...und ich versuche, es zu ignorieren

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Der sicherste Ort schien für mich das Dach zu sein.

Dort würde ich erstens alles beobachten können, zweitens war es eher unwahrscheinlich, dass sich jemand hierher verirrte.

Zur Sicherheit ließ ich mich aber trotzdem im Schatten des kleinen Häuschens nieder, welches zum Treppenhaus führte. Keine Ahnung, ob ich vielleicht einfach nur paranoid war, aber irgendetwas sagte mir, dass alles noch viel schlimmer werden würde.

Man hörte die Schreie, die Schüsse und das Knistern eines Feuers. Ich hatte das Gefühl, die Seelen der Verstorbenen hören zu können, die vor Schmerzen schrien, obwohl es nicht so war. Es war nur Einbildung, aber mein Geist wollte diese Vorstellung einfach nicht loslassen.

Was wäre wohl gewesen, wenn Sakusa hier gewesen wäre? Auf welche Seite hätte sie sich gestellt? Die des Militärs? Oder vielleicht doch unsere? Wenn ich ehrlich war, wollte ich gar nicht genau darüber nachdenken. Sie war nicht mehr hier, also wollte ich nicht einfach über sie spekulieren und vielleicht dann sogar zu einer falschen Antwort kommen.

Das wäre nicht fair - die Toten sollten Ruhe finden.

Ob es Kuina und Chishiya gut ging? Und was war mit Arisu und Usagi? Jetzt, wo ich trotz des Spiels ein wenig Ruhe fand, konnte ich meine Gedanken nicht mehr unterdrücken. Die Gefühle schwappten wieder über und drohten, mich komplett aus der Bahn zu werfen.

"Feuer! Feuer!", unten brach ein weiterer Schub an Panik aus. Anscheinend brannte es im Hotel. War es jetzt überhaupt noch sicher auf dem Dach?

Ich wurde aus meiner unaufmerksamen Phase gerissen, als die Tür quietschte. Verdammt, ich hatte mich geirrt, als ich sagte, dass niemand anderes mehr herkommen würde.

Und ausgerechnet Niragi hatte mir das Gegenteil bewiesen. Da hockte er nun, während er seinen Gewehrlauf auf die Menschen hielt, die aus dem Gebäude flüchteten und nun draußen nun wegen seinen Kugeln ihr bitteres Ende fanden.

Würde ich es schaffen, ihn vom Dach zu schubsen? Wäre das wenigstens eine kleine Erlösung? Nein, ich konnte es nicht riskieren. Es wäre mein Tod! Er war stärker als ich, außerdem kannte ich nur einen Bruchteil seiner Fähigkeiten. Das war es nicht wert.

Ich konnte nur abwarten und im wahrsten Sinne des Wortes "Tee" trinken.

Und so saß ich hinter dem Häuschen, während er lachend Menschen abknallte, als wären sie die Luftballons in einer Schießbude. Ich war mir nun wirklich sicher, dass mit diesem Typ etwas nicht stimmte.

Die Tür wurde erneut geöffnet und der wildgewordene Niragi ließ den Menschen für einen kurzen Moment die Chance, ein sicheres Plätzchen zu finden - wenn es überhaupt eines gab.

Ich wagte es, einen kurzen Blick auf den neuen Besucher zu erhaschen. Mein Blut gefror, als ich sah, wer es war.

Chishiya.

Er stand dort, dabei wirkte er so harmlos wie ein kleines Kätzchen - so musste es jedenfalls für fremde Personen aussehen. Doch ich sah die lodernde Flamme in seinen Augen. Er hatte einen Plan, dass bemerkte ich sofort. Und ich war mir sicher, dass ich es gleich herausfinden würde.

"Chishiya", Niragi rollte seinen Namen. Er klang nicht erfreut. "Was machst du hier?", er wollte sich wieder seinem "Spiel" zuwenden, doch Chishiya ließ das nicht zu.

"Das gleiche könnte ich dich auch fragen, Niragi", er machte eine Pause, "Jemand hat die Stromversorgung wieder auf den Hauptgenerator geschaltet. Es gibt einen Verräter im Beach." Niragi verzog sein Gesicht.

"Spielst du darauf an, dass die Hexe und der Verräter die gleiche Person ist?", er lachte, "Ich bin aber keines von beidem!" Chishiya grinste und anscheinend fühlte sich Niragi dadurch angegriffen. "Warum grinst du immer so? Willst du so aussehen, als ob du clever wärst, oder was?", er schien sich selber lustig zu finden. Chishiya grinste umso mehr.

"Ich bin clever", antwortete er einfach und der andere Mann spuckte aus.

Plötzlich hielt er inne: "Mmh, würdest du auch noch so auf dicke Hose machen, wenn ich sie mit ins Spiel ziehe?" Im nächsten Moment schlug eine Kugel direkt neben meinem Kopf in die Wand ein. Ich zuckte nachträglich zusammen.

Er hatte es gewusst, dass ich hier verweilt hatte. Seit wann?

"Komm raus, komm raus, Shorty! Keine Angst! Oder soll ich dir vielleicht doch noch eine Kugel in den Kopf jagen?", er gab mir die Wahl, wie nett von ihm. Langsam kam ich hinter der Wand hervor und schlenderte auf die beiden zu. In der Mitte von ihnen blieb ich stehen. Chishiya, als auch Niragi, beäugten mich mit einem selbstlosen Blick. Ich erwiderte einfach nichts.

"Und? Jetzt schon kalte Füße?", fragte Niragi erneut und Chishiya schüttelte den Kopf.

"Nein", meinte er und ich versuchte, nicht allzu verletzt zu wirken. Was hatte ich auch erwartet?

"Na gut, dann sollte es auch kein Problem sein, wenn ich sie jetzt abknalle, oder?", er richtete sein Gewehr auf mich, im selben Moment rannte Chishiya los.

Er warf die Karten in die Luft und Niragi riss die Augen auf.

"Wann hast du-", wollte er wissen, während er seine Waffe auf Chishiya richtete.

Er hatte das Gewehr, während der andere plötzlich - eine WASSERPISTOLE? ERNSTHAFT!?

Was sollte das denn bringen? Genau das fragte sich Niragi anscheinend auch gerade, denn er lachte die Situation einfach weg und wollte gerade abdrücken, als ihm plötzlich eine Feuerwand entgegen kam.

Nicht nur ihm... sondern auch mir! Ich stand im Weg!

Im letzten Moment bückte ich mich, doch die Spitzen meiner Haare hatten leider auch Feuer gefangen. Sie heißen Flammen knisterten, ich spürte die Panik, die in mir aufloderte. Die Hitze kroch mir in den Nacken, doch ich konnte mich nicht rühren - meine Muskeln hatten blockiert.

Chishiya war doch verrückt: Einen Flammenwerfer? Wie hatte er das denn so schnell geschafft?

Niragi taumelte zum Dachrand, laut schreiend und fluchend.

Und dann... fiel er herunter.

Doch das bekam ich kaum mit, da ich plötzlich zu Boden geworfen und wie verrückt gewälzt wurde. Ein verbrannter Geruch stieg mir in die Nase und ich wusste, dass die untere Hälfte meiner blonden Haare nicht mehr blond, sondern schwarz war.

"Danke für die neue Frisur", merkte ich ironisch an und er grinste einfach nur, bevor er mir hoch half.

"Was machst du hier?", fragte er mich neugierig, als wir gemeinsam die Karten einsammelten.

"Ich wollte nicht unten bleiben, also schien dieser Ort für mich der sicherste zu sein. Aber anscheinend hatte ich mich geirrt", erwiderte ich einfach nur und gab ihm die letzten Karten zurück. Ganz oben lag die Herz 9, welche wir gespielt hatten. Ich starrte sie ein wenig zu lange an.

Sie rief unangenehme Erinnerungen in mir hervor.

"Du hast Angst."

Er sprach erneut aus, was ich versucht hatte, zu verdrängen. Ich hatte es nicht wahrhaben wollen. Doch seit unserem letzten Herzspiel hatte ich eine riesige Angst, dass ich noch einmal so leiden müsste.

Ich war davon ausgegangen, dass die Herz 10 genauso sein würde.

"Ja", gab ich deshalb zu, "Ist das schlimm?" Er hatte keine Antwort für mich, beziehungsweise wollte er mir keine geben. Stattdessen wandte er sich ab und nickte in Richtung Tür.

"Komm, die Show fängt jetzt erst an", sagte er einfach und verschwand wieder ins Innere. Ich warf noch einen Blick zurück in den Nachthimmel, dann folgte ich ihm.

"Wenn du da bist, habe ich plötzlich keine Angst mehr..."

The Winners Take It All | ChishiyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt