Chemische Reaktion

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Er tastete meine Seiten professionell ab. Nach was suchte er? Gebrochenen Rippen? Oder hatte er doch andere Intentionen? Anhand der Handgriffe konnte ich mir letzteres jedoch nicht wirklich vorstellen.

Irgendwie glaubte ich sofort, dass er ein Medizinstudent war. Und doch... Es störte mich, als seine warmen Hände meinen Körper verließen.

"Du hast Glück, deine Rippen sind in Ordnung", meinte er und holte eine Packung aus dem Koffer. Es waren Schmerztabletten. "Die werden helfen, wenn du Schmerzen kriegst", fügte er hinzu.

Warum tat er das für mich?

Er hatte mich aus der Fassung gebracht, soviel war klar. Ich konnte mich nicht konzentrieren, in meinem Magen flogen tausend Schmetterlinge. Es war... seltsam. Ich kannte dieses Gefühl nicht.

Ich setzte mich auf und nahm mir eine Decke, die ich um mich wickelte. Ich brauchte etwas, was mich ablenkte... aber was? Unruhig ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Erst nach einer ganzen Weile sah ich, dass er mich die ganze Zeit dabei beobachtet hatte.

Auf einmal brannte die Luft förmlich.

Die Blicke, die wir tauschten, waren nicht mehr normal. "Wo hat er dich berührt", die Frage kam unerwartet und ich hielt inne.

"Ich...Überall", ein Zucken ging durch seinen Körper, als er sich in Bewegung setzte. Ohne große Mühe drückte er mein Kinn nach oben und zwang mich, ihn direkt anzusehen.

"Überall", wiederholte er, seine Augen glitzerten. Das war nicht der Chishiya, den ich kannte. Der überhebliche junge Mann verhielt sich auf einmal wie ein normaler Mensch. Ein Mensch, der Gefühle wie jeder andere spürte und dem meine Zeichen nicht entgangen waren.

Mein Körper spielte verrückt und ich wusste nicht, wieso ich den nächsten Schritt tat.

Plötzlich lag ich auf ihm. Es ging ganz schnell und ich hatte es nicht einmal mitbekommen. Er grinste mich schelmisch an. "So stürmisch, hätte ich gar nicht von dir erwartet", meinte er und ich merkte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Er lachte nur. "Nun... Sag mir, was möchtest du von mir Johanna. Oder soll ich lieber Ayuna sagen?", er wartete darauf, dass ich das okay gab. Er zwang mich nicht, sondern wollte, dass ich ihm Zustimmung gab, die er brauchte.

Oh Gott, was war bloß mit mir los? Verdammt, ich war gerade erst von den Toten auferstanden und jetzt benahm ich mich wie ein stürmisches Tier? So kannte ich mich gar nicht! Ich war nicht so ein Mädchen!

Aber... Er war anders. Ich hasste ihn. Er war jemand, den ich nie verstehen würde. Aber... er zog mich auf einmal magisch an. Es war so, als wären wir zwei Magnete. Gegensätzlich, aber anziehend. "Ich...", meine Worte blieben mir im Hals stecken und ich versteckte mein Gesicht in meinen Haaren, die sich schon längst aus meinem Zopf gelöst hatten und lose von meinem Kopf baumelten.

"Sag es mir", seine Stimme war sanft, aber auch bestimmt. Ich zögerte erneut.

"Bitte... Ich will mich nicht mehr so schmutzig fühlen...", war das, was ich am Ende herausbekam, "Ich möchte diese schmutzigen Handabdrücke nicht mehr spüren!"

Es war teils Wahrheit, teils Lüge. Die Wahrheit lag in den Worten, dass ich mich schmutzig fühlte, doch die Handabdrücke... er würde sie nicht löschen können - oder?

Er nickte und das Lächeln kehrte zurück, doch trotz der Arroganz wirkte es echt. Und dann spürte ich die Hände, die mich durch die Decke berührten. Ich spürte, wie sich die Wärme in mir ausbreitete. Den Stress, welchen ich zuvor gefühlt hatte, wurde komplett ersetzt. Es war, als wäre plötzlich alles um uns herum verschwunden. Es gab nur noch ihn und mich, unsere Blicke, die Berührungen. Seine warmen Fingerspitzen ersetzten das kalte, schmerzliche Gefühl, welches ich mit mir herumgetragen hatte, sie ließen mich die groben und gezwungenen Handgriffe vergessen, welche ich erst gespürt hatte. Es war pure Erleichterung.

