Ein Blick in seine Karten

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Es musste ein erschreckender Anblick gewesen sein, als ich die Lobby betreten hatte.

Von oben bis unten blutverschmiert, eine Plastiktüte in der Hand...

Die anderen Leute sahen mich mit großen Augen an, während ich andächtig durch das Foyer schritt und meinen Weg zum Poolbereich bahnte. Ich wusste, dass sie dort war. Sie war um diese Zeit immer bei der Bar, um sich ein paar zu viele Shots reinzudrücken.

Natürlich hatte ich Recht. Dort saß sie und scherzte mit Niragi, der aber ein wenig abwesend zu sein schien. Ich würde gerne wissen, was wohl in seinen Gedanken vorging.

Die feiernden Personen wichen von mir und ich konnte ungehindert zu meinem Ziel vordringen.

Eines konnte ich wirklich sagen. Ihr Gesicht war es wert. Sie sah mich an, als hätte sie einen Geist gesehen. Doch so schnell dieser Ausdruck da gewesen war, desto schneller war er auch wieder verschwunden.

"Ayuna. Ha, was hast du denn gemacht!", Niragi war der Erste gewesen, der den Mund öffnete. Es wurde auf einmal ungewöhnlich still. Alle warteten darauf, was passieren würde.

"Du hast dich verrechnet, Ayumi", ich ging erst gar nicht auf seine Stichelei ein. Nein, ich wollte seine Stimme nicht hören. Er hatte den Schuss abgefeuert, er hatte sie auf dem Gewissen.

"W-W-Was? Ich weiß nicht, was du meinst", sie war unruhig geworden und ein Lächeln spielte sich um meine Lippen. Ich hatte die Karten in der Hand, das wusste sie.

"Du bist echt eine fiese Nummer, weißt du das, Schwester? Einfach zu versprechen, mit ihm in die Kiste zu springen, wenn er dir mein Leben bringt... Tsk Tsk Tsk, aber was soll ich sagen, du warst schon immer eine Lügnerin", ohne Witz, ich war stolz, dass ich so einen heftigen Übergang gefunden hatte. Ayumi lief rot an und ich wusste, dass jetzt der letzte Teil kommen würde.

Meine Warnung.

Ich schmiss ihr die Tüte in den Schoss und sie sah mich an, bevor sie den Inhalt inspizierte. Sofort schrie sie grell auf und die Tasche fiel zu Boden. Leider "rollte" der Inhalt hinaus. Und so kam es, dass eine Massenpanik ausbrach, weil plötzlich ein körperloser Kopf auf dem feinen Marmorboden lag. Blut floss noch immer aus dem abgetrennten Körperteil und ich grinste.

Ja, es hatte mich allerhand Überwindung gekostet, aber das war es mir Wert. Niragi starrte mich schelmisch an, während alle anderen panisch umherrannten. Was ging denn jetzt schon wieder in seinem Kopf vor - obwohl... ich glaube, dass es besser war, wenn ich es nicht wusste. Er sollte mir fern bleiben.

Ich wandte mich schließlich ab. "Vergesse es nicht, Ayumi... Du magst mir vielleicht in den Rücken gestochen haben, aber noch einmal werde ich es nicht zulassen. Noch einmal werde ich mich nicht kontrollieren lassen", murmelte ich ihr durch das Gewusel zu und sie sah mich mit hasserfüllten Augen an.

Dann wandte ich mich ab. Schritt für Schritt entfernte ich mich von der Szene, während das Militär versuchte, endlich Ruhe in die Panik zu kriegen.

Ich war zufrieden. Es hatte alles so geklappt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Jetzt konnte ich die Karte wegbringen, auf mein Zimmer gehen und -

Auf einmal zerrte mich jemand ins Treppenhaus. Ein Blick, dann wusste ich genau, dass es Kuina war.

"Ayuna...", sie sah mich an, "Was machst du nur für Sachen! Ich würde dich ja gerne in den Arm nehmen, aber ich glaube, das lassen wir jetzt erst einmal. Du müffelst..." Sie verzog ihre Nase und ich sah zu Boden. Wieso war sie so ruhig? Warum machte sie mir keine Vorwürfe? Sie bemerkte meine Reaktion und eine Hand legte sich auf meine Schulter.

"Sakusa hatte gewusst, dass sie auf einem dünnen Eis steht, Ayu. Mach dir keine Vorwürfe, hörst du?", was meinte sie damit? Welches dünne Eis? "Wir stehen alle auf einem dünnen Eis. Es hätte jeden treffen können. Mich, Chishiya, ja selbst sogar Aguni! Es war eine doofe Ausgangssituation, keine Frage, aber Yuki hat es nicht bereut", fügte sie hinterher und ich schluckte. Ich hätte heulen können...

