Volle Blase

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Ich schlucke gerade mein letztes Stück runter und trinke ein Schluck Wasser, als Paula mich wieder besorgt anschaut. Ich müsste ziemlich stark auf Toilette, aber nicht zum übergeben, sondern weil ich eine sehr volle Blase habe. Ich weiß aber auch, dass wenn ich jetzt auf die Toilette gehe, Paula wieder denkt, dass ich mich übergebe, also sitze ich es aus. Ich helfe beim Tisch abräumen und stehe dann verloren in der Küche rum, während die anderen es sich auf der Couch gemütlich machen. „Ich gehe dann mal duschen.", sagt Papa und streichelt über meinen Kopf. Ich nicke ihn zu und beobachte die Bäume im Garten, die sich zu dem Wind bewegen. Paula läuft zu mir in die Küche, um ein Lappen zu holen, damit sie den Tisch abwischen kann. Dabei sieht sie mich an und ich lächele ihr zu. Ich möchte ihr beweisen, dass ich es schaffe. Auch wenn mir das Essen etwas quer im Magen liegt, versuche ich stark zu bleiben. Nachdem sie den Tisch abgewischt hat, gesellt sie sich zu den anderen auf die Couch. Ich tippe nervös auf der Arbeitsplatte der Küche rum, weil ich nicht weiß, wie ich das Gespräch mit Paula anfangen soll. Und dann noch meine volle Blase, die das Denken nicht gerade erleichtert. Ich drehe mich um und schaue zu Alex, Paula und Phil, die sich gerade einen Film anmachen wollen. Phil sieht verwirrt zu mir. Kein Wunder, ich stehe seit fünf Minuten verloren in der Küche rum und klopfe auf der Arbeitsplatte rum. „Willst du nicht herkommen?", fragt er und nun liegen alle Blicke auf mir. „Och Nö, hier ist es auch schön.", winke ich ab und widme mich wieder den Bäumen. Nach einer halben Stunde des rumstehen oder rumlaufen in der Küche, kommt Papa von oben runter und gesellt sich zu den anderen. „Wieso sitzt Mira alleine am Küchentisch?", höre ich ihn fragen. Die anderen Zucken mit den Schultern, woraufhin Papa zu mir kommt. „Ist was oder warum sitzt du hier und starrst auf den Tisch?" „Nee alles gut. Müsste nur mal auf die Toilette.", antworte ich. Beim letzten Wort habe ich sofort die Aufmerksamkeit von Paula und Phil auf mich gerichtet. „Volle Blase.", schob ich laut hinterher und lächelte denen zu. „Und wieso gehst du dann nicht? Wir haben hier unten auch eine Toilette.", fragt er mich mit verwirrtem Gesicht. Ohne zu antworten stehe ich auf und gehe auf das Gäste-WC, welches direkt neben dem Wohnzimmer ist. Ich mache extra schnell, damit die anderen nicht auf komische Gedanken kommen. Als ich wieder das Wohnzimmer betrete, liegen Phil's und Paulas Augen sofort auf mir, welche ich gekonnt ignoriere und mich zu ihnen setze. Ich setze mich zwischen Phil und Alex und sitze ziemlich unruhig. Meine Gedanken kreisen die ganze Zeit um Paula, weshalb ich mein wackeln mit dem Bein auch nicht merke. „Kannst du mal still sitzen?", fragt Alex mit belustigtem Unterton und legt seine Hand auf mein Bein. „Mensch Mira, was ist denn los? Eben in der Küche, dann gehst du nicht auf Toilette, wenn du musst und jetzt das? Stimmt was nicht?", fragt Papa und sieht ernst zu mir. „Sie ist bestimmt aufgeregt auf morgen.", sagt Alex und sieht mich fröhlich an. „Was ist denn morgen?", fragt Phil nun verwirrt. „Hab morgen das erste mal Reitunterricht.", antworte ich auf die Frage von Phil, obwohl das gar nicht der Grund dafür ist, wieso ich so drauf bin.
Um 19:00 Uhr sitzen wir immer noch im Wohnzimmer. Papa schläft im Sessel, Alex lacht über jeden Mist und Phil und Paula kuscheln aneinander. „Scheisse.", brülle ich plötzlich los und wecke Papa damit. „Du meine Güte, Mira!", brüllt Papa verschlafen und geht die Treppen hoch, um ins Bett zu gehen. „Was ist denn los?", fragt Alex besorgt. „Ich muss die Bio Hausaufgaben morgen abgeben und hab noch nichts gemacht.", antworte ich und lege mein Gesicht in meine Hände. „So ein Mist.", nuschele ich. „Die muss ich noch machen, ich bin oben.", sage ich und verschwinde.
Oben angekommen krame ich meinen Zettel raus und sehe, dass wir doch noch zwei Tage Zeit haben, also entschloss ich mich, mit Paula zu reden, egal wie spät es ist. Also mache ich wieder Abgang nach unten. Vor der Couch bleibe ich stehen und fixiere Paula mit meinem Blick. Sie und Phil sehen zum Fernseher und bemerken mich erst gar nicht. Alex steht auf und legt seine Hand auf meine Stirn, woraufhin Paula und Phil auch zu mir sehen. „Also Fieber hast du nicht. Wieso bist du dann so komisch?", fragt er und sieht erst mich an und dann Phil und Paula. „Paula?", frage ich schüchtern und bekomme sofort ihre gesamte Aufmerksamkeit. „Ja?", fragt sie verwirrt. „Ich-Ähm-du...wir Ähm.", stammele ich vor mich hin. „Erst denken, dann sortieren und dann reden Mira.", erinnert mich Alex. „Ach ich kann das nicht.", sage ich und verschwinde nach oben. Ich schmeiße mich ins Bett und falle, mit Tränen in den Augen, in einen unruhigen Schlaf. Ich kann das heute einfach nicht.

Mitten in der Nacht werde ich wach, weil ich etwas trinken wollte, also gehe ich leise runter in die Küche. Von der Treppe aus konnte ich schon sehen, dass der Fernseher noch läuft. Ich kann jedoch keine Person erkennen, also laufe ich die letzten Stufen weiter runter. „Mira!", sagt eine Stimme plötzlich und ich falle nach vorne. Die letzte Stufe hat sich irgendwie in Luft aufgelöst. Aua, das tut weh. Ich liege auf dem Boden und halte mir mein linkes Handgelenk, auf das ich gefallen bin. „Was machst du denn noch so spät hier unten?", fragt Alex, der von der Couch aufgestanden ist und zu mir rüber läuft. „Das selbe könnte ich dich fragen Alex. Aber ich wollte nur etwas trinken.", sage ich und umgreife mein schmerzendes Handgelenk. „Ist dir was passiert? Tut was weh?", fragt er, als er sich zu mir kniet. „Nööööö, alles fit.", sage ich gespielt glücklich, doch was mache ich hier eigentlich einem Arzt vor? „Zeig mal her.", sagt er und nimmt mein Handgelenk. „Das ist...", fange ich an. „Wahrscheinlich überdehnt.", beendet Alex meinen Satz, obwohl ich eigentlich ‚nichts' sagen wollte. Er nimmt mich mit auf die Couch und gibt mir ein Kühlpack, welches auch schnell für Linderung sorgt. „Sag mal, wieso warst du heute so seltsam?", fragt er nach einer Zeit der Stille. „Ich? Seltsam? Weiß nicht was du meinst.", antworte ich und merke, wie mir die Augen zufallen.

Ich öffne meine Augen, schaue auf meinen Wecker und oh Mist, 10:32 Uhr. Wieso sagt mir denn hier niemand Bescheid? Ich stütze mich aus mein Bett und sofort durchzieht mich ein stechender Schmerz vom Handgelenk. Ein Blick darauf zeigt mir, das es geschwollen ist. Super, dabei habe ich heute meine erste Reitstunde, die ich mir jetzt auch klemmen kann. Ich strecke mich noch einmal und laufe dann ins Badezimmer. Im Spiegel erschrecke ich mich einmal vor mir selber. Wie kann man so schrecklich am Morgen aussehen? Das war mir in erster Linie egal, denn meine Blase war schon wieder überfüllt. Nachdem dies erledigt war, machte ich mich auf den Weg nach unten. Dort begegne ich nur Paula. Sie sieht mich, ignoriert mich aber größtenteils und wendet sich wieder ihrem Handy zu.
„Wo sind die anderen?", frage ich nach einer Weile und setze mich mit etwas trinken zu ihr. „Dein Papa musste für einen Kollegen einspringen und Phil ist auf Toilette. Alex ist noch im Bett. Er hat die ganze Nacht kaum geschlafen.", erklärt sie mir in einem relativ kühlem Ton. Es tut weh, sie so zu hören. Kurz danach kommt Phil von der Toilette und gesellt sich zu uns. „Guten Morgen.", sagt er zu mir und ich wünsche ihm das selbe. „Wieso weckt mich keiner?", frage ich und zeige auf die Uhr. „Alex hat uns von dem Vorfall heute Nacht erzählt. Er hielt es für besser, das einmal abklären zu lassen. Wie sieht's denn aus?", fragt Phil und deutet auf mein Handgelenk. Ich hole es hervor und ernte sowohl von Phil, als auch von Paula einen besorgten Blick. „Tut ziemlich weh.", antworte ich Phil schon mal auf seine nächste frage, die er sicherlich stellen wollte. „Wir fahren dann gleich mal in die Klinik.", sagt er und trinkt dann seinen Kaffee.

Zwischen Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt