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Wir hatten alles eingepackt und uns bereits vor einiger Zeit, begleitet von der morgendlichen Sonne, auf den Weg zurück gemacht. Das Zwitschern der Vögel bot eine klangliche Untermalung. Es war wunderschön.

„Hast du das gehört?", fragte Robin auf einmal und blieb stehen.

„Was soll ich gehört haben?", fragte ich und schaute mich um. Ich konnte nichts erkennen und gehört hatte ich auch nichts.

„Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet. Ich dachte, ich hätte gehört wie ein-"

Bevor er seinen Satz beenden konnte, hob ich die Hand, damit er stoppte. Jetzt hörte ich auch ein Geräusch. Es klang, wie ein winselndes Tier. „Ist das ein Hund?"

„Ich glaub es kommt von da drüben." Er zeigte in eine Richtung und lief auf das Gestrüpp zu. Ich blieb zuerst am Wegrand stehen, folgten ihn aber dann doch. Es war gar nicht so leicht, sich durch die Pflanzen durchzukämpfen, wenn man einiges an Gepäck dabei hatte, so wie wir.

„Da ist wirklich ein Hund!", rief Robin und ich überbrückte den Abstand zwischen uns, doch er bückte sich bereits und versuchte die Dornenranken von dem Hund zu entfernen. „Was machst du denn hier, so ganz allein?"

Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Hund, der, nachdem Robin ihn befreit hatte, sofort auf mich zukam und mich schwanzwedelnd begrüßte.

„Na, wenn das nicht Liebe auf den ersten Blick ist. Ich befrei ihn, aber du kriegst seine Aufmerksamkeit."

„Diego?", flüsterte ich und der Golden Retriever bellte einmal auf, als würde er zustimmen wollen.

„Du kennst den Hund?"

„Ich bin mir nicht sicher." Ich kniete mich hin und während ich mit der einen Hand den Hund streichelte, suchte ich mit der anderen nach der Plakette an seinem Halsband. „Das ist wirklich Diego!"

„Und wer ist Diego?", fragte Robin und klopfte sich die Hose ab.

„Oh, sorry, Diego ist der Hund von Klaras Nachbarn. Wir sind früher regelmäßig mit ihm spazieren gegangen."

„Aber was macht er hier? Allein? Oder denkst du, dass der Besitzer hier irgendwo ist und Hilfe braucht?"

Ich schüttelte den Kopf. „Wir können uns kurz umschauen, aber ich glaub es ehrlich gesagt nicht. Diego ist regelmäßig weggelaufen. Der Besitzer ist nicht sonderlich gut zu fuß. Der hat irgendwas am Bein, und steilere Wege kann er nicht wirklich gehen. Naja, auf jeden Fall ist seine Frau immer mit Diego wandern gegangen, aber sie haben sich scheiden lassen. Eigentlich hätte sie den Hund mitnehmen soll, aber ihr Neuer hat eine Hundeallergie, also ist Diego beim Mann geblieben. Doch seitdem die Frau weg ist, ist Diego immer wieder aus dem Garten gerannt und ist in den Wald gelaufen. Normalerweise kam er immer von selbst zurück, aber es gab auch ein paar Male, da ist er tagelang nicht wieder aufgetaucht und wir sind ihn alle suchen gegangen."

„Na, was machst du nur für Sachen.", murmelte er und tätschelte Diegos Kopf. „Dann bringen wir dich mal nach Hause."

Diego bellte einmal. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass er genau zu verstehen schien, was man ihm sagte, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein und er bellte nur zufällig in den richtigen Momenten. „Na, dann los."

Gemeinsam mit Diego setzten wir den Weg fort. Wir warfen abwechselnd einen Stock, den er uns immer wieder zurückbrachte.

Es gab eine Sache, die ich aus dieser Situation lernte. Eine Sache, die ich nicht erwartet hatte und deren Erkenntnis mich vollkommen überrascht hatte.

Diego hatte Erinnerungen in mir geweckt an die Zeit vor dem Unfall. Er hatte mich an die Zeit erinnert, als ich noch in Hofond lebte, als ich Zeit mit meinen Freunden verbracht hatte und auch mit Manu. Manu, Lisa und ich waren auch häufig mit Diego spazieren gewesen. Es war nicht nur mit meinen Freunden, auch er war dabei. Aber, anders als all die Male davor, löste die Erinnerung nur positive Gefühle aus. Es war eine schöne Erinnerung, aber das waren sie vorher auch gewesen. Nur wurden sie zuvor immer von dem Schmerz überschattet.

Jetzt aber hatte ich nur das gesehen. Sobald ich darüber nachdachte, kam auch die Trauer dazu, aber die Gefühle, die geweckt worden sind, waren durchweg positiv gewesen. Ich hatte mich auf das Schöne konzentriert, nicht auf das Hässliche. Ich hatte nicht zugelassen, dass ich nur das eine sah.

Nie hätte ich erwartet, dass es dazu kommen würde und doch war es passiert.

Die letzten Tage hatten mir aber immer wieder gezeigt, dass ich zu mehr imstande war, als ich erwartete. Wie oft hatte ich genau diesen Gedanken gehabt? Wie oft war ich überrascht gewesen, dass es funktionierte, auch wenn ich es nicht geglaubt hatte?

Auch diese Erkenntnis hatte ich schon einmal gehabt. Vielleicht auch mehrmals, aber sie drang nicht zu mir durch. Es war ein kurzer Moment, in dem ich es verstand. In dem Verstand, dass ich zu viel mehr in der Lage war, als ich dachte. Ein kurzer Moment, in dem mir klar wurde, dass ich es schaffen konnte.

Ich konnte die Vergangenheit akzeptieren. Ich konnte lernen mit dem Schmerz und der Trauer zurecht zu kommen. Ich konnte das.

Es war möglich. Ich konnte glücklich sein. Ohne meine Familie zu vergessen und trotzdem nach vorne blicken.

Es war Zeit genau das zu tun.

Ich war bereit genau das zu tun.

Ich würde genau das tun. 

Greatest Love but Greatest FearHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin