Wie eine weiße Katze

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Ich war nun noch mehr paranoid als vorher.

Seit ich von diesem Typen verfolgt worden war, fand ich keine Ruhe mehr, ja, ich bildete mir sogar ein, dass er doch noch wiederkommen würde. So traf ich nach zwei Tagen den Entschluss, dass ich umziehen würde. Ich redete mir ein, dass es helfen würde, wenn ich den Ort wechselte. Dann könnte sich meine Fährte verwischen, sagte ich mir.

Und so kam es dazu, dass ich auf einmal mittig in Shibuya stand, meine kleinen Besitztümer hielt ich fest an mich gepresst. Wo sollte ich jetzt am besten hin? Ich hatte die freie Auswahl. Am sichersten wäre es in einer Wohnung. Aber irgendwie haderte ich. Ich fühlte mich unwohl dabei, in eine fremde Wohnung einzubrechen. Irgendwie wäre es nicht fair, in den persönlichen Raum von jemanden anderen einzudringen. Aber hatte ich eine andere Wahl?

Außerdem interessierte es eh niemanden.

Schließlich fand ich mich in einer Wohnung wieder, die in der Nähe des Shibuya Bahnhofes war. Ich hatte alle anderen Wohnungen dieses Hauses vorher auch abgesucht, doch diese hatte mir am besten gefallen. Es gab genug Fluchtwege, falls es mal zu einer Gefahrensituation kam und auch die Haustürschlüssel existierten noch. Ich versuchte, den Fotos an den Wänden nicht zu sehr Beachtung zu schenken, um wenigsten den letzten Funken an Schuldgefühlen zu löschen. Stattdessen machte ich mir etwas zu essen, auch wenn ich nicht wirklich Appetit hatte. Kein Wunder, die Ereignisse waren mir ziemlich auf den Magen geschlagen. Aber ich musste etwas Essen, wenn ich bei Kräften bleiben wollte.

Ich hatte noch drei Tage Pause, doch würde ich das durchhalten? War es vielleicht doch besser, wenn man sein Visum ein wenig aufstockte, falls man krank werden würde? Nicht, dass ich es hoffte, aber irgendwie fühlte ich mich unwohl, dass ich nur so wenig Tage auf dem Konto hatte.

Also traf ich die Entscheidung. Ich würde heute Abend wieder spielen.

Ich verbrachte den restlichen Tag damit, Bücher zu lesen, die ich gefunden hatte und Sachen aufzuschreiben, die ich noch aus der letzten Vorlesung meiner Uni wusste. Ich wollte vorbereitet sein, falls ich einen Weg fand, wie ich zurück in die echte Welt kam.

Als es dann Abend wurde, zog ich meine Sportklamotten wieder an und band meine Haare zusammen, bevor ich angestrengt aus dem Fenster starrte. Von hier hatte ich eine gute Aussicht. In ein paar Minuten würden die Lichter angehen, dass hatte ich herausgefunden, als ich die letzten Abende meine Armbanduhr beobachtet hatte. Es war immer die gleiche Zeit.

Und so wartete ich. Natürlich fiel mir die Unruhe auf, welche sich erneut in mir ausbreitete. Ich würde mich wohl nie daran gewöhnen können.

Und tatsächlich: Die Lichter gingen wieder zur gleichen Zeit an. Ich schaute direkt auf eine Location: Bahnhof Shibuya. Super, ich hasste Bahnhöfe. Aber ich raffte mich trotzdem auf, griff nach meinen Schlüsseln und machte mich auf den Weg.

Jeder Schritt nach draußen war schwer, für einen kurzen Moment glaubte ich, dass ich doch alles hinschmeißen sollte, doch ich zwang mich am Ende doch in Richtung Game.

Langsam ging ich über die große Kreuzung, bis ich vor dem Gebäude war. Ich schluckte, betrat das Spielgelände und... kein Piepen. Ich war also noch nicht angekommen. Im selben Moment leuchtete eine Reklametafel auf, die sich in dem Gebäude befand.

Spiel: Hier entlang!

Der Pfeil zeigte direkt auf die Treppe, die in den Schacht führte. Ich seufzte, dann setzte ich mich wieder in Bewegung und betrat die Treppe. Es piepte. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Schnell stieg ich die Treppe hinunter.

Es war noch niemand da, als ich kam. Wieder griff ich nach einem Telefon und ließ mich auf einer der Bänke nieder. Weil ich nichts anderes zu tun hatte, studierte ich den Fahrplan der Zugverbindungen. Es war ziemlich eng getaktet.

Mein Blick wendete sich ab, als ich ein Geräusch auf der Treppe hörte. Ein junger Mann schritt sie herab, er trug einen weißen Pullover, wobei er sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Dazu hatte er eine Jogginghose an. Trotzdem konnte ich weißblonde Strähnen erkennen, die unter dem Stoff hervorlugten. Er war ein wenig größer als ich.

Mein Blick glitt sofort zu seinem Arm. Und siehe da: Ein blaues Armband lag versteckt um sein Handgelenk. Ich spürte, wie mir Schweiß auf die Stirn trat. Auch ich zog meine Kapuze auf und hoffte, dass er mich nicht gesehen hatte. Aber anscheinend achtete er nicht auf mich, denn er verschwand in einer Nische, sodass er kaum noch auffiel.

Seltsam...

Erneut trat jemand die Treppe hinunter. Anhand der Schritte erkannte ich schon, dass die Person kräftiger gebaut war. Sie schien stark zu sein. Ich wagte einen Blick und... ein Typ mit Militärhose und schwarzem Unterhemd erschien in meinem Blickfeld. Er trug schwarze Stiefel und... ein blaues Armband. Wäre ich doch heute bloß zu Hause geblieben!

5 Minuten bis zum Spielstart!

Ich versuchte, mich ein wenig kleiner zu machen, um so unauffällig wie möglich zu bleiben. Tatsächlich hatte ich Glück, man ließ mich in Ruhe. Die Aufmerksamkeit der anderen lag eher bei der Treppe, wobei der weiße Hoodie-Typ als einzige Ausnahme auf den Boden starrte. Ich zählte dreizehn Teilnehmer, davon vier mit Armband, als die letzten Sekunden liefen.

Registrierung abgeschlossen!

Das Spiel beginnt nun.

Spielname: Folgefehler

Schwierigkeitsgrad: Karo 2

Regeln:

-

Zeitlimit: -

Das Spiel beginnt in 3, 2, 1, 0

Keine Regeln? Kein Zeitlimit? Das war mir neu. Ich warf einen Blick durch den Raum. Es war nicht viel Reaktion zu erkennen, anscheinend kam es häufiger vor.

Weißer Hoodie hatte mittlerweile seine Kapuze abgenommen und stand grinsend in der Ecke. Irgendwie regte mich diese Geste innerlich auf. Auf einmal trafen sich unsere Blicke und er grinste umso breiter.

Irgendwie erinnerte er mich an eine Katze. Arrogant, dazu ein schmaler, aufmerksamer Blick... Es war, als würde er mir in die Seele starren, wie es die Haustiere auch manchmal taten. Ich senkte meinen Blick. Lieber konzentrierte ich mich auf das Spiel. Es passierte nämlich nichts.

Achtung, Teilnehmer! Der Zug fährt ein! Bitte einsteigen!

Wir sollen in den Zug einsteigen? Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gefühl dabei. Tatsächlich ertönte in der Ferne das Rattern der Bahn und ich stellte mich hin. Die Lichter tauchten auf. Wo stieg ich jetzt am besten ein? Ich entschied mich für die letzte Tür, denn dort fuhr ich normalerweise immer. Irgendwie war es eine Gewohnheit von mir.

Anscheinend war ich nicht die einzige mit der Idee gewesen, denn weißer Hoodie stellte sich zu mir. Der Militärtyp stieg in den Wagon vor uns. Andere wählten Abteile weiter vorne, aber insgesamt verteilte sich die Menge ziemlich gut. Der Zug blieb stehen und öffnete die Türen, dann stiegen wir ein.

Achtung! Die Türen schließen!

Ich fand es seltsam, dass diese Frauenstimme die Anweisungen gab. Doch in jenem Moment achtete ich nicht sonderlich darauf, sondern versuchte, so viel Abstand zwischen mich und dem Typen zu bringen, wie möglich war. Der Zug fuhr ruckartig an und ich knallte fast zu Boden. Dann wartete ich. Nichts passierte.

Etwas unruhig spielte ich mit meinen Fingern, während ich mich auf das Rattern der Räder konzentrierte. Dann ging ein Ruck durch das Abteil, die Bremsen quietschten und ich begann zu stolpern, bevor der Zug zum plötzlichen Stillstand kam. Dieses Mal war ich nicht schnell genug und fiel wirklich hin. Allerdings war ich nicht die Einzige, denn der Typ konnte sich auch nicht halten.

Oh Nein! Jemand hat die Notbremse betätigt! Der Zug kann nicht weiterfahren! Der Zugführer versucht, Kontakt zur Leitstelle aufzunehmen!

Die Leitstelle war noch nicht informiert? Das würde dann ja heißen, dass die anderen Züge noch normal fuhren... Die Taktung. Die Zeit, sie würde nicht reichen! Wenn ich mich nicht irrte, dann müssten wir jetzt eigentlich auf einem Nebengleis sein, damit andere Züge von vorne in den Bahnhof einfahren konnten. Aber da wir gebremst haben, stehen wir...

Noch genau drauf.



The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now