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Mit meinen Kopfhörern in den Ohren stand ich auf dem Balkon, Kim hatte sich neben mich auf den Stuhl gesetzt und tippte auf ihrem Handy rum, eine große Sonnenbrille im Gesicht.

Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Sollte ich wieder runter zum See, um das Gefühl zu haben näher bei Manu zu sein? Ein Teil von mir sagte, dass genau das das war, was ich machen sollte, aber eine leise Stimme, die in den letzten Tagen oder Wochen entstanden war, flüsterte mir zu, dass das vielleicht nicht der richtige Weg war. Und in gewisser Weise, dachte ich das auch. Na gut, es war ja auch meine eigene Stimme, aber trotzdem fand ich diese Tatsache seltsam. Es hatte mich nie gekümmert, dass ich wusste, dass ein Therapeut gesagt hätte, dass das keine gesunde Art war mit dem Verlust umzugehen. Es hatte sich immer richtig angefühlt. Warum also, hatte ich jetzt das Gefühl, dass es falsch war?

„Hey,", begrüßte Kim und schaute mich dabei an, als sie seinen Namen betonte: „Jack."

Ich verdrehte die Augen, nickte aber Robin kurz zu.

„Na, ist euer Frauengespräch fertig?"

„Jap, alles geklärt.", antwortete Kim und grinste.

„Werden wir es auch erfahren?"

„Ganz sicher nicht." Kim schüttelte den Kopf. „Das bleibt zwischen Elle und mir."

„Ach kommt schon!"

„Hör schon auf." Ich verschränkte die Arme vor der Brust und drehte mich um, sodass ich mit dem Rücken gegen das Geländer lehnte.

„Ist ja schon gut." Er seufzte. „Dafür bin ich auch gar nicht raus gekommen."

„Wofür dann?", wollte Kim wissen.

„Für Elle."

„Ich sagte doch, du sollst aufhören.", wiederholte ich.

„Ja, nicht deshalb." Er schüttelte den Kopf. „Ich hab eben meine Klamotten von gestern aufgeräumt."

„Aha."

„Und in meiner Hosentasche das hier gefunden." Er hielt mir mein Handy hin. „Ich glaube das gehört dir."

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Kim sich alle Mühe gab ihr Grinsen zu verstecken, während ich nach dem Handy griff. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich hoffte, dass ich nicht rot wurde. Verdammte Scheiße.

Doch zu meinem Glück, zuckte er mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung, wie es da hin gekommen ist. Hast du es mir gestern gegeben zum Aufbewahren?"

„Das Hosentaschen bei Frauen so winzig sind ist einfach eine Frechheit!", versuchte Kim mich zu retten.

Dankend warf ich ihr ein kurzes Lächeln zu.

„Oder hast du es gestern verloren und ich hab es gefunden?", schlug Robin als Alternative vor.

Jetzt hatte ich die Qual der Wahl. Was war besser? Ihn auf die falsche Fährte zu locken, in dem ich log und behauptete ihm mein Handy gegeben zu haben? Oder war es sicherer, näher an der Wahrheit zu bleiben. Zuzugeben, dass ich mein Handy verloren hatte und er gefunden. Denn so war es ja eigentlich gewesen. Ich wusste zwar, wo ich mein Handy liegen gelassen hatte und auch, dass er dabei gewesen war, aber er hatte es ja trotzdem quasi gefunden und mitgenommen.

War es nun besser eine völlig falsche Geschichte zu erzählen, damit er sich nicht dadurch an etwas erinnerte oder war es besser nah an der Wahrheit zu bleiben, damit falls er sich an etwas erinnerte, die Geschichte immer noch plausibel klang und er nicht weiter darüber nachdachte und sich an noch mehr erinnerte. Ich wusste es nicht, aber da Kim quasi schon den Weg geebnet hatte, fiel meine Entscheidung auf die ganze Lüge. „Ja, ich hab dir mein Handy gestern gegeben. Es ist mir dauernd aus der Hosentasche gerutscht und ich war so genervt davon, dass du irgendwann angeboten hast es zu nehmen. Danke nochmal."

„Immer wieder gerne."

Meine Augen weiteten sich, als ich ein Blick auf das Display warf.

„Ist was?"

„Äh, nein, also ja. Ich..." Ich hob kurz meinen Blick. „Sorry, ich muss gehen."

„Wohin?", fragte Kim und zur selben Zeit Robin: „Ist alles in Ordnung?"

„Nein. Ja. Ich..." In meinem Kopf ratterte es. Was hatte das zu bedeuten. „Ich weiß es nicht. Ich muss telefonieren."

Die beiden sagten noch irgendetwas, aber ich hörte nicht mehr auf die, sondern lief mit schnellen Schritten aus dem Zimmer.

Ich hatte zwei Nachrichten von ihm. Das wäre schon ungewöhnlich genug gewesen. Wir schrieben so selten, aber wenn dann schickte er mir eine Nachricht. Niemals schrieb er zwei hintereinander. Doch was mich noch mehr beunruhigte, waren die zwei verpassten Anrufe von ihm. Er rief nie an. Wir telefonierten nie. Ich wusste nicht, ob ich jemals mit ihm telefoniert hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern. Warum also jetzt? War etwas passiert?

Wahrscheinlich hätte ich an Ort und Stelle zurückrufen sollen, aber ich traute mich nicht. Was, wenn etwas geschehen war? Was, wenn er verletzt war? Wenn er... Nein, das konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. Nicht schon wieder.

Erst als ich auf dem Baumstamm im Wald am Ufer des Sees saß, legte ich, mit zitternden Händen, meinen Finger auf den Sensor, um mein Handy zu entsperren. 

Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt