Die dunkle Stadt

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Es begann mit dem seltsamen Feuerwerk. 

Ich war gerade auf dem Heimweg gewesen, als mir das Farbenspiel am Himmel auffiel. Raketen stiegen in den Himmel, explodierten und hinterließen ihre Signatur. Es war seltsam. Ein Feuerwerk beim Sonnenuntergang? Doch ich dachte mir nichts dabei. Wer weiß, was sich die Person dabei gedacht hatte, heutzutage konnte man jedem alles zutrauen. Ein Feuerwerk, auch wenn man es nicht wirklich sehen konnte, war da anscheinend nicht ganz ungewöhnlich. Deswegen dachte ich mir auch nichts dabei, als ich nach meinem Schlüssel kramte und die Tür zu meinem Wohnhaus aufschloss, wo sich meine Wohnung befand, welche ich mir hier in Tokio gemietet hatte. Ich war stolz darauf, dass ich es so weit geschafft hatte. Mein privates Reich war zwar klein, aber fein. 

Die schwere Haustür fiel hinter mir ins Schloss und ich zuckte kurz zusammen, weil ich mich vor dem Geräusch ein wenig erschreckte. Doch so schnell der Schreck auch gekommen war, so schnell war er auch wieder vergangen. Stattdessen bemühte ich mich, endlich den Lichtschalter für das Treppenhaus zu fassen zu kriegen. Es war hier schon ziemlich dunkel, weshalb ich Probleme hatte, ihn endlich ausfindig zu machen. Genervt strich ich an der Wand entlang, bis ich endlich den glatten Schalter fühlte. Als ich ihn drückte ... passierte nichts. 

Das Licht blieb aus und ich blieb im stockdunklen Treppenhaus stehen. Wahrscheinlich war der Schalter wieder defekt, meine Nachbarin Tenjiro-san hatte letztens mal so etwas erwähnt. War der Hausverwalter noch nicht hier gewesen, um sich das Problem anzusehen? Ich fischte in meine Tasche und zog mein Handy hervor, um meine Taschenlampe zu benutzen. Doch mein Bildschirm blieb schwarz. Der Akku war leer. Ich fluchte erneut. Dann müsste ich die Treppen wohl im Dunklen erklimmen. Hoffentlich fiel ich nicht wieder auf die Nase, wie es mir letztens passiert war! 

Vorsichtig stellte ich mich auf die erste Stufe, dann auf die nächste und wiederholte den Vorgang, bis ich im ersten Stockwerk angekommen war. Dort drückte ich ebenfalls auf den Lichtschalter, doch es blieb noch immer dunkel.

Ich bemerkte es erst, als ich versuchte, das Licht in meiner Wohnung anzuschalten. Auch hier ging es nicht und ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Erst jetzt realisierte ich, dass es außerdem auch viel zu leise war. Normalerweise hörte man hier noch immer das Hupen von wütenden Autofahrern und das sanfte Motorbrummen von sämtlichen Verkehrsmitteln! Doch ein Blick aus dem Fenster sagte mir, dass sich draußen nichts mehr bewegte. Die Sonne ging noch immer unter, doch statt des Feierabendverkehrs war auf den Straßen eine gähnende Leere. Vereinzelt waren Autos zu sehen, doch sie rührten sich nicht vom Fleck. 

In diesem Moment hatte ich beschlossen, dass etwas hier nicht stimmte. Tokio war niemals so leise, es war einfach nicht möglich, dass es von einem auf den anderen Moment so leer wurde! 

Ich streifte meinen Rucksack ab und flitzte durch die Wohnung. Mein Ziel war der kleine Hauswirtschaftsraum, wo sich die Sicherungen für meine Stromversorgung befanden. Ich legte alle Schalter um, doch es passierte nichts. Ich hatte zwar nicht viel erwartet, aber trotzdem spürte ich die Enttäuschung, welche sich recht schnell bemerkbar machte. Und mit ihr kam auch die Angst. 

Was sollte ich jetzt tun? 

Wo waren die ganzen Menschen hin, warum ging der Strom nicht mehr? 

War das alles nur ein schlechter Scherz gewesen? 

Vielleicht war ja heute eine Art von Sicherheitsübung, von der ich nichts mitbekommen hatte?! 

Ich musste etwas unternehmen, dass wusste ich. Stillsitzen konnte ich nicht, dass würde mich verrückt machen. Stattdessen griff ich nach meiner anderen Jacke, welche ich mir um meine Hüfte band und außerdem noch nach einer Taschenlampe, welche mir meine Großmutter mal geschenkt hatte. Eine kurze Funktionskontrolle bestätigte mir, dass sie noch funktionierte. Dann nahm ich meine Schlüssel, verließ die Wohnung und tastete mich die Treppe hinab, dieses Mal aber zum Glück mit ein wenig Licht durch die Taschenlampe. Mein nächstes Ziel war die Polizeistation, die nicht weit von meinem Wohnort entfernt lag. Bestimmt fand ich dort die Informationen, die ich brauchte, um meine Nerven endlich entspannen zu können. 

Vorsichtig öffnete ich die große Haustür, auch wenn ich dieses Mal darauf achtete, dass sie nicht zu sehr knallte. Als das Schloss klickte, wandte ich meinen Blick zur Straße - doch was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern erfrieren.

Der Anblick von hier unten erschlug mich noch ein wenig mehr. Erst jetzt konnte ich wirklich erkennen, was sich verändert hatte. Es waren nicht nur die fehlenden Autos und Menschen, sondern auch noch so zahlreiche andere Sachen, die mir sofort ins Auge fielen. Zerbrochene Glasscheiben, Müll und Verschmutzung, Läden, welche praktisch leergefegt waren... Es schien nicht gerade so, als wäre erst vor kurzem alles evakuiert worden. 

Ich klammerte mich noch ein wenig mehr an meine Taschenlampe und machte mich auf den Weg. Die fehlende Geräuschkulisse ließ mir eine Gänsehaut über die Haut fahren und ich fühlte mich unwohl, nur mich zu hören. So kam es auch, dass ich mir ziemlich schnell einbildete, dass hinter mir jemand lief, da ich noch weitere Schritte hörte, obwohl es noch immer menschenleer war. Immer wieder drehte ich mich um, nur, um nichts zu sehen. Je dunkler es wurde, desto schlimmer wurde es. Und als ich mich ein weiteres Mal umdrehte, sah ich es:

Spiel: Hier entlang!

Eine riesige Leinwand, die bis eben noch aus gewesen war, war zum Leben erwacht. Erneut spürte ich die Gänsehaut, welche sich ausbreitete. 

Es wurde immer seltsamer. 

Sofort startete die innere Diskussion. Ein Teil von mir wollte, dass ich dem Schild folgte. Wer weiß, vielleicht träumte ich einfach nur? Das "Spiel" könnte mich aus dem tiefen Schlaf befreien!

Aber was war, wenn es eine Falle war? Es klang nicht gerade vielversprechend, wenn ich ehrlich war... klang es nach einem schlechten Scherz.

Doch die Neugierde hatte schließlich die Überhand. Vielleicht fand ich die Antworten für meine Fragen, wenn ich diesem Schild folgte. So komisch es vielleicht auch sein mochte, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diese Leinwand und die Situation, in welcher sich Tokio gerade befand, miteinander zusammenhingen. 

Und so ließ ich mich in die tiefsten, vergessenen Gassen der Hauptstadt Japans führen.

The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now