar ganz recht. Ich soll eigentlich kürzer treten für einen Monat..."

Seine Stimme klang so ehrlich, dass ich nickte und weiter lief.

Er hatte recht behalten. Je weiter ich lief, desto stärker wurde der Chlorgeruch.

Er brannte sich in meine Nase. Meine Augen begannen zu tränen. Mein Herz pochte wieder wie verrückt und auch schien mir etwas den Hals zuzudrücken.

Dabei war ich noch weit von der Stelle entfernt, wo Nebel über den Becken aufstieg und damit zeigte, dass das beheizte Becken war, von welchem Adrian erzählt hatte.

Erst als Adrian meine Hand nahm und sie drückte, bemerkte ich, dass ich angefangen hatte zu zittern.

Das schien mir Kraft zu schenken, denn ich schaffte es noch zwei Meter weiter.

Mein Magen rebellierte und ich wollte einen Schritt nach hinten springen, stolperte dabei aber. Adrians Arm umschlang mich und hinderte mich am Fallen. Zitternd lehnte ich mich an ihn und er begann mir sanft über den Rücken zu streichen.

Meine Atmung kam unregelmäßig und glich eher einem schnappendem nach Luft ringen als richtiger Atmung. Die Tränen hatten sich nun auch ihren Weg nach draußen gebahnt, während in meinem Kopf die Bilder durchrasten.

Auto. Leichen. Blaulicht. Manu. Wasser. Reifenspuren. Mama. Straße. Wasser. Krankenhaus. Papa. Blut.

„Ich bin hier, alles ist gut.", hörte ich ihn flüstern. „Soll ich dich wegbringen?"

„Nein." Meine Stimme klang so schwach, dass ich den Kopf schüttelte, falls er es nicht gehört hatte.

„Okay." Seine Umarmung wurde etwas fester.

Die Zeit verstrich, während mein Körper sich langsam beruhigte und als ich endlich das Gefühl hatte wieder normal atmen zu können und mich nicht jede Sekunde übergeben zu müssen, war die Sonne schon wieder am Untergehen.

„Verdammt.", murmelte ich und löste mich von Adrian. „Es tut mir so leid. Du warst den ganzen Tag hier... Oh verdammt, sorry. Ich hab gar nicht gemerkt, dass es so lang war. Und jetzt warst du hier den ganzen Tag, in der Kälte! Ohne zu Essen und-"

„Hör auf.", unterbrach er mich. „Es ist alles gut. Wirklich!"

„Nein, ist es nicht!" Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe deine Gutherzigkeit deutlich überstrapaziert!"

„Ich hab das gerne gemacht."

Mit hoch gezogenen Brauen warf ich ihm einen skeptischen Blick zu. „Und du behauptest meine Lügen klingen weit hergeholt. Keiner ist so nett, dass er das gerne tut!"

Er lachte auf und zuckte mit den Schultern. „Es hat sich herausgestellt, dass deine Worte wahr waren, dann kannst du vielleicht auch glauben, dass meine wahr sind. Denn das sind sie."

„Wie kann ich mich revanchieren?", fragte ich. „Willst du... Was Essen gehen?"

„Eigentlich sehr gerne, aber leider bin ich heute noch verabredet. Es ist das erste Mal, dass ich wieder hier bin seit ich das Studium im Oktober angefangen habe. Meine Schulfreunde hassen mich schon jetzt dafür, dass ich nicht zu ihrer Silvesterparty gekommen bin. Ich kann sie nicht schon wieder sitzen lassen."

„Ja, klar!"

„Aber wenn du dich wirklich revanchieren möchtest, obwohl das nicht nötig wäre, dann gibst du mir deine Nummer und wir gehen Morgen Abend gemeinsam Essen." Er zog sein Handy aus seiner Hosentasche und reichte es mir.

Schnell tippte ich meine Nummer ein und gab ihm das Handy zurück.

„Vielen Dank." Gemeinsam liefen wir zurück zum Tor, während er auf dem Display tippte und mein Handy anfing zu vibrieren. „So, jetzt hast du auch meine Nummer."

„Danke."

Wir standen jetzt vor meinem Fahrrad und ich realisierte erst jetzt, wie seltsam das war. Ich kannte ihn gar nicht, wusste nichts über ihn, genauso wenig wie er über mich und er war trotzdem den ganzen Tag lang bei mir geblieben und hatte mich im Arm gehalten.

„Nur heute oder bist du immer so früh wach?", wollte er wissen.

„Ich bin wohl eher ein Frühaufsteher, aber meistens dann doch nicht so früh."

„Alles klar, wie wäre es mit morgen um 8 wieder hier?"

„Was?", fragte ich verwirrt.

„Du meintest, du hast noch eine Woche, um dich deiner Angst zu stellen, also dachte ich, wir machen morgen weiter."

„Du willst- Aber- Du hast mir heute schon den ganzen Tag lang geholfen und du willst das morgen wieder tun?!" Ich war völlig perplex. So nett war doch keiner.

„Morgen und übermorgen und die ganze Woche." Er lächelte mich an. „Wir schaffen das zusammen. Am Ende dieser Woche stehst du neben dem Becken!"

„Das geht doch nicht... Das ist zu viel... Ich meine..."

„Nein, hör auf. Ich will das. Das ist mein Wunsch und wenn du denkst, dass du mir etwas schuldest, dann musst du meinen Wunsch erfüllen und jetzt hör auf dir darüber den Kopf zu zerbrechen und sag einfach ja."

„Okay, aber wenn du es dir anders überlegst, dann sag auf jeden Fall Bescheid! Du musst das nicht tun!"

„Ich will aber!" Er umarmte mich zum Abschied. „Aber jetzt sollte ich wirklich los. Bis morgen."

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now