Eisblaue Augen

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"I don't want to be a murderer..."

Wie lange hatte ich das Lied jetzt schon gehört? Drei Stunden? Oder waren es vielleicht doch schon fünf gewesen?

Rihannas "Unfaithful" passte einfach zu sehr zu meiner Situation. Es war, als würde die Sängerin meine Gedanken laut aussprechen.

Ich hatte die CD in meinem Nachtschrank gefunden. Eigentlich hatte ich sie nur in den alten CD-Spieler gelegt, um mein Weinen zu übertönen, doch irgendwie hatte mich die Musik in eine Starre versetzt.

Ich war seit ihrem Tod nicht mehr aus meinem Zimmer herausgekommen. Ich traute mich einfach nicht, Kuina wieder unter die Augen zu treten. Nein, eigentlich wollte ich keinem mehr in die Augen sehen. Ich würde die Blicke nicht mehr ertragen.

Ich hatte sie enttäuscht. Sakusa war wegen mir gestorben, nur, weil sie kein Alibi hatte. Und meine kaltherzige Zwillingsschwester war der Auslöser gewesen.

Noch nie hatte ich mehr Hass gespürt.

Das Lied setzte erneut an. Doch dieses Mal stand ich auf und schaltete den CD-Spieler ab. Dann schlurfte ich zum Fenster und blickte kurz hinaus. Es war Sonnenuntergang. Nicht mehr lange, dann würden die Spiele beginnen. Auch ich müsste heute wieder los, mein Visa war komplett verbraucht. Eigentlich wollte ich nicht spielen...

Ich hatte ihr versprochen, für uns beide zu überleben.

Es zerbrach mir umso mehr das Herz, wenn ich dieses Versprechen nicht halten konnte. Ich würde spielen, ich würde überleben. Ich würde keine Schwäche mehr zeigen...

Ich betrat das Badezimmer und warf nur einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Ich wusste ganz genau, dass ich schrecklich aussah. Strähnige Haare, rote Augen, blasse Haut - mein Anblick vermittelte nicht gerade das Bild, dass ich eine starke Spielerin sein wollte.

Doch es war mir im Moment egal. Müde griff ich nach den Sachen, die auf dem Badewannenrand schlummerten. Ein schwarzer Pulli und eine kurze Sportshorts - alles Kleidungsstücke, die ich mir von Sakusa ausgeliehen hatte. Ich würde sie nie wieder zurückgeben können...

Ich hätte weinen können, als ich die Sachen überzog, doch es kamen keine Tränen mehr. Das dumpfe, leere Gefühl blieb. Es tat so weh...

Der Feueralarm signalisierte, dass es so weit war. Hatter rief zu den Spielen auf. Ich war zwar noch nicht bereit, aber legte trotzdem meine Hand auf die Klinke. Dann trat ich auf den Flur und schloss die Tür wieder sachte hinter mir. Mit kleinen Schritten huschte ich das Treppenhaus hinunter. Es war schon viel los, weshalb ich schnell untertauchen konnte.

Die beste Variante, um neugierigen Blicken auszuweichen.

Ich erhaschte einen kurzen Seitenblick auf Chishiya, der auf der Empore stand. Und auch Kuina sah ich, die mit einem fremden jungen Mann zu sprechen schien. Neben ihm stand eine junge Frau. Sie sah athletisch aus und trug ihre Haare eher kürzer.

Wahrscheinlich wieder Neue. An ihrer Stelle hätte ich diesen Ort gemieden.

Hatter hielt erneut seine Rede, doch jedes Wort, welches er aus seinem Mund presste, bekam einen säuerlichen Nachgeschmack. Ich verabscheute ihn immer mehr.

Er war ein Lügner - eine Person, die einen dunklen Kern hatte, welchen man nicht sehen konnte.

Hatte es echt so lange gedauert, bis ich es endlich mal begriffen hatte? Hatte erst etwas passieren müssen, damit ich wirklich einen Grund bekam, dieser Utopie nicht mehr zu folgen?

"... Also holt euch die Karten!", mit den Abschlussworten setzte sich wieder alles in Bewegung. Erschreckend, wie vertraut mir diese Sache schon war...

The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now