Die Schmetterlinge explodierten, als er das erste Mal mit meiner Haut in Kontakt kam. Es war ein ganz anderes Gefühl und ich wusste nicht, wie mir geschah.

So etwas... warum war es mit ihm so anders?

Erst, als ich auf einmal mit dem Rücken auf der Couch lag, wusste ich, dass auch er in der gleichen Gefühlslage steckte. Er war komplett in seinem Element, konnte seine Hände nicht von mir lassen, wie ich meine nicht von ihm lassen konnte. Und so erkundeten wir uns gegenseitig, Haut presste auf Haut. Ich spürte seinen heißen Atem in meinem Nacken, dann seine kalten Lippen, die an meinem Ohr nibbten.

Es machte mich langsam verrückt - und er bemerkte es. Sein Grinsen kehrte zurück und er ließ mich für einen Moment zappeln, bevor unsere Körper in ein harmonisches Miteinander verfielen. Es war ganz anders als das, was ich zuvor spüren musste. Es war nicht schmerzvoll, sondern voller Aufregung. Ein Gefühl, was ich nicht beschreiben konnte.

Mein Unterleib entspannte sich sofort, die Schmerzen verwandelten sich in ein aufregendes Ziehen.

So oft ich es auch verneinen würde, es gab eine Verbindung zwischen uns, die besonders war.

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Du hast ein Teilziel erreicht!

Ich wurde durch die Stimme in meinem Ohr geweckt. Vorsichtig setzte ich mich auf und gähnte. Chishiya lag neben mir und schien noch zu schlafen.

Ich konnte mich allerdings nicht daran erinnern, wann wir ins Bett gegangen waren. Als ich aber an die Geschehnisse von den letzten Stunden denken musste, war ich ein wenig verlegen.

Ich hatte es mit ihm getrieben.

Mit dem Mann, an den noch nie so wirklich einer rangekommen war.

Leise stand ich auf und zog mich an, auch wenn ich es eigentlich nicht bevorzugte, wieder in das weiße Kleid steigen zu müssen. Ich hörte, wie es hinter mir ruschelte und wusste, dass auch er nun wach war.

"Das Teilziel ist erreicht", murmelte er und ich sah ihn verwundert an.

"Warte, du auch?", wollte ich wissen und er nickte, bevor er auf seine Kleidung deutete.

"Wir sind eine besondere Beziehung eingegangen, schon vergessen?", er grinste, als er sah, wie mein Gesicht erneut rot anlief. Anscheinend genoss er es, mich ein wenig zu ärgern.

Es ließ mich wundern, ob er es alleine für das Spiel getan hatte - ein Stich fuhr mir durch das Herz. Über die Antwort auf diese Frage sollte ich zu einem späteren Zeitpunkt nachdenken.

Auf einmal klingelte sein Handy. Da ich meines verloren hatte, guckte ich bei ihm mit rauf.

Eilmeldung! Die einundzwanzigjährige Johanna Brown wird vermisst! Die Polizei ist bereits auf der Suche und erbittet Mithilfe der Bewohner! Die junge Frau muss bis heute Abend aufgefunden werden, so ihre Mutter, denn sie leidet unter Krankheiten, die eine Medikamenteneinnahme erfordern! Bitte helfen sie mit und melden sie jede Art von Hinweis! Vielen Dank!

Jetzt wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich musste mich bis zum Abend verstecken, dann war ich frei. Dann war das Spiel beendet. Chishiya sah mich an.

"Dann wollen wir mal sehen, wie wir dich am besten untertauchen lassen, nicht?", er deutete auf seine Wohnung, "Hier werden sie als Erstes suchen." Er hatte vollkommen Recht. Ich musste jetzt handeln, sonst würde es zu spät sein. Wenn sie mich jetzt fanden, war alles umsonst, dann würde ich keine Gelegenheit mehr haben, noch einmal in die Freiheit zu wandern.

Es war an der Zeit, dieses Spiel endlich zu beenden. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber es war genug, um mich langsam in den puren Wahnsinn zu treiben.

Ich mochte es überhaupt nicht, wie sehr dieses Spiel mit mir und meinen Gefühlen gespielt hatte.

Jetzt waren wir so weit gekommen, da wollte ich nicht aufgeben. Die Chance war da, also würde ich sie mit Händen und Füßen packen.

Ich war nicht alleine, in diesem Spiel gab es Charaktere, die zu mir hielten.

Ich fühlte mich gestärkt und energiegeladen.

Und Chishiya hat nicht gerade wenig dazu beigetragen...

The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now