Ein Hafen in der Hölle und die Lüge des Erfolges

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Ich war irgendwann über meine Gedanken eingeschlafen.

Als ich jedenfalls wieder aufwachte, war die Sonne schon fast wieder verschwunden und tauchte mein Zimmer in ein dunkles, rötliches Licht. Ich setzte mich auf und gönnte meinem Körper ein wenig Zeit, um sich vollständig hochzufahren. Dann stand ich auf und sah mich genauer um.

Als ich hier angekommen war, hatte ich dem Zimmer nicht viel Beachtung geschenkt, doch wenn ich genauer hinsah, bemerkte man recht schnell, dass sich 'Hatter' Mühe gab, seine Leute bei Laune zu halten.

Es gab alles, was man zum Wohlfühlen brauchte: Getränke, Snacks, Handtücher... Und Strom. Wie das möglich war, konnte ich noch nicht ganz begreifen. Doch die größere Überraschung erwartete mich tatsächlich im Badezimmer. Aus Gewohnheit betätigte ich den Wasserhahn und erwartete wie immer nichts, doch als die klare Flüssigkeit heraussprudelte, wich ich etwas erschrocken zurück.

Wasser, fließendes Wasser!

Stimmt, sie hatten es mal so am Rande erwähnt, aber trotzdem! Wie war das möglich? War das wirklich der sichere Hafen im großen Sturm? Ich ließ meine Hand unter den Strahl hängen.

Kalt.

Wie erfrischend.

Ich zog sie weg und drückte den Hahn wieder zu, bevor ich das Bad wieder verließ. Ich würde nachher eine Dusche nehmen. Doch erstmal hatte ich den Drang, das Gebäude zu erkunden. Die ganze Sache war mir noch nicht geheuer, ich wollte genauer wissen, womit ich es zu tun hatte und welches Ausmaß Beach eigentlich hatte - warte mal, was war das denn?

Vorsichtig bückte ich mich und begutachtete das kleine Päckchen, über welches ich gerade beinahe gestolpert war. Es hatte vor meiner Tür gelegen, also war es eigentlich kaum zu übersehen.

Sollte ich es öffnen? Eigentlich ja, aber warum hatte ich Angst? Hatte ich wirklich so viel Misstrauen? Warum konnte ich diesen Menschen hier nicht einfach mal vertrauen? Anscheinend lag es an meinem gesunden Menschenverstand.

Ich hob das Paket an und wog es mit meinen Armen. Es war leicht. Die Neugierde überwog schließlich und ich öffnete es.

In dem Karton waren... Fetzen?! Was war das denn? Ich hob einen dieser Stofffetzen hoch und sofort schoss Röte in mein Gesicht. Es war eine Hose, genauer gesagt eine Bikinihose. Ein sehr knappes Teil.. Wenn das so weiterging, konnte ich mich gleich hier verkriechen.

Die Kleiderordnung hatte ich ja komplett vergessen.

Ich griff noch einmal hinein und hatte dann das passende Oberteil dazu in der Hand. Angeekelt schmiss ich es weg. War ich im Bordell gelandet? Noch einmal griff ich in die Kiste, doch das nächste Teil war nicht besser. Allerdings fiel mir ziemlich schnell auf, dass diese Teile einfach so hineingeschmissen worden waren. Hin und wieder fehlte ein Unterteil oder Oberteil von einem Set, was die Suche nicht viel einfacher machte.

Je weiter ich jedoch nach unten kam, desto ordentlicher waren die Kleidungsstücke. Außerdem wurde die Auswahl deutlich besser. Ich entschied mich schließlich für einen Sportbikini, der schwarz war. Das Oberteil war mit blauen Pflanzen bedruckt, die Hose dazu hatte eine hohe Taille und war daher nicht zu kurz. Trotzdem fühlte ich mich ziemlich unwohl, weshalb ich meinen Hoodie wieder überzog.

Und was jetzt?

Wollte ich wirklich noch das Gebäude erkunden gehen? Irgendwie war mir die Lust dazu vergangen. Doch hierbleiben wollte ich auch nicht, was blieb mir dann noch anderes übrig? Vielleicht fand ich ja irgendetwas, was mich ablenken konnte. Bestimmt gab es hier Bücher oder Spiele. Also raffte ich mich auf und verließ mein sicheres Versteck. Eines fiel mir sofort auf, als ich die Tür öffnete -

Es war verdammt laut.

Die Wände und Türen waren ganz schön lärmabweisend.

Warum war es so laut?

Ich war mir sicher, dass ich das in weniger als fünf Minuten herausfinden würde. Also begab ich mich auf die Reise, irrte durch Flure und fand dann schließlich die Fahrstühle, die natürlich immer noch funktionierten. Zuerst entschied ich mich für das Erdgeschoss, da von dort die meiste Geräuschkulisse kam. Bestimmt gab es dort etwas, was mich beschäftigen konnte.

Tatsächlich war die Atmosphäre komplett anders, als die Fahrstuhltüren aufgingen. Es roch nach Alkohol und Schweiß. In der Lobby tummelten sich so einige Menschen, darunter auch Pärchen, die keine Scheu zeigten, vor aller Öffentlichkeit rumzumachen. Ich senkte sofort den Blick, um nicht allzu viel sehen zu müssen und folgte einfach der Musik.

Sie führte mich nach draußen. Trotz der Abenddämmerung waren alle dabei, ausgelassen zu feiern und ihren Spaß zu haben. Es war verrückt. Hier war die Stimmung so, als würden wir uns nicht in einer ernsten Situation befinden und jede Nacht um unser Leben kämpfen.

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht einfach den Kopf zu schütteln. Welches Mittel hatte Hatter den Menschen bitte verabreicht? Es war jedenfalls nicht Vertrauen - oder?

Gerade, als ich mich umdrehen wollte, wurde ich angestupst. "He- Hey Ayumi...", ein angetrunkenes Mädchen klammerte sich an mich. Ich schauderte.

"Ich bin nicht Ayumi", erwiderte ich laut und versuchte, sie von mir zu schieben, doch sie bewegte sich keinen Zentimeter.

"Komm, Komm mit! Du hascht unsch dosch versproschen, dasch du unsch nosch weitere Geschischten erzählst!", sie lallte und lachte dann, "Von, von deiner Schwester, die ihr Leben nischt auf die Reihe kriegt!" Jetzt war ich hellhörig geworden.

"Was?", wollte ich deshalb wissen und versuchte, nicht allzu laut zu werden.

"Na, deine Schwester! Die, die es nischt mal geschafft hat, einen vernünftigen High School Abschluss zu bekommen und stattdessen diesen ollen Traum hatte, Model zu werden! Aber sie wurde dosch nischt angenommen!", sie kam mir mit ihrem Gesicht immer näher. Ich wich aus, doch sah nur noch rot.

Ein Leben... Entstanden aus der Lüge und dem Erfolg eines anderen. Seine Worte kamen mir sofort in den Sinn. Das hatte er gemeint. Ayumi... Sie hatte sich meine Identität unter den Nagel gerissen, meine Erfolge genommen und als ihre eigenen ausgegeben!

Warum war ich nicht schon früher darauf gekommen? Ich hätte ihr es zutrauen können, sie würde alles machen, um an die Spitze zu gelangen oder um im Mittelpunkt zu stehen. Auch wenn andere zu Schaden kamen, Hauptsache sie zog ihre Gewinne.

Es tat weh.

All das, was ich aus eigener Kraft geschafft hatte, war mir weggenommen worden. Und sie würde alles dafür tun, damit ich mich nicht verplapperte. Kein Wunder, dass ihr Gesicht so entgleist war, als sie mich gestern sah!

Warum hatte ich nur hier aufkreuzen müssen! Wäre ich an jenem Tag weggerannt, wäre es nicht passiert! Hätte ich mein Handy nicht verloren, wäre ich jetzt irgendwo in Tokio unterwegs und hätte sie nie wieder gesehen! Dann wäre es mir auch egal gewesen, dass sie mein Leben als ihres ausgab!

Ich schaffte es endlich, mich von der betrunkenen Frau loszureißen und starrte sie kühl an. "Ich bin nicht Ayumi. Ich bin Ayuna", und mit diesen Worten ließ ich sie stehen. Ich drehte mich auch nicht mehr um, sondern stapfte einfach wieder in die Lobby.

Im selben Moment schellte eine laute Glocke, ich schätzte, dass es der Feueralarm war. Und dann wurde es laut. Lauter als zuvor. Ich schluckte, als plötzlich von allen Seiten Menschen kamen. Die Menschenmasse drückte sich immer weiter zusammen und ich bemerkte die Panik, die sich langsam in mir breitmachte.

Ich musste hier raus! Es war viel zu eng!

Außerdem ging mir das Gekreische auf das Trommelfell. Die ganze Zeit jubelten sie, als wäre gerade das Beste in ihrem Leben passiert. Und dann wurde es schlagartig still. Erst jetzt bemerkte ich, dass neun Personen auf der Empore standen.

Ein Augenpaar musterte mich in der Menge. Ich wusste genau, wem es gehörte. Mein Verdacht wurde bestätigt, als ich der Person in die Augen sah.

Er verzog seinen Mundwinkel wieder zu seinem überheblichen Grinsen. Ich konnte einfach nicht herausfinden, was er dachte und wie er handelte.

Er schien wie ein Rätsel, was ich einfach nicht lösen konnte.

The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now