Heiße Luft und kalte Blicke

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Ich hatte von Zugunglücken bis jetzt immer nur in den Nachrichten etwas gesehen. In so einer Situation hatte ich mich nie befinden wollen! 

Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden wir mit einer anderen Lock zusammenstoßen... Selbst, wenn ich nur daran dachte, machte sich ein schmerzliches Ziehen in meiner Magengegend bemerkbar.

Was jetzt? Wie sollte man sich in einer solchen Situation verhalten? Ich hatte keine Ahnung - was würden andere tun? Verhindern konnten wir es nicht mehr, also blieb nur noch die Möglichkeit, dass wir uns Schutz suchten.

Ich riss mich zusammen und rannte zum Ende des Abteils, wo er stand. Er sah mich interessiert an, während ich mich flach auf den Boden legte, um den Aufprall gleichmäßig auf dem Körper zu verteilen. Ich hatte gelesen, dass man dieses Prinzip ebenfalls in Fahrstühlen anwendete, wenn dieser ungebremst in die Tiefe fiel - wer weiß, vielleicht half es uns auch hier?

Da der nächste Zug von vorne kam, hatte ich die richtige Wahl mit dem letzten Waggon getroffen, was aber nicht hieß, dass es nicht schmerzhaft werden würde. Man wusste nicht, wie schnell die andere Lok fuhr und wie weit sie unseren Zug zerstören konnte.

Es war ein Wettstreit mit dem Glück.

Hoodie tat es mir nach einer kurzen Beobachtungsphase gleich. Keine Sekunde zu spät, denn im nächsten Moment knallte es. Ich hatte das Gefühl, dass mein Trommelfell reißen würde und Tränen quollen mir in die Augen. 

Ich hatte Recht gehabt: Hier waren wir am sichersten. Mit etwas Glück würden nur die ersten Wagons in Mitleidenschaft gezogen werden. Es würden die Menschen sterben, die sich für diese Plätze entschieden hatten. 

Der Knall und die Geräusche ließen nach. Ich setzte mich auf, als ich mir sicher war, dass es vorbei war. Sofort klingelte es in meinen Ohren und mir war leicht schwindelig, aber das legte sich, als ich den Geruch wahrnahm. Es roch verbrannt.

Hoodie hatte es anscheinend auch wahrgenommen. Er stand schon wieder und hatte sich auf den Weg zur Tür gemacht, wo er versuchte, diese mit dem Notöffner zu öffnen. Es klappte nicht. Ich überwand meine Angst und versuchte, ihm zu helfen. Wir waren in einem Spiel. Die blauen Armbänder konnten nichts tun, solange sie selber überleben mussten. Auch ich betätigte den Nothahn, doch es passierte nichts.

Oh nein! Ein anderer Zug ist mit eurem zusammengerast! Schnell! Ein Feuer ist ausgebrochen, flieht, um nicht zu ersticken!

Ich spähte durch den Wagen, sein Blick lag prüfend auf mir. Dann sah ich unsere Rettung: Ein Nothammer! Wir konnten durch die Fenster entkommen! Ich rannte zu dem kleinen Ding und riss es von der Wand, bevor ich einmal kräftig gegen das Fenster haute. Es bildeten sich kleine Risse. Ich schlug noch einmal zu und die Risse wurden größer. Wenn das so weiter ging, war ich zu langsam! Ich wollte gerade noch einmal hauen, als mir der Hammer aus der Hand genommen wurde. Es war Hoodie. "Lass mich das machen", meinte er und in seiner Stimme lag Hohn. Er machte sich über mich lustig! Ich schluckte sämtliche Schimpfwörter hinunter und sah zu, wie er das Fenster mit einem Schlag zerschmetterte. Na super, war ich wirklich so schwach?

Meine Gedanken wurden aber ziemlich schnell wieder unterbrochen, als dicke Rauchschwaden in das Abteil zogen. In jenem Moment fragte ich mich wirklich, warum es ein Karo Spiel war und nicht Pik. Es war doch viel mehr Körpereinsatz gefragt! Ich bekam mit, wie Hoodie hinauskletterte und schnell folgte ich ihm. Der Tunnel war schon komplett verraucht und vereinzelt hörte ich jemanden husten. Jetzt war die Frage, in welche Richtung sollten wir gehen?

Ich wusste, dass die nächste Station nicht mehr fern war und höher lag als Shibuya Bahnhof. Aber genau war das Problem. Rauch zog immer nach oben. Also würde man an dem Sauerstoffmangel sterben, auch wenn der Weg kürzer war. Nach unten war sicherer... Aber: Es würden weitere Züge kommen. Es war riskant, aber machbar. Und deshalb lief ich los, dabei beachtete ich die neugierigen, wenn auch ängstlichen Blicke nicht, die mir folgten. Ich konnte mich noch gerade so an den Fahrplan erinnern. Das war mein Vorteil. 

The Winners Take It All | ChishiyaWhere stories live. Discover now