"Na komm, am besten bringst du die Karte erst einmal weg. Und dann kommst du mit. Chishiya und ich, sowie ein paar andere Menschen möchten mit dir reden", schlug sie vor, während sie mich die Treppe hochzerrte. Auf einmal war ich so müde...

Die Kartenüberreichung war nur kurz. Ich gab sie Aguni, da Hatter am Schlafen war. Anscheinend spielte er morgen und gönnte sich deshalb noch ein wenig Ruhe.

Dann folgte ich Kuina, wobei ich mich mit jedem Schritt unwohler fühlte. Das Blut an meinem Körper trocknete ein und der metallische Gestank ging mir einfach nicht mehr aus der Nase. Seufzend drückte ich mich durch die bekannte Tür in das große Zimmer von Chishiya. Kuina achtete darauf, dass die schwere Zimmertür wieder hinter ihr geschlossen war. Und dann...

...wurde ich neugierig von zwei neuen Augenpaaren angestarrt. Es waren die beiden Personen, die ich schon mit Kuina zusammen gesehen hatte. "Darf ich vorstellen: Hayashi Ayuna", stellte Chishiya vor, "Ayuna: Das sind Arisu Ryohei und Usagi Yuzuha." Was zum Teufel ging hier vor?

"Mensch Chishiya! Du bist so verdammt unsensibel! Lass Ayu doch erst einmal duschen!", meckerte Kuina hinter mir und warf mir ein Handtuch in sein Badezimmer. Er nickte nur leicht, bevor ich mich entschuldigend verbeugte und dann verschwand, um endlich von diesem Gefühl befreit zu werden.

Das ganze Badezimmer roch nach ihm. Es machte mich verrückt. Um mich abzulenken, schaltete ich den Wasserhahn an.

Es kam...heißes Wasser?!

Hatte die Führungsrege wirklich dieses Privileg?

Irgendwie war ich neidisch...

Schnell streifte ich meine Kleidung ab und sah zu, dass ich fertig wurde. Zum Glück hatte Kuina an alles gedacht und mir Wechselsachen mitgenommen, die ich dankbar überzog. Im Spiegel begutachtete ich meine Seite, die noch immer leicht blutete, aber sonst in Ordnung war.

Dann gesellte ich mich zurück zu den anderen.

"Wir werden zusammen die Karten stehlen und dann vom Beach verschwinden", hörte ich in jenem Moment und zuckte merklich zusammen. Verdammt, mussten wir wirklich immer ähnliche Ideen haben? Gut, das mit den Karten hatte er sich überlegt, aber der Fluchtversuch war ein ähnliches Konzept, welches auch ich verfolgte. Naja, wenigstens kriegte ich jetzt einen Ansatz geliefert.

Chishiya hatte wirklich alles durchdacht: wie er Arisu einsetzen würde, um die Karten zu bekommen, wie er Kuina und Usagi Wache halten ließ... Er sagte es nicht, aber in seiner Formulierung war etwas heraushörbar, wenn man sich konzentrierte. Da gab es noch etwas, was er nicht offenlegte, etwas, was er ihnen bewusst verschwieg.

Was plante er? Und warum zum Teufel musste ich bei diesem Plan an seiner Seite stehen?

"Hatter wird das heutige Spiel nicht überleben. Mit dem Militär an der Spitze wird es hier ungemütlich werden, das versichere ich euch", schloss Kuina ab und ich lehnte mich zurück. Wie konnten die beiden nur schon so weit vorausdenken?

"Wir werden euch helfen."

Usagi und Arisu würden also in dem gefährlichen Plan mitwirken. Chishiya meinte anschließend, dass wir uns noch einmal treffen müssten, wenn es so weit war. Vorher würde der Code an den neuen Anführer vermittelt werden, davor konnte man nur abwarten.

Ein Risiko? Höchstwahrscheinlich.

Und doch stimmte auch ich zu. Was blieb mir denn anderes übrig, alleine würde ich aus diesem verzweigten Business nicht herauskommen.

So gingen wir mit dem Wissen auseinander, dass wir uns schon bald wieder um diesen runden Tisch befinden würden.

Und als dann abends die Nachricht kam, war ich mir zu hundert Prozent sicher: Meine Tage am Beach waren nun gezählt.

Hatter war in seinem letzten Spiel verstorben.

Damit konnte unser Plan beginnen...

The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now