Das ungeplante Wunder

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Ich hätte wissen müssen, dass es ein unangenehmes Telefonat werden würde, als mein Handy mitten in der Besprechung klingelte.

Ich biss mir auf die Zunge, als ich sah, dass es mein Vater war, der mich anrief. 

Das machte er extra...

"Hayashi-san? Warum gehen Sie nicht ans Telefon?", wollte Tomoki-san wissen und ich nickte entschuldigend, bevor ich den grünen Hörer drückte. 

Ohne Spaß, ich hätte darauf verzichten können - warum hatte ich den Klingelton nicht ausgestellt?

"Ayuna!", er brüllte fast durch den Hörer, als ich das Gespräch annahm. Ich musste mein Handy ein wenig weghalten, damit ich kein Ohrklingeln bekam. 

Ich sah ihre fragenden Ausdrücke... hastig stand ich vom Tisch auf, nickte noch einmal und verzog mich dann ans andere Ende des Raumes. Auf den Fluren war mir gerade zu viel los.

"Was willst du!", fragte ich zischend und ich hörte, wie er Luft holte. Er war sauer, ohne Frage. 

"Was soll das, Kind?! Was meinst du damit, dass du ausziehen willst?! Du bist nicht fähig, diesen Schritt zu gehen!", aha, Mutter hatte es ihm anscheinend erst heute erzählt. Es wunderte mich, dass sie so lange dicht gehalten hatte. 

"Das hat dich nicht zu interessieren", erwiderte ich kühl, "Ich bin einundzwanzig, Vater. Außerdem habe ich schon einmal alleine gelebt." Es entstand eine kurze Pause. 

"Du bist nicht fähig", er war stur, das musste man ihm auf jeden Fall lassen. 

"Noch einmal. Ich habe euch gesagt, dass ich eure blöde Zuneigung nicht will, ihr könnt euch das Abbild einer harmonischen Familie sparen, hörst du? Ihr hattet die Chance, die habt ihr nicht genommen", meine Stimme wurde anscheinend auch lauter, wobei das nicht wirklich einen Unterschied machte, denn die vier Personen am Tisch musterten mich nun eh neugierig.

"Du bist verrückt geworden! Da haben wir es! Ich werde es nicht erlauben, dass du mein Haus noch einmal verlässt!", verdammt, er legte Druck auf meine Schultern. 

Meine Vermutung bestätigte sich. 

Wenn ich jetzt nicht auszog, würde ich nie wieder die Gelegenheit bekommen. 

"Doch, das werde ich. Und ihr steht mir wie damals nicht im Weg", meine Stimme begann zu zittern, er lachte am anderen Ende. 

"Jetzt sei kein kleines Kind, du weißt genau, dass es keine freien Kapazitäten mehr gibt", ich konnte die Schadenfreude praktisch hören. Er nutzte eine fiese Masche... 

"Doch, die gibt es", eine Stimme hinter mir ließ mich aufblicken. Hinata war auf einmal bei mir und nahm das Handy mit einem entschuldigenden Blick in die Hand. "Ayuna wird in meine WG ziehen, dort ist gestern ein Platz frei geworden", meine Kinnlade fiel praktisch auf den Fußboden und die Erleichterung ließ mich fast aus den Latschen kippen. 

Das war nicht wahr, oder? Hatte ich wirklich gerade eine Möglichkeit für einen Mietvertrag bekommen?

Stimmt... Hinata hatte gestern so etwas erzählt.

"Was fällt Ihnen ein? Wer sind Sie?", ich hörte ihn wieder brüllen. Hinata sah mich mit einem besorgten Blick an und ich nickte einfach nur tapfer, bevor ich das Handy wieder in die Hand nahm. 

"Das ist nicht wichtig. Du hast gehört, was sie gesagt hat. Ich werde so schnell wie möglich ausziehen - und wenn ihr mich dabei hindern solltet, dann wird das Konsequenzen haben. Hört endlich auf, euch immer in mein Leben einzumischen!", dann legte ich auf.

Totenstille.

Dann fiel ich Hinata um den Hals. "Danke", flüsterte ich leise und sie erwiderte die Geste freudig. 

"Dafür nicht, ich hab eh noch nach einem neuen Mieter gesucht, zu zweit ist die Finanzierung ziemlich schwer zu wuppen", sie lächelte und ich stolperte kurz über ihre Wörter, doch dann vergaß ich meinen Gedanken schnell wieder. Stattdessen entschuldigte ich mich noch einmal für die Unannehmlichkeit und wir fuhren mit der Planung fort.

Ich bemerkte seine Blicke recht schnell. Er schien mich zu studieren, mich einzuschätzen. Es war, als könnte er alle Informationen ablesen, ohne mich auch nur einmal fragen zu müssen. 

Es machte mich neugierig.

"Also, wo waren wir stehengeblieben? Ah, genau! Die Tagesplanung. Der Hauptfokus liegt ja bekanntlich auf der Teamarbeit. Im Mittelpunkt steht hierbei die Arbeit des Arztes, also von Chishiya. Er gibt die Anweisungen und ermittelt, was genau mit dem Patienten geschehen soll. Dabei wird er besonders von der Pflegekraft unterstützt, also Obiki. Ihr werdet in der gesamten Zeit sozusagen ein Duo sein. Hayashi-san unterstützt euch dabei, indem sie aktiv mit dem Patienten arbeitet, um mental eine Stütze zu schaffen. Daiki wird ebenfalls mit dem Patienten arbeiten, indem sie die Anforderungen von Chishiya erfüllt. Ihr seht vielleicht schon, dass ein Netz entsteht. Dabei steht das Wohl des Patienten im Vordergrund. Am Ende wird von euch ausgewertet, wie das Zusammenarbeiten funktioniert hat und ob es zukünftig sinnvoll ist, immer zur gleichen Zeit zu arbeiten", Tomoki-san lächelte uns an, "Die Semesterferien finden für euch also im Krankenhaus statt. Ihr werdet euch auch hier nach Chishiya richten, der bereits einen festen Arbeitsplan hat."

Wir sahen uns an.

"Es wäre vom Vorteil, wenn ihr euch vorher schon ein wenig kennenlernt. Daiki-san und Hayashi-san scheinen sich ja schon gut zu kennen, also ist ein Duo schon einmal eingespielt. Den Rest müsst ihr unter euch regeln. Ach ja! Bevor ich es vergesse", er schob jedem von uns eine Karteikarte hin, "Hier sind die Telefonnummern von euren zuständigen Betreuern im Krankenhaus. Jeder von euch hat einen Ansprechpartner, den ihr immer um Hilfe bitten könnt. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ihr es aber trotzdem wuppen könnt. Alle von euch sind schon ziemlich weit in euren Studien fortgeschritten und ihr seid nicht dumm. Also: Zeigt, was ihr draufhabt. Ich werde euch regelmäßig besuchen", Tomoki sah uns allen noch einmal ins Gesicht, bevor er lächelte. Damit war die Vorbesprechung beendet.

Tatsächlich liefen wir alle zusammen hinaus.

"Und ich kann wirklich bei dir einziehen?", fragte ich noch einmal, als Hinata und ich nebeneinanderher schlenderten. Sie nickte erneut, bevor sie grinste. 

"Ich muss meine Mitbewohnerin noch fragen, aber sie wird auf jeden Fall nichts dagegen haben! Du kannst die nächsten Tage mal vorbeikommen und schauen, ob es dir gefällt!", erwiderte sie und reichte mir ihr Handy, "Hier, trage deine Handynummer ein, dann kann ich dich kontaktieren. Die Nummern von Obiki und Chishiya habe ich auch schon, mir fehlt nur noch deine!"

Ich konnte mein Glück kaum fassen. Das lief gerade alles viel zu gut... Kuina hatte Recht gehabt. Wunder kamen immer dann, wenn man nicht mit ihnen rechnete.

Ich wusste, dass ich heute Nacht zum ersten Mal richtig gut schlafen würde.

Wer weiß, vielleicht öffnete sich für mich gerade ein neues Kapitel, was mir sehr viel Freude bringen würde...


The Winners Take It All | ChishiyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt