Short Story: Ein kleines Wunder

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Die Übelkeit kam schneller als ich bis drei zählen konnte.

Der Auslöser war meine Bento-Box, die im Pausenraum vor mir lag. Der strenge Geruch meines Mittagessens, welches ich mir heute Morgen noch schnell zusammengewürfelt hatte, ließ mich würgen.

Obiki, der mit seinem Handy gegenüber von mir saß, sah mich stirnrunzelnd an, als ich überstürzt aufsprang und dabei fast über meinen Stuhl stolperte, während ich die Toilette anvisierte.

Keine Sekunde zu früh, im nächste Augenblick landete mein Frühstück in der Kloschüssel. Alles was blieb, war der saure Geschmack auf meiner Zunge, der mich erneut würgen ließ.

Es war seltsam: die letzten Tage hatte ich mich schon komisch gefühlt. 

Immer, wenn ich aufgestanden war, hatte ich ein unangenehmes, flaues Gefühl im Magen gehabt. Shu hatte ich davon nichts erzählt, gestern Morgen hatte er mich aber trotzdem darauf angesprochen, weil ich so blass gewesen war. 

Ich hatte schulterzuckend gesagt, dass ich mir wahrscheinlich einfach nur irgendeinen blöden Virus eingefangen hatte.

Mittlerweile war ich mir aber nicht mehr so sicher. 

Es war kein Virus, das spürte ich. Ich fühlte mich eigentlich ganz normal, nur mein Magen spielte ein wenig verrückt. Vielleicht sollte ich Shu einmal darum bitten, einen Allergietest bei mir durchzuführen, immerhin war er nun endlich ein "richtiger" Arzt. Vor einem dreiviertel Jahr hat er seine Zulassung erhalten und befand sich nun in seiner Weiterbildung.

"Ayu?", die Tür zur Frauentoilette öffnete sich und ich wusste, dass es Hinata war, die soeben den Raum betreten hatte. Schnell wischte ich mir den Mund ab und spülte die halb verdauten Essensreste herunter. 

Es war besser, wenn sie es nicht herausfand - sie hatte momentan genug um die Ohren, da musste ich sie nicht auch noch mit meinen eigenen Problemen belasten.

"Ja? Was ist los?", fragte ich sie, als ich hinter der Klotür hervortrat und mir meinen Weg zu den Waschbecken bahnte. Meine Freundin sah mich an, als ich mir neben ihr die Hände wusch, doch ihr scharfer Blick entging mir natürlich nicht.

"Obiki meinte, dass du Hals über Kopf aufs Klo gestürmt bist", sie wippte mit ihrem linken Fuß auf und ab, "Was ist momentan los mit dir, Ayu? Alles in Ordnung bei dir?" Ich nickte ihr lächelnd zu. 

"Ja, mache dir keine Sorgen", erwiderte ich bevor ich meine Hände trocknete und ihr dann einladend die Tür aufhielt. Sie blickte mich noch einmal an, bevor sie vor mir zurück in den Pausenraum schlenderte. Ich folgte ihr.

Mein Bento stand noch immer dort, wo ich es zurückgelassen hatte. Sofort wurde mir wieder übel, als ich die Bratnudeln sah. 

Nope, ich würde dann wohl heute aufs Mittagessen verzichten müssen. Schnell hielt ich die Luft an, bevor ich die Pausenbox wieder verschloss und achtlos zurück in meinen Spind warf. Vielleicht hatte Shu ja nachher noch Hunger, dann könnte ich ihm die Dose noch unterjubeln...

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Die Realisation traf mich am nächsten Tag, genauer gesagt nachmittags. 

Ich war gerade dabei, das Badezimmer in unserer Wohnung zu putzen, während Shu irgendwo in der Küche war und über irgendwelchen Patientenakten brütete.

Auslöser dieser plötzlichen Erkenntnis waren meine Periodenprodukte, die ich während des Aufräumens in der Hand hatte. Ich saß bestimmt mehrere Minuten auf dem kalten Fußboden, während ich versuchte, meinen Zyklus durchzugehen.

The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now