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Als ich mein Handy eingerichtet hatte, musste ich feststellen, dass ich mehrere Nachrichten von Adrian hatte, der wissen wollte, wie es mir ging und ob alles gut gelaufen war. Er schien sich große Sorgen gemacht zu haben, weil ich mich nicht mehr gemeldet hatte. Auch wenn ich eigentlich nicht telefonieren wollte, hatte ich ihn angerufen und ihn knapp erzählt, was geschehen war. Auch, dass ich mit Robin darüber geredet hatte. Ich hielt mich bewusst vage, denn genauso wenig wie ich es Kim oder Oli bisher hatte erzählen konnte, konnte ich mich auch nicht überwinden ihm die ganze Wahrheit zu erzählen. Umso seltsamer fand ich es immer noch es Robin erzählt zu haben. Was war da nur in mich gefahren?

Es war nicht wirklich so als würde ich es bereuen. Es hatte mir gut getan und er hatte kein einziges Wort darüber verloren. Trotzdem verstand ich es nicht. Nie hätte ich es gedacht, dass ich es ausgerechnet ihm erzählen würde...

Kims Wecker klingelte ungewöhnlich früh. Vor Schreck ließ ich fast mein Buch fallen, doch sie schien nicht einmal aufzuwachen. Obwohl ich noch nie in meinem Leben einen lauteren und grässlicheren Wecker als den ihren gesehen hatte.

Doch ich wartete bis sie selbst den Wecker abstellte, auch wenn es drei Minuten dauerte. Sonst bekam sie nichts wach.

„Guten Morgen!"

„Du bist schon wach?", fragte sie gähnend.

„Jap." Ich grinste. „Ich wusste nicht, dass du heute so früh aufstehen wolltest."

„Es ist doch Olis Geburtstag!"

„Ja, das weiß ich, aber er meinte doch, dass er nicht groß feiern will, also hättest du wohl nicht früh aufstehen müssen..."

„Wahrscheinlich nicht, aber ich will, dass der Tag trotzdem wunderschön wird! Dafür stehe ich sogar am Wochenende früh auf."

„Das muss Liebe sein."

Sie streckte mir die Zunge raus und verschwand ins Bad.

Ich selbst begann vier Kaffees zu kochen als ich von draußen auf den Balkon leise Stimmen hörte und lief mit ihnen hinaus.

„Einmal schwarz und einmal mit einem Schuss Milch." Ich reichte ihnen die Tassen und stellte Kims auf dem breiten Holzgelände ab, während ich meine in die Hand nahm. „Und alles Gute zum Geburtstag, Oli!"

„Danke!" Er lächelte mich an. „Aber wirklich. Wir müssen kein großes Ding draus machen..."

„Hast du vergessen wer deine Freundin ist?", fragte Robin lachend und klopfte Oli auf den Rücken. „Das kannst du echt knicken."

„Ja, ja, ich weiß..."

„Ein bisschen genießt du es auch, dass sie dich so verwöhnt. Gib es zu!"

„Das gebe ich gerne zu, aber die verwöhnt mich auch sonst. Dafür muss ich nicht Geburtstag haben."

„Uh! Zu viele Details!"

„Was? Nein!" Olis Wangen färbten sich rot. „So was das gar nicht gemeint! Ich meinte nicht- Ey Jack!"

Robin schüttelte lachend den Kopf. „Das weiß ich, es macht aber Spaß dich zu ärgern."

„Arsch!"

Grinsend lief ich kurz nach drinnen und brachte das Geschenk für Oli mit raus, das ich in Zeitung eingewickelt hatte, weil ich erstens kein Geschenkpapier besaß und es zweitens sowieso nachhaltiger war.

„Ich sagte doch, dass ihr mir nichts schenken müsst!"

Ich verdrehte die Augen. „Jetzt nimm es schon."

Er bedankte sich lächelnd und fing an es auszupacken. Seine Augen weiteten sich als er das Cover sah. „Nein! Marius Koch! Woher wusstest du das?"

„Woher wusste ich was?"

„Dass ich Marius Koch vergöttere?!"

„Das wusste ich nicht...", gestand ich. „Aber umso besser."

„Wer ist Marius Koch?", wollte Robin wissen.

„Ein Fotograf. Ein unfassbar guter Fotograf!", rief Oli und schlug das Buch in der Mitte auf, um Robin einige Fotos zu zeigen. „Sieh dir das an! Die sind fantastisch!"

„Ja, die sind wirklich gut."

„Mehr als nur gut!" Oli blätterte weiter. „Ich fasse es nicht! Ich liebe seine Fotos! Er ist so viel besser als viele der bekannteren Fotografen. Er hätte so viel mehr Aufmerksamkeit verdient! Aber Elle, sag mal, woher hast du das Buch? Das kommt doch erst nächsten Monat raus!"

„Ach ja?", fragte ich und zuckte mit den Schultern. „Als ich letztens in der Stadt war, war da eine Ausstellung von seinen Fotos und da haben sie die verkauft."

„Du warst auf einer Ausstellung von Marius Koch? Es gab eine Ausstellung von Marius Koch? Hier?"

„Wenn ich gewusst hätte, dass du ihn so toll findest, hätte ich es dir erzählt, aber du hättest es wohl eh nicht mehr hingeschafft nach der Schule... Er ist recht früh wieder gegangen."

„Warte! Er war da?!"

„Ähm ja."

Seine Augen wurden noch größer. „Sag bloß du hast mit ihm gesprochen?"

„Ja, hab ich."

„Was hat er gesagt? Wie war er so? Ich will alles wissen!"

„Willst du nicht erstmal die Widmung lesen?", schlug ich vor.

„Die Widmung? Welche Widmung?"

„Die Widmung vorne im Buch.", erwiderte ich lachend, während Oli schnell nach vorne blätterte.

„Ist nicht wahr!"

„Was hat er geschrieben?", wollte Robin wissen.

Oli las vor: „Lieber Oli, Mit jedem Foto zeigt der Fotograf seine eigene Sicht auf die Welt und sichert einen Augenblick für die Ewigkeit. Ich sehe großes Potential in deiner Fotografie und hoffe, dass du nie die Freude daran verlierst! Marius Koch."

„Oho!"

Oli richtete seinen Blick auf mich. „Aber- Er- Du- Ich- Er hat meine Fotos gesehen?"

„Ja, ich hab ihn von dir erzählt und er wollte sich anschauen, was du so machst, da hab ich es ihm gezeigt."

„Marius Koch hat sich meine Fotos angeschaut und fand sie gut?!"

„Er fand sie sehr gut.", bestätigte ich und reichte ihm den Brief rüber. „So gut, dass er mir das hier noch mitgegeben hat."

Oli machte keine Anstalten den Brief entgegenzunehmen.

„Soll ich vorlesen?"

Er nickte.

„Also schön." Ich öffnete den Umschlag und holte den Brief heraus. „Lieber Oli, Deine liebe Freundin Elle hat mir einige deiner Fotos gezeigt und ich finde deinen Blickwinkel sehr spannend! Sie meinte, du hättest bald Geburtstag, beziehungsweise hast du wohl heute Geburtstag, wenn du diese Zeilen liest: von daher, wünsche ich dir alles Gute! Außerdem möchte ich dir ein kleines Geschenk machen oder besser gesagt, möchte dir ein Angebot unterbreiten: Ich werde von Juli bis Oktober durch verschiedene Länder Europas reisen, um zu fotografieren. Dazu gehören einige Auftragsarbeiten für Reiseführer, Naturschutzorganisationen und Reportagen, aber auch eigene Projekte, die ich gerne umsetzen möchte. Abgesehen davon, dass ich gerne Nachwuchskünstler, soweit es mir möglich ist, fördern möchte, könnte ich mir gut vorstellen, dass deine Sicht eine Bereicherung für diese Projekte sein könnte und wir uns somit gegenseitig helfen können. Aus diesem Grund lade ich dich ein in deinen Sommerferien mit mir mitzukommen, solltest du daran interessiert sein. Solltest du mehr darüber erfahren wollen, kannst du dich gerne bei mir melden. Ansonsten wünsche ich mir, dass du die Fotografie niemals aufgibst! Mit freundlichen Grüßen, Marius."

Greatest Love but Greatest FearWhere stories live. Discover now