Ein kleiner Sprung aus der Gewohnheit

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Als ich aufwachte, war Chishiya nicht mehr neben mir.

Verwundert setzte ich mich auf und streckte meine müden Glieder, bevor ich mit meinen Augen den Raum scannte. Just in diesem Moment kam der junge Mann zurück. Ich vermutete, dass er im Badezimmer gewesen war.

"Guten Morgen", begrüßte er mich, als er sah, dass ich wach war.

"Morgen", grummelte ich zurück. Anscheinend entschlossen wir uns beide dafür, nicht über die letzte Nacht zu reden. War vielleicht auch besser so, sonst würde ich mich den ganzen Tag nicht mehr konzentrieren können.

"Wir müssen uns beeilen. Der Pik König ist leider nicht mehr so weit von uns entfernt. Wenn wir noch länger bleiben, könnten wir voll ins Schussfeuer geraten", informierte er mich, während ich mich auf die Beine quälte und eine blonde Strähne aus meinem Gesicht strich. Ich nickte ihm zu, dann stand ich auf und streckte mich. Meine Haare waren schnell in einem Zopf zusammengebunden, meine Sachen hatte ich auch schnell zusammengesucht. Dann half ich Chishiya, die notwendigsten Dinge in kleine Stoffbeutel zu packen. Es konnte nicht schaden, wenn wir etwas Essbares oder etwas zu trinken dabeihatten. So mussten wir uns zumindest erst einmal nicht um lebensnotwendige Dinge kümmern, ein Vorteil, wenn man es so sah.

Als wir damit fertig waren, ertappte ich Chishiya dabei, wie er mich musterte. Er senkte recht schnell seinen Blick, als sich unsere Augen trafen.

So langsam glaubte ich immer mehr, dass sich in ihm etwas veränderte. Und ich wollte herausfinden, was es genau war.

"Bist du soweit?", räusperte er sich und ich zeigte ihm einen Daumen nach oben, bevor wir nach den Taschen griffen und die Wohnung verließen. Ich sah beim Verlassen noch einmal kurz zurück.

Wer weiß, vielleicht war dieser Ort ein wichtiger in der Entwicklung unseres Verhältnisses.

Ein letztes Mal sah ich zum Balkon, wo ich ihm meine Verletzlichkeit präsentiert hatte, dann zog ich die Tür hinter mir zu. Vielleicht kamen wir hierher noch einmal zurück, vielleicht auch nicht.

Chishiya führte uns an. Immer wieder sah er zum Himmel, um die Position des Pik Königs zu bestimmen. Ab und zu hatte ich Probleme ihm zu folgen, da er so flink durch die Straßen huschte. Sein Leben schien ihm also nicht mehr so gleichgültig zu sein, wie noch vor ein paar Wochen. Er spielte nicht mehr so sehr damit, wie er es vorher getan hatte.

Sonnenstrahlen kitzelten mich an der Nase und ich nieste leise, der junge Mann vor mir sah einmal kurz zu mir, nickte und wandte sich dann wieder der Wohnungssuche zu.

Ich wusste nicht, wie lange wir gesucht hatten, jedenfalls stand die Sonne hoch am Himmel, als wir endlich etwas Passendes gefunden hatten. Es war ein kleiner, alter Drogeriemarkt, der eine Wohnmöglichkeit im ersten Stock hatte. Auch hier hatten wir wieder genügend Fluchtwege. Und das Beste war, dass es in der Drogerie noch einige Snacks und Getränke gab. Wir mussten also nicht so weit laufen!

Chishiya stellte seine Tasche an der kleinen Küchenzeile ab und sah sich dann um, während ich versuchte, unsere bereits vorhandene Nahrung auf dem kleinen Küchentisch zu sortieren und zu notieren, was uns noch fehlte. Zum Glück war es aber nicht viel, das könnten wir morgen noch in aller früh besorgen. Heute sollte ich mich eher darauf konzentrieren, was ich nachher vorhatte.

Ich hatte mich dazu entschlossen, die Liebeserklärung auf eine andere Weise zu vollbringen. Schließlich hatte auch er mich ständig vor offene Fragen gestellt, jetzt war er an der Reihe, auch einmal etwas selbst herauszufinden. Ich würde ihm ein Rätsel geben, was er selbst zu lösen hatte.

Konnte er es schaffen? Bestimmt.

Konnte er die richtige Erkenntnis daraus ziehen? Ich hoffe mal.

Wenn nicht, dann...

Das wollte ich mir ehrlich gesagt überhaupt nicht ausmalen...

"Was denkst du?", wollte seine Stimme plötzlich neben mir wissen und ich zuckte zusammen. Verdammt, ich hatte ihn überhaupt nicht gehört! War ich etwa wieder so vertieft in meinen Gedanken gewesen, dass er sich unproblematisch hatte anschleichen können?

"Alles gut", erwiderte ich und eine Gänsehaut schlich sich auf meinen Rücken, weil sein Atem durch meinen Nacken strich. Das schaffte auch nur er!

"Mmh", erwiderte er und ließ von mir ab, "Du denkst also, dass alles gut ist?" Ich hatte das Gefühl, dass er gleich wieder eine miese Masche ziehen würde. Und ich sollte Recht behalten.

"Warum hast du dann die Chips aufgemacht, danach aber gleich wieder weggestellt?", ertappt blickte ich zu Boden. Ich hatte das echt gemacht? Wie peinlich...

Schnell schaute ich zum Tisch und Überraschung, er hatte mich ausgetrickst. Ich war wieder in seine Falle getappt. Er schmunzelte.

"Du musst wirklich tief in Gedanken gewesen sein, wenn du nachschaust, ob du das wirklich getan hast", schlussfolgerte er und lehnte sich an die Küchenzeile. Ich sah ihm mit zusammengekniffenen Augen dabei zu. Er schien mich immer besser verstehen zu können, das machte mir ehrlich gesagt ein wenig Angst, auch wenn ein wohliges Gefühl der fade Nachgeschmack war.

"Vielleicht war ich das, ja", meinte ich, "Aber es ist nicht wichtig. Zumindest noch nicht jetzt." Ich stellte das letzte Nahrungsmittel auf den Tisch. Dann drehte ich mich zu ihm um.

"Hör mal Chishiya", begann ich. Jetzt wurde es ernst. "Ich werde gleich ein weiteres Spiel spielen gehen." Er sah mich an, als hätte ich irgendeinen komischen, bunten Hut auf dem Kopf. Ich musste bei seinem Gesichtsausdruck beinahe lachen.

"Warum?", wollte er wissen. Es klang aber nicht so, als wäre er gegen meine Entscheidung. Nein, er wollte einfach nur wissen, warum ich es tat. Es war pure Neugierde.

"Ich weiß nicht. Es ist einfach nur so ein Gefühl, dass es richtig wäre", erklärte ich ihm, "Es kam, als ich Ayumi gesehen hatte." Er schien zu überlegen. Dann nickte er.

"In Ordnung, ich werde heute nicht spielen", sagte er und ich nickte.

Jetzt war es soweit.

Ich stieß mich vom Tisch ab und ging zur Küchentür. Dann drehte ich mich noch einmal zu ihm um.

"Chishiya?"

"Mmh?

"Zufällig sieht man sich, man fühlt, man bleibt. Und dann wird man verflochten."

Ich konnte seinen Blick nicht mehr sehen, da ich so schnell wie möglich aus dem Raum geschlüpft war. Jetzt lag es an ihm, das Rätsel zu lösen. Ich hatte ihm den nötigen Stupser gegeben, er musste den Rest jetzt selber mit sich ausmachen.

Und wenn ich wieder kam, hoffte ich auf eine Antwort.

Während ich das Gebäude verließ, zog ich meine Jacke über. Es war frisch geworden. Dann blickte ich noch einmal hoch zum Küchenfenster, als ich die Straße entlanglief.

Dort stand er und sah mir nach.

Ich blickte schnell wieder zu Boden. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

Oh, ich konnte es nicht abwarten, wieder herzukommen.

Ich wollte wissen, ob er eine Antwort hatte.

Aber jetzt... jetzt hatte ich erst einmal etwas anderes zu erledigen.

Langsam blickte ich zum Himmel.

Dort war es, das Luftschiff, nach welchem ich gesucht hatte.

Karo Königin, ich komme!

The